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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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aber auf diese Weise hat ja der idftedter Sieg die Losreißung Schleswigs vom
dänischen Reiche zu einer Nothwendigkeit gemacht; ans diese Weise hat der
dänische Soldat durch seinen Sieg das verloren, wofür er kämpfte, wofür er
sein Leben aufopferte -- die Erhaltung Schleswigs als eines Theils des däni¬
schen Reichs.

Oder kann der dänische Reichstag es in Zweifel ziehen, daß die Annahme
des Gemeinstaatsverfassungsentwurfs diese Folge haben-werde? Kann er blind
dagegen sein, daß durch diesen Schritt sowol die geistigen als die materiellen
Bedingungen der Verbindung Schleswigs mit dem übrigen Dänemark vernichtet
werden? Als geistige Bedingung nennen wir gemeinsames dänisches
N'ationalgesühl, daS Bewußtsein, dem dänischen Volke anzugehören. Dieses
ist untergegangen, wenn Schleswig ein besonderer Landestheil sein soll, halb
dänisch, halb deutsch und dadurch zu einem Coalitionsstaat in geistiger Bedeu¬
tung gestempelt werden soll, in welchem die feindlichen -- dänischen und deut¬
schen -- Interessen ihren eignen Kampf, oder, was noch schlimmer ist, der
Versöhnung überlassen werden sollen. Die deutsche und dänische Nationalität
kämpft schon einen verzweiflungsvollen Kampf -- verborgen den Leuten in
Kopenhagen, aber nicht uns verborgen, die wir inmitten der Verwirrung woh¬
nen; und hat erst das dänische Volk durch Annahme der Gcmeinstaatsverfas-
sung das dänische Element sich selbst überlassen und gesprochen: "Nun, ihr
dänischen Schleswiger! jetzt haben wir unser Schäfchen aufs Trockne gebracht;
wir haben doch etwas aus dem Schiffbruch gerettet, nun mögt ihr selbst zu¬
sehen, ob ihr stehen oder fallen könnt!" -- so ist damit der Sturz gegeben,
denn die deutschnationalen Sympathien sind nicht allein die stärksten, weil sie
in Jahrhunderten durch eine blinde Negierung und in den letzten Decennien
durch eine aufrührerisch-deutsche Fraction gekräftigt sind, sondern auch, weil sie
beständig durch mächtige Impulse vom Süden unterstützt, beständig in Athem
gehalten werden durch die unverdrossenen Anstrengungen der großen Menge
untreuer Beamte, welche über ganz Deutschland ausgesäet sind und deren Auf¬
gabe es ist, "den alten deutschen Michel auf die Beine zu bringen". Man
will uns freilich einbilden, daß die dänische Nationalität hier in Schleswig
vorwärts schreiten müßte, da nicht allein dänische Männer die Deutschen in den
meisten, sowol Civil- als geistlichen Aemtern abgelöst haben, sondern namentlich
das bekannte Sprachrescript sür die gemischten Sprachdistricte die Festwurzclung
des dänischen Elements im Volke gesichert habe. Gegen diese Maßregeln an
und für sich soll natürlich nichts eingewandt werden, sie waren nothwendig
und gerecht, allein sie sind nicht in einer Gestalt ausgetreten, welche dem Volke
Liebe zu dem, was dänisch ist, geben konnte, sie haben im Gegentheil den Haß
gegen das Dänische bestärkt. Unter Karl Moltkes türkischem Regiment ist das
Dänenthum und namentlich das von ihm aufrecht erhaltene Sprachrescript unter


aber auf diese Weise hat ja der idftedter Sieg die Losreißung Schleswigs vom
dänischen Reiche zu einer Nothwendigkeit gemacht; ans diese Weise hat der
dänische Soldat durch seinen Sieg das verloren, wofür er kämpfte, wofür er
sein Leben aufopferte — die Erhaltung Schleswigs als eines Theils des däni¬
schen Reichs.

Oder kann der dänische Reichstag es in Zweifel ziehen, daß die Annahme
des Gemeinstaatsverfassungsentwurfs diese Folge haben-werde? Kann er blind
dagegen sein, daß durch diesen Schritt sowol die geistigen als die materiellen
Bedingungen der Verbindung Schleswigs mit dem übrigen Dänemark vernichtet
werden? Als geistige Bedingung nennen wir gemeinsames dänisches
N'ationalgesühl, daS Bewußtsein, dem dänischen Volke anzugehören. Dieses
ist untergegangen, wenn Schleswig ein besonderer Landestheil sein soll, halb
dänisch, halb deutsch und dadurch zu einem Coalitionsstaat in geistiger Bedeu¬
tung gestempelt werden soll, in welchem die feindlichen — dänischen und deut¬
schen — Interessen ihren eignen Kampf, oder, was noch schlimmer ist, der
Versöhnung überlassen werden sollen. Die deutsche und dänische Nationalität
kämpft schon einen verzweiflungsvollen Kampf — verborgen den Leuten in
Kopenhagen, aber nicht uns verborgen, die wir inmitten der Verwirrung woh¬
nen; und hat erst das dänische Volk durch Annahme der Gcmeinstaatsverfas-
sung das dänische Element sich selbst überlassen und gesprochen: „Nun, ihr
dänischen Schleswiger! jetzt haben wir unser Schäfchen aufs Trockne gebracht;
wir haben doch etwas aus dem Schiffbruch gerettet, nun mögt ihr selbst zu¬
sehen, ob ihr stehen oder fallen könnt!" — so ist damit der Sturz gegeben,
denn die deutschnationalen Sympathien sind nicht allein die stärksten, weil sie
in Jahrhunderten durch eine blinde Negierung und in den letzten Decennien
durch eine aufrührerisch-deutsche Fraction gekräftigt sind, sondern auch, weil sie
beständig durch mächtige Impulse vom Süden unterstützt, beständig in Athem
gehalten werden durch die unverdrossenen Anstrengungen der großen Menge
untreuer Beamte, welche über ganz Deutschland ausgesäet sind und deren Auf¬
gabe es ist, „den alten deutschen Michel auf die Beine zu bringen". Man
will uns freilich einbilden, daß die dänische Nationalität hier in Schleswig
vorwärts schreiten müßte, da nicht allein dänische Männer die Deutschen in den
meisten, sowol Civil- als geistlichen Aemtern abgelöst haben, sondern namentlich
das bekannte Sprachrescript sür die gemischten Sprachdistricte die Festwurzclung
des dänischen Elements im Volke gesichert habe. Gegen diese Maßregeln an
und für sich soll natürlich nichts eingewandt werden, sie waren nothwendig
und gerecht, allein sie sind nicht in einer Gestalt ausgetreten, welche dem Volke
Liebe zu dem, was dänisch ist, geben konnte, sie haben im Gegentheil den Haß
gegen das Dänische bestärkt. Unter Karl Moltkes türkischem Regiment ist das
Dänenthum und namentlich das von ihm aufrecht erhaltene Sprachrescript unter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/270>, abgerufen am 25.08.2024.