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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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fallen, so bleibt zuletzt dem epischen Dichter kein anderes Maß, welches einen
bequemen Gebrauch verstattet, übrig, als derselbe Vers, den wir im Drama
ausgebildet haben, der fünffüßige Jambus. Dieser Vers, welcher zu dem gleich¬
förmigen Fluß der deutschen Wörter den entsprechenden Gegensatz bildet, ist
allerdings der handlichste. Er hat am wenigsten Farbe und läßt sich wol mit
den durchsichtigen Lasuren der Malerei vergleichen, welche über jede Farben-
nüance des Stoffes gezogen werden können. Aber auch bei ihm siud für einen
jungen Dichter zwei Schwierigkeiten zu überwinden; zunächst macht grade sein
durchsichtiger, nie stark in das Ohr fallender Rhythmus eine große Herrschaft
über die Sprache nöthig. Es sind feine Wirkungen mit ihm hervorzubringen,
aber er verlangt eine schöpferische Kraft, welche ihn geschickt dem jedesmaligen
Stoss anzupassen weiß. Grade bei ihm ist die Behandlung der Cäsuren, das
Maß der rhythmischen Freiheiten, die Verwendung männlicher oder weiblicher
Ausgänge und die Benutzung des Reims von großem Einfluß auf seinen Cha¬
rakter, und jede Unbehilflichkeit des Dichters, die bei andern Formen durch den
Klang des Metrums und des Reims überdeckt wird, tritt als Rohheit un¬
verhüllt zu Tage. Zweitens aber ist dieses Maß, wie geschickt man es auch
gebrauche, doch vorzugsweise zu ruhiger Erzählung und feiner Malerei mit
kürzeren Strichen geeignet. Die Macht und Fülle langathmiger Erzählung
vermag er, der aus zwei für unsere Sprache kurzen Theile" besteht, nur mit
Schwierigkeit wiederzugeben*).

So leiden unsere epischen Dichter an dem Umstand, daß schon das Vers¬
maß bei der gegenwärtigen Bildung unserer Sprache für sie betrachtliche
Schwierigkeiten hat. Da aber die Wahl des Versmaßes nicht willkürlich, ja bei
dem, welcher mit Beruf schafft, nicht einmal vorzugsweise das Product verstän¬
diger Ueberlegung, sondern die Folge eines innern Dranges sein wird, welcher
die detaillirten Empfindungen in ein bestimmtes Maß kleidet, so ist ersichtlich,
daß die Schwierigkeiten des epischen Schaffens eigentlich im Inhalt' des Ge¬
dichtes liegen, sowol in der Erfindung und Composition der Erzählung selbst,
als in Ton und Farbe derselben.

Das moderne Epos hat kein Gebiet von Stoffen, aus welches dasselbe
vorzugsweise angewiesen ist, ja ihm fehlt grade der Kreis, in welchem sich die
großen Epen früherer Zeit bewegt haben. Die Heldensagen der Deutschen und
fremder Völker sind für uns schon mehr oder weniger poetisch zugerichtet, ihre
Grundlage ist eine Weltanschauung und eine Stellung der Menschen zueinander,



Von den Theilen, in welche der jambische Funffnß durch die Cäsnr zerfällt, ist im Durch¬
schnitt betrachtet der erste bei gehobener schmuckvoller Rede etwas kurzer, als die natürlichen Satz¬
theile, ans denen sich die Sätze der deutschen Rede zusammenfügen, während der Nibelungeuvers
uoch jetzt in SUbeuzahl und ruthenischen Fall am besten den natürlichen Salztheilen der deut¬
schen Sprache entspricht.
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fallen, so bleibt zuletzt dem epischen Dichter kein anderes Maß, welches einen
bequemen Gebrauch verstattet, übrig, als derselbe Vers, den wir im Drama
ausgebildet haben, der fünffüßige Jambus. Dieser Vers, welcher zu dem gleich¬
förmigen Fluß der deutschen Wörter den entsprechenden Gegensatz bildet, ist
allerdings der handlichste. Er hat am wenigsten Farbe und läßt sich wol mit
den durchsichtigen Lasuren der Malerei vergleichen, welche über jede Farben-
nüance des Stoffes gezogen werden können. Aber auch bei ihm siud für einen
jungen Dichter zwei Schwierigkeiten zu überwinden; zunächst macht grade sein
durchsichtiger, nie stark in das Ohr fallender Rhythmus eine große Herrschaft
über die Sprache nöthig. Es sind feine Wirkungen mit ihm hervorzubringen,
aber er verlangt eine schöpferische Kraft, welche ihn geschickt dem jedesmaligen
Stoss anzupassen weiß. Grade bei ihm ist die Behandlung der Cäsuren, das
Maß der rhythmischen Freiheiten, die Verwendung männlicher oder weiblicher
Ausgänge und die Benutzung des Reims von großem Einfluß auf seinen Cha¬
rakter, und jede Unbehilflichkeit des Dichters, die bei andern Formen durch den
Klang des Metrums und des Reims überdeckt wird, tritt als Rohheit un¬
verhüllt zu Tage. Zweitens aber ist dieses Maß, wie geschickt man es auch
gebrauche, doch vorzugsweise zu ruhiger Erzählung und feiner Malerei mit
kürzeren Strichen geeignet. Die Macht und Fülle langathmiger Erzählung
vermag er, der aus zwei für unsere Sprache kurzen Theile» besteht, nur mit
Schwierigkeit wiederzugeben*).

So leiden unsere epischen Dichter an dem Umstand, daß schon das Vers¬
maß bei der gegenwärtigen Bildung unserer Sprache für sie betrachtliche
Schwierigkeiten hat. Da aber die Wahl des Versmaßes nicht willkürlich, ja bei
dem, welcher mit Beruf schafft, nicht einmal vorzugsweise das Product verstän¬
diger Ueberlegung, sondern die Folge eines innern Dranges sein wird, welcher
die detaillirten Empfindungen in ein bestimmtes Maß kleidet, so ist ersichtlich,
daß die Schwierigkeiten des epischen Schaffens eigentlich im Inhalt' des Ge¬
dichtes liegen, sowol in der Erfindung und Composition der Erzählung selbst,
als in Ton und Farbe derselben.

Das moderne Epos hat kein Gebiet von Stoffen, aus welches dasselbe
vorzugsweise angewiesen ist, ja ihm fehlt grade der Kreis, in welchem sich die
großen Epen früherer Zeit bewegt haben. Die Heldensagen der Deutschen und
fremder Völker sind für uns schon mehr oder weniger poetisch zugerichtet, ihre
Grundlage ist eine Weltanschauung und eine Stellung der Menschen zueinander,



Von den Theilen, in welche der jambische Funffnß durch die Cäsnr zerfällt, ist im Durch¬
schnitt betrachtet der erste bei gehobener schmuckvoller Rede etwas kurzer, als die natürlichen Satz¬
theile, ans denen sich die Sätze der deutschen Rede zusammenfügen, während der Nibelungeuvers
uoch jetzt in SUbeuzahl und ruthenischen Fall am besten den natürlichen Salztheilen der deut¬
schen Sprache entspricht.
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[0291] fallen, so bleibt zuletzt dem epischen Dichter kein anderes Maß, welches einen bequemen Gebrauch verstattet, übrig, als derselbe Vers, den wir im Drama ausgebildet haben, der fünffüßige Jambus. Dieser Vers, welcher zu dem gleich¬ förmigen Fluß der deutschen Wörter den entsprechenden Gegensatz bildet, ist allerdings der handlichste. Er hat am wenigsten Farbe und läßt sich wol mit den durchsichtigen Lasuren der Malerei vergleichen, welche über jede Farben- nüance des Stoffes gezogen werden können. Aber auch bei ihm siud für einen jungen Dichter zwei Schwierigkeiten zu überwinden; zunächst macht grade sein durchsichtiger, nie stark in das Ohr fallender Rhythmus eine große Herrschaft über die Sprache nöthig. Es sind feine Wirkungen mit ihm hervorzubringen, aber er verlangt eine schöpferische Kraft, welche ihn geschickt dem jedesmaligen Stoss anzupassen weiß. Grade bei ihm ist die Behandlung der Cäsuren, das Maß der rhythmischen Freiheiten, die Verwendung männlicher oder weiblicher Ausgänge und die Benutzung des Reims von großem Einfluß auf seinen Cha¬ rakter, und jede Unbehilflichkeit des Dichters, die bei andern Formen durch den Klang des Metrums und des Reims überdeckt wird, tritt als Rohheit un¬ verhüllt zu Tage. Zweitens aber ist dieses Maß, wie geschickt man es auch gebrauche, doch vorzugsweise zu ruhiger Erzählung und feiner Malerei mit kürzeren Strichen geeignet. Die Macht und Fülle langathmiger Erzählung vermag er, der aus zwei für unsere Sprache kurzen Theile» besteht, nur mit Schwierigkeit wiederzugeben*). So leiden unsere epischen Dichter an dem Umstand, daß schon das Vers¬ maß bei der gegenwärtigen Bildung unserer Sprache für sie betrachtliche Schwierigkeiten hat. Da aber die Wahl des Versmaßes nicht willkürlich, ja bei dem, welcher mit Beruf schafft, nicht einmal vorzugsweise das Product verstän¬ diger Ueberlegung, sondern die Folge eines innern Dranges sein wird, welcher die detaillirten Empfindungen in ein bestimmtes Maß kleidet, so ist ersichtlich, daß die Schwierigkeiten des epischen Schaffens eigentlich im Inhalt' des Ge¬ dichtes liegen, sowol in der Erfindung und Composition der Erzählung selbst, als in Ton und Farbe derselben. Das moderne Epos hat kein Gebiet von Stoffen, aus welches dasselbe vorzugsweise angewiesen ist, ja ihm fehlt grade der Kreis, in welchem sich die großen Epen früherer Zeit bewegt haben. Die Heldensagen der Deutschen und fremder Völker sind für uns schon mehr oder weniger poetisch zugerichtet, ihre Grundlage ist eine Weltanschauung und eine Stellung der Menschen zueinander, Von den Theilen, in welche der jambische Funffnß durch die Cäsnr zerfällt, ist im Durch¬ schnitt betrachtet der erste bei gehobener schmuckvoller Rede etwas kurzer, als die natürlichen Satz¬ theile, ans denen sich die Sätze der deutschen Rede zusammenfügen, während der Nibelungeuvers uoch jetzt in SUbeuzahl und ruthenischen Fall am besten den natürlichen Salztheilen der deut¬ schen Sprache entspricht. 36*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/291>, abgerufen am 23.07.2024.