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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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stets mehr oder minder eifrig zugethan gewesen und ihr bis heute treu geblieben.
Und bei den Nordschleswigern sind die von der Propaganda künstlich hervor¬
gerufenen Sympathien für Dänemark gegenwärtig zum großen Theile ver¬
schwunden.

Wie selbst die dänischen Fanatiker diese Umkehr der Ansichten zugeben
müssen, wenn sie dieselbe auch zum Theil in andern Ursachen suchen, als wir,
zeigt der folgende Artikel aus "Facdrelaudet", in welchem sich (am 12. September
v. I.) eine "Stimme aus Schleswig" vernehmen ließ und den ich als ein
echtes Zeichen der Zeit unverkürzt einfüge.

"Es ist hohe Zeit, daß unsre unseligen Verhältnisse hier in Schleswig
dem dänischen Volke bekannt werden und namentlich dem dänischen Reichstage,
welcher nun bald ein entscheidendes Wort darüber mitzusprechen hat, ob dieser
Theil des dänischen Reichs, welcher neulich aus feindlicher Gewalt durch das
Blut dänischer Männer befreit wurde, durch die Scheidewand einer despotischen
und undänischeu Politik für lange, lange Zeiten von Dänemark losgerissen
werden soll, wie der Arm vom Rumpfe. Daß doch nur jetzt der dänische
Reichstag den Folgen des unwiderruflichen Schrittes, welchen zu thun er im
Begriff steht, seine Augen öffnen möchte! , Die Annahme des Gcmeinstaats-
verfassungsentwurfs wird dem dänischen Volke eine größere Gefahr bereiten,
als wenn die Schlacht bei Jdstedt verloren worden wäre; denn eine verlorene
Jdstedtschlacht würde das Selbstgefühl des dänischen Volkes zu einem neuen
Versuch, zu den äußersten Anstrengungen, um Ehre und Land zu retten, ent¬
flammt haben, -- würde auf jeden Fall mehr dazu beigetragen haben, das
Nationalgefühl zu kräftigen, als es wegzuwehen, -- würde geistig Schleswig
noch näher an Dänemark gefesselt haben -- würde es seiner Verpflichtung, die
Stellung Schleswigs als eines Theils von Dänemark aufrecht zu erhalten, noch
deutlicher bewußt gemacht haben: eine verlorene Jdstedtschlacht würde nicht ein
Aufgeben Schleswigs gewesen sein; allein die Annahme des Gemeinstaatsver"
fassungsentwurfs ist des dünischen Volkes freiwilliges Aufgeben Schleswigs,
ist ein Durchschneiden desjenigen Landes, mit welchem Schleswig über -1000
Jahre an das dänische Reich geknüpft gewesen ist.

Wohl wissen wir, daß das jetzt abgegangene Ministerium ein Schreckbild
aufgemauert kriegte, welches den Gedankengang der meisten, selbst den ver¬
nünftiger Leute, entsetzt und verwirrt hat -- und welches an das jetzige, halb¬
nationale Ministerium vererbt ist -- die europäische Nothwendigkeit; wohl weiß
man, daß Bluhmes") klug berechneter Ausruf: "Glauben Sie, meine Herren,
daß die östreichischen Truppen sich aus Holstein wegblasen lassen?" eine elek¬
trisch hemmende Wirkung sowol auf das Volk, als dessen Vertreter geübt hat;



*) Früherer dänischer Minister.

stets mehr oder minder eifrig zugethan gewesen und ihr bis heute treu geblieben.
Und bei den Nordschleswigern sind die von der Propaganda künstlich hervor¬
gerufenen Sympathien für Dänemark gegenwärtig zum großen Theile ver¬
schwunden.

Wie selbst die dänischen Fanatiker diese Umkehr der Ansichten zugeben
müssen, wenn sie dieselbe auch zum Theil in andern Ursachen suchen, als wir,
zeigt der folgende Artikel aus „Facdrelaudet", in welchem sich (am 12. September
v. I.) eine „Stimme aus Schleswig" vernehmen ließ und den ich als ein
echtes Zeichen der Zeit unverkürzt einfüge.

„Es ist hohe Zeit, daß unsre unseligen Verhältnisse hier in Schleswig
dem dänischen Volke bekannt werden und namentlich dem dänischen Reichstage,
welcher nun bald ein entscheidendes Wort darüber mitzusprechen hat, ob dieser
Theil des dänischen Reichs, welcher neulich aus feindlicher Gewalt durch das
Blut dänischer Männer befreit wurde, durch die Scheidewand einer despotischen
und undänischeu Politik für lange, lange Zeiten von Dänemark losgerissen
werden soll, wie der Arm vom Rumpfe. Daß doch nur jetzt der dänische
Reichstag den Folgen des unwiderruflichen Schrittes, welchen zu thun er im
Begriff steht, seine Augen öffnen möchte! , Die Annahme des Gcmeinstaats-
verfassungsentwurfs wird dem dänischen Volke eine größere Gefahr bereiten,
als wenn die Schlacht bei Jdstedt verloren worden wäre; denn eine verlorene
Jdstedtschlacht würde das Selbstgefühl des dänischen Volkes zu einem neuen
Versuch, zu den äußersten Anstrengungen, um Ehre und Land zu retten, ent¬
flammt haben, — würde auf jeden Fall mehr dazu beigetragen haben, das
Nationalgefühl zu kräftigen, als es wegzuwehen, — würde geistig Schleswig
noch näher an Dänemark gefesselt haben — würde es seiner Verpflichtung, die
Stellung Schleswigs als eines Theils von Dänemark aufrecht zu erhalten, noch
deutlicher bewußt gemacht haben: eine verlorene Jdstedtschlacht würde nicht ein
Aufgeben Schleswigs gewesen sein; allein die Annahme des Gemeinstaatsver«
fassungsentwurfs ist des dünischen Volkes freiwilliges Aufgeben Schleswigs,
ist ein Durchschneiden desjenigen Landes, mit welchem Schleswig über -1000
Jahre an das dänische Reich geknüpft gewesen ist.

Wohl wissen wir, daß das jetzt abgegangene Ministerium ein Schreckbild
aufgemauert kriegte, welches den Gedankengang der meisten, selbst den ver¬
nünftiger Leute, entsetzt und verwirrt hat — und welches an das jetzige, halb¬
nationale Ministerium vererbt ist — die europäische Nothwendigkeit; wohl weiß
man, daß Bluhmes") klug berechneter Ausruf: „Glauben Sie, meine Herren,
daß die östreichischen Truppen sich aus Holstein wegblasen lassen?" eine elek¬
trisch hemmende Wirkung sowol auf das Volk, als dessen Vertreter geübt hat;



*) Früherer dänischer Minister.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/269>, abgerufen am 25.08.2024.