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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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es traten die Regimenter zusammen. Welcher Anblick! In derselben Front
standen durcheinander Soldaten mit blauen Röcken und Soldaten mit weißen
Röcken, mit rothem und weißem Unterfutter, gelben und weißen Knöpfen und
allen Farben des Regenbogens an Rabatten und Krägen. Darin ließ sich
nichts ändern, denn die Stände waren eigensinnig und auf Neubeschaffungen
oder nur Austausch nicht gut zu sprechen; überdies war einmal eine leid¬
liche Egalität mit Mühe erzielt, so brachte die nächste andere Verkeilung der
ständischen Contingente von neuem alles in Verwirrung. "Es fehlt nun," sagte
der badische Oberst von Sandberg beim Anblick seines Regiments, "zur voll¬
kommenen Caricatur nichts weiter, als noch einige Dutzend Hanswurste und
Schornsteinfeger -- pfui Teufel!" Und da ritt er hin und ärgerte sich über
den Anblick seiner abderilischen Mannschaft.

Diese Buntscheckigkeit beleidigte das soldatische Auge und war aller Welt Ge¬
spött; doch mußte die Unmöglichkeit eines gleichförmigen Wassengebrauchs, einer
egaler Form der Uebungen noch ernstlicher zu beklagen sein. sowol bei In¬
fanterie als Cavalerie gaben die Stände ganz verschiedene Gewehre mit, die
einen nach östreichischer, die andern nach preußischer Art, noch andere von
ganz uraltem Schlage. Dieser hatte eine lange, jener eine kurze Flinte; hier
mußte beim Laden Pulver aufgeschüttet, dort der Stock umgekehrt werden, denn
kein Stand erercirte wie der andre. Wenn nun jedermann einsieht, daß nur
die streng gleiche Form jedes Einzelnen beim Erereiren, welche zunächst auf
gleicher Bewaffnung beruhen muß, den Offizier in den Stand setzt, auch den
kleinsten Fehler zu bemerken und zu rügen, so kann man sich einen Begriff
machen von dem Erereiren bei der Reichsarmee. "Die Recruten müssen zwar
ererciren," sagt unser Berichterstatter, "aber man überläßt das ganze Erercitium
einem größtentheils selbst ungeschickten Corporal. Der Hauptmann und die
übrigen Offiziere geben sich nicht damit ab und wenn also der Recrut dem
Corpora! nur Schnaps, Wein und Weißbrot bezahlt, so sieht ihm dieser überall
durch die Finger und der Recrut lernt immer -- nichts! -- Die Kleidung ist
noch so erträglich gut, aber der Anzug der Soldaten sieht spectaculös aus.
schmuzig und malpropre sind sie im Dienst und außer Dienst; und wie ihre.
Kleidungsstücke, so ist ihre Armatur auch: die Gewehre sitzen fingerdick voll
Rost und die Säbelgefäße voll Grünspan. Daher ist es auch begreiflich, was
noch neulich ein Offizier vom Neichsevrpö zu mir sagte, daß, wenn eine Bataille
geliefert werden sollte und die Reichstruppen nicht schort vorher zum Teufel
liefen, gewiß keine zehn Gewehre bei einer Compagnie losbrennen würden.
Das ist doch wahrlich ein großes Elend I Aber vielleicht hat.man für die Ver¬
besserung dieses Fehlers nicht gesorgt, weil man voraussetzte, daß es niemals
zum Schießen kommen werde."

Am kläglichsten unter allen Waffen war die Reichsartillerie bestellt,


es traten die Regimenter zusammen. Welcher Anblick! In derselben Front
standen durcheinander Soldaten mit blauen Röcken und Soldaten mit weißen
Röcken, mit rothem und weißem Unterfutter, gelben und weißen Knöpfen und
allen Farben des Regenbogens an Rabatten und Krägen. Darin ließ sich
nichts ändern, denn die Stände waren eigensinnig und auf Neubeschaffungen
oder nur Austausch nicht gut zu sprechen; überdies war einmal eine leid¬
liche Egalität mit Mühe erzielt, so brachte die nächste andere Verkeilung der
ständischen Contingente von neuem alles in Verwirrung. „Es fehlt nun," sagte
der badische Oberst von Sandberg beim Anblick seines Regiments, „zur voll¬
kommenen Caricatur nichts weiter, als noch einige Dutzend Hanswurste und
Schornsteinfeger — pfui Teufel!" Und da ritt er hin und ärgerte sich über
den Anblick seiner abderilischen Mannschaft.

Diese Buntscheckigkeit beleidigte das soldatische Auge und war aller Welt Ge¬
spött; doch mußte die Unmöglichkeit eines gleichförmigen Wassengebrauchs, einer
egaler Form der Uebungen noch ernstlicher zu beklagen sein. sowol bei In¬
fanterie als Cavalerie gaben die Stände ganz verschiedene Gewehre mit, die
einen nach östreichischer, die andern nach preußischer Art, noch andere von
ganz uraltem Schlage. Dieser hatte eine lange, jener eine kurze Flinte; hier
mußte beim Laden Pulver aufgeschüttet, dort der Stock umgekehrt werden, denn
kein Stand erercirte wie der andre. Wenn nun jedermann einsieht, daß nur
die streng gleiche Form jedes Einzelnen beim Erereiren, welche zunächst auf
gleicher Bewaffnung beruhen muß, den Offizier in den Stand setzt, auch den
kleinsten Fehler zu bemerken und zu rügen, so kann man sich einen Begriff
machen von dem Erereiren bei der Reichsarmee. „Die Recruten müssen zwar
ererciren," sagt unser Berichterstatter, „aber man überläßt das ganze Erercitium
einem größtentheils selbst ungeschickten Corporal. Der Hauptmann und die
übrigen Offiziere geben sich nicht damit ab und wenn also der Recrut dem
Corpora! nur Schnaps, Wein und Weißbrot bezahlt, so sieht ihm dieser überall
durch die Finger und der Recrut lernt immer — nichts! — Die Kleidung ist
noch so erträglich gut, aber der Anzug der Soldaten sieht spectaculös aus.
schmuzig und malpropre sind sie im Dienst und außer Dienst; und wie ihre.
Kleidungsstücke, so ist ihre Armatur auch: die Gewehre sitzen fingerdick voll
Rost und die Säbelgefäße voll Grünspan. Daher ist es auch begreiflich, was
noch neulich ein Offizier vom Neichsevrpö zu mir sagte, daß, wenn eine Bataille
geliefert werden sollte und die Reichstruppen nicht schort vorher zum Teufel
liefen, gewiß keine zehn Gewehre bei einer Compagnie losbrennen würden.
Das ist doch wahrlich ein großes Elend I Aber vielleicht hat.man für die Ver¬
besserung dieses Fehlers nicht gesorgt, weil man voraussetzte, daß es niemals
zum Schießen kommen werde."

Am kläglichsten unter allen Waffen war die Reichsartillerie bestellt,


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[0223] es traten die Regimenter zusammen. Welcher Anblick! In derselben Front standen durcheinander Soldaten mit blauen Röcken und Soldaten mit weißen Röcken, mit rothem und weißem Unterfutter, gelben und weißen Knöpfen und allen Farben des Regenbogens an Rabatten und Krägen. Darin ließ sich nichts ändern, denn die Stände waren eigensinnig und auf Neubeschaffungen oder nur Austausch nicht gut zu sprechen; überdies war einmal eine leid¬ liche Egalität mit Mühe erzielt, so brachte die nächste andere Verkeilung der ständischen Contingente von neuem alles in Verwirrung. „Es fehlt nun," sagte der badische Oberst von Sandberg beim Anblick seines Regiments, „zur voll¬ kommenen Caricatur nichts weiter, als noch einige Dutzend Hanswurste und Schornsteinfeger — pfui Teufel!" Und da ritt er hin und ärgerte sich über den Anblick seiner abderilischen Mannschaft. Diese Buntscheckigkeit beleidigte das soldatische Auge und war aller Welt Ge¬ spött; doch mußte die Unmöglichkeit eines gleichförmigen Wassengebrauchs, einer egaler Form der Uebungen noch ernstlicher zu beklagen sein. sowol bei In¬ fanterie als Cavalerie gaben die Stände ganz verschiedene Gewehre mit, die einen nach östreichischer, die andern nach preußischer Art, noch andere von ganz uraltem Schlage. Dieser hatte eine lange, jener eine kurze Flinte; hier mußte beim Laden Pulver aufgeschüttet, dort der Stock umgekehrt werden, denn kein Stand erercirte wie der andre. Wenn nun jedermann einsieht, daß nur die streng gleiche Form jedes Einzelnen beim Erereiren, welche zunächst auf gleicher Bewaffnung beruhen muß, den Offizier in den Stand setzt, auch den kleinsten Fehler zu bemerken und zu rügen, so kann man sich einen Begriff machen von dem Erereiren bei der Reichsarmee. „Die Recruten müssen zwar ererciren," sagt unser Berichterstatter, „aber man überläßt das ganze Erercitium einem größtentheils selbst ungeschickten Corporal. Der Hauptmann und die übrigen Offiziere geben sich nicht damit ab und wenn also der Recrut dem Corpora! nur Schnaps, Wein und Weißbrot bezahlt, so sieht ihm dieser überall durch die Finger und der Recrut lernt immer — nichts! — Die Kleidung ist noch so erträglich gut, aber der Anzug der Soldaten sieht spectaculös aus. schmuzig und malpropre sind sie im Dienst und außer Dienst; und wie ihre. Kleidungsstücke, so ist ihre Armatur auch: die Gewehre sitzen fingerdick voll Rost und die Säbelgefäße voll Grünspan. Daher ist es auch begreiflich, was noch neulich ein Offizier vom Neichsevrpö zu mir sagte, daß, wenn eine Bataille geliefert werden sollte und die Reichstruppen nicht schort vorher zum Teufel liefen, gewiß keine zehn Gewehre bei einer Compagnie losbrennen würden. Das ist doch wahrlich ein großes Elend I Aber vielleicht hat.man für die Ver¬ besserung dieses Fehlers nicht gesorgt, weil man voraussetzte, daß es niemals zum Schießen kommen werde." Am kläglichsten unter allen Waffen war die Reichsartillerie bestellt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/223>, abgerufen am 23.07.2024.