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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Standesherr die gebieterische Aufforderung mit Widerwillen und vollzog sie
endlich aus Furcht. -- Werbung war das üblichste Mittel der Contingents-
gestaltung, um so mehr, als die wenigen Mannschaften eine allgemeine Aus¬
hebung nicht erforderten; vielfach wurde auch gelöst und dann kaufte der Reiche
sich los und brachte irgendeinen armen Teufel, Deserteur, Landläufer, Zigeu¬
ner als seinen Stellvertreter auf, es genügte, wenn der Stand nur überhaupt
so und so viel Mann stellte. Einige Stände, unter andern die Stadt Ulm,
halfen sich durch Oeffnen der Zuchthäuser no,es bequemer aus der Recruten-
verlegenheit, andere, namentlich die Fürsten, bedienten sich der Gewalt; so
wurde in Würtemberg, Baden, Constanz, Würzburg, Münster, Trier nicht ge¬
löst, sondern die Söhne der Unterthanen eingefangen und in die Uniform ge¬
steckt. Desertirte einer, so zog der Fürst sein Erbtheil ein. So bildeten Pro¬
letarier, Landstreicher und Ausgestoßene der Gesellschaft die große Masse der
Reichsarmee. -- Die kleinen Kontingente, jedes für sich nach Geschmack und
Mitteln ausgerüstet, stießen truppweise (oft über 20) zu buntscheckigen Re¬
gimentern zusammen und die Art und Weise, wie man die Ofsizierstellen besetzte,
konnte dieser Mannschaft würdig befunden werden. Sie waren, wo nicht ^in
Stand gleich eine ganze Compagnie oder gar ein Regiment stellte, einzeln, zu
zweien, wie es kam, auf die Stände vertheilt. So stellte z. B. zu einer
combinirten Compagnie die Reichsstadt Gmünd den Hauptmann, Rottweil
den ersten, Nottenmünster den zweiten Lieutenant und Gengenbach den
Fähndrich; der Magistrat zu Gmünd und Rottweil, die Aebtissin zu Rotten¬
münster und der Prälat von Gengenbach wählten diese Offiziere nach Gunst
und Gutachten. Hatte der Stand zwei Stellen, so war eS lediglich seine Sache/
wen er über den andern setzte. Geld und Gut, Adel und jene verborgene,
aber mächtige Triebfeder: die Weibergunst waren die gewöhnlichsten Wege zur
Erreichung einer Stelle, Gastwirthssöhne und Schulzenneffen deren gewöhn¬
liche Kandidaten. Auch in der formirter Compagnie konnte doch nur der Stand
seine Stelle wieder besetzen, niemand konnte aus seinem Stande heraus avan-
ciren, daher waren unbärtige Hauptleute und eisgraue Fähndriche nebenein¬
ander keine seltene Erscheinung. Die hohen Offiziere allein wurden von den
krcisausschreibenden Fürsten bestimmt. --

Die Unteroffiziere wurden von den Reichsständen ebenso angestellt, wie
die Offiziere. Wer dem Stande gefiel, einen guten Freund bei dem hochlöb¬
lichen Magistrate oder den Beichtvater des Nonnenklosters für sich hatte, ward
Feldwebel, Fourier oder Corporal. Auch Subjecte, welche der Stadt zur Last
fielen, wie Trunkenbolde und relegirte Studenten waren durch solche Anstel¬
lungen mit guter Art auf Seite zu schaffen. --

Nach langer Mühe, vielen Drohungen, Ermahnungen und Weitläufig¬
keiten waren denn endlich von den Ständen die Kontingente gestellt worden und


Standesherr die gebieterische Aufforderung mit Widerwillen und vollzog sie
endlich aus Furcht. — Werbung war das üblichste Mittel der Contingents-
gestaltung, um so mehr, als die wenigen Mannschaften eine allgemeine Aus¬
hebung nicht erforderten; vielfach wurde auch gelöst und dann kaufte der Reiche
sich los und brachte irgendeinen armen Teufel, Deserteur, Landläufer, Zigeu¬
ner als seinen Stellvertreter auf, es genügte, wenn der Stand nur überhaupt
so und so viel Mann stellte. Einige Stände, unter andern die Stadt Ulm,
halfen sich durch Oeffnen der Zuchthäuser no,es bequemer aus der Recruten-
verlegenheit, andere, namentlich die Fürsten, bedienten sich der Gewalt; so
wurde in Würtemberg, Baden, Constanz, Würzburg, Münster, Trier nicht ge¬
löst, sondern die Söhne der Unterthanen eingefangen und in die Uniform ge¬
steckt. Desertirte einer, so zog der Fürst sein Erbtheil ein. So bildeten Pro¬
letarier, Landstreicher und Ausgestoßene der Gesellschaft die große Masse der
Reichsarmee. — Die kleinen Kontingente, jedes für sich nach Geschmack und
Mitteln ausgerüstet, stießen truppweise (oft über 20) zu buntscheckigen Re¬
gimentern zusammen und die Art und Weise, wie man die Ofsizierstellen besetzte,
konnte dieser Mannschaft würdig befunden werden. Sie waren, wo nicht ^in
Stand gleich eine ganze Compagnie oder gar ein Regiment stellte, einzeln, zu
zweien, wie es kam, auf die Stände vertheilt. So stellte z. B. zu einer
combinirten Compagnie die Reichsstadt Gmünd den Hauptmann, Rottweil
den ersten, Nottenmünster den zweiten Lieutenant und Gengenbach den
Fähndrich; der Magistrat zu Gmünd und Rottweil, die Aebtissin zu Rotten¬
münster und der Prälat von Gengenbach wählten diese Offiziere nach Gunst
und Gutachten. Hatte der Stand zwei Stellen, so war eS lediglich seine Sache/
wen er über den andern setzte. Geld und Gut, Adel und jene verborgene,
aber mächtige Triebfeder: die Weibergunst waren die gewöhnlichsten Wege zur
Erreichung einer Stelle, Gastwirthssöhne und Schulzenneffen deren gewöhn¬
liche Kandidaten. Auch in der formirter Compagnie konnte doch nur der Stand
seine Stelle wieder besetzen, niemand konnte aus seinem Stande heraus avan-
ciren, daher waren unbärtige Hauptleute und eisgraue Fähndriche nebenein¬
ander keine seltene Erscheinung. Die hohen Offiziere allein wurden von den
krcisausschreibenden Fürsten bestimmt. —

Die Unteroffiziere wurden von den Reichsständen ebenso angestellt, wie
die Offiziere. Wer dem Stande gefiel, einen guten Freund bei dem hochlöb¬
lichen Magistrate oder den Beichtvater des Nonnenklosters für sich hatte, ward
Feldwebel, Fourier oder Corporal. Auch Subjecte, welche der Stadt zur Last
fielen, wie Trunkenbolde und relegirte Studenten waren durch solche Anstel¬
lungen mit guter Art auf Seite zu schaffen. —

Nach langer Mühe, vielen Drohungen, Ermahnungen und Weitläufig¬
keiten waren denn endlich von den Ständen die Kontingente gestellt worden und


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[0222] Standesherr die gebieterische Aufforderung mit Widerwillen und vollzog sie endlich aus Furcht. — Werbung war das üblichste Mittel der Contingents- gestaltung, um so mehr, als die wenigen Mannschaften eine allgemeine Aus¬ hebung nicht erforderten; vielfach wurde auch gelöst und dann kaufte der Reiche sich los und brachte irgendeinen armen Teufel, Deserteur, Landläufer, Zigeu¬ ner als seinen Stellvertreter auf, es genügte, wenn der Stand nur überhaupt so und so viel Mann stellte. Einige Stände, unter andern die Stadt Ulm, halfen sich durch Oeffnen der Zuchthäuser no,es bequemer aus der Recruten- verlegenheit, andere, namentlich die Fürsten, bedienten sich der Gewalt; so wurde in Würtemberg, Baden, Constanz, Würzburg, Münster, Trier nicht ge¬ löst, sondern die Söhne der Unterthanen eingefangen und in die Uniform ge¬ steckt. Desertirte einer, so zog der Fürst sein Erbtheil ein. So bildeten Pro¬ letarier, Landstreicher und Ausgestoßene der Gesellschaft die große Masse der Reichsarmee. — Die kleinen Kontingente, jedes für sich nach Geschmack und Mitteln ausgerüstet, stießen truppweise (oft über 20) zu buntscheckigen Re¬ gimentern zusammen und die Art und Weise, wie man die Ofsizierstellen besetzte, konnte dieser Mannschaft würdig befunden werden. Sie waren, wo nicht ^in Stand gleich eine ganze Compagnie oder gar ein Regiment stellte, einzeln, zu zweien, wie es kam, auf die Stände vertheilt. So stellte z. B. zu einer combinirten Compagnie die Reichsstadt Gmünd den Hauptmann, Rottweil den ersten, Nottenmünster den zweiten Lieutenant und Gengenbach den Fähndrich; der Magistrat zu Gmünd und Rottweil, die Aebtissin zu Rotten¬ münster und der Prälat von Gengenbach wählten diese Offiziere nach Gunst und Gutachten. Hatte der Stand zwei Stellen, so war eS lediglich seine Sache/ wen er über den andern setzte. Geld und Gut, Adel und jene verborgene, aber mächtige Triebfeder: die Weibergunst waren die gewöhnlichsten Wege zur Erreichung einer Stelle, Gastwirthssöhne und Schulzenneffen deren gewöhn¬ liche Kandidaten. Auch in der formirter Compagnie konnte doch nur der Stand seine Stelle wieder besetzen, niemand konnte aus seinem Stande heraus avan- ciren, daher waren unbärtige Hauptleute und eisgraue Fähndriche nebenein¬ ander keine seltene Erscheinung. Die hohen Offiziere allein wurden von den krcisausschreibenden Fürsten bestimmt. — Die Unteroffiziere wurden von den Reichsständen ebenso angestellt, wie die Offiziere. Wer dem Stande gefiel, einen guten Freund bei dem hochlöb¬ lichen Magistrate oder den Beichtvater des Nonnenklosters für sich hatte, ward Feldwebel, Fourier oder Corporal. Auch Subjecte, welche der Stadt zur Last fielen, wie Trunkenbolde und relegirte Studenten waren durch solche Anstel¬ lungen mit guter Art auf Seite zu schaffen. — Nach langer Mühe, vielen Drohungen, Ermahnungen und Weitläufig¬ keiten waren denn endlich von den Ständen die Kontingente gestellt worden und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/222>, abgerufen am 23.07.2024.