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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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vergangene Woche. Nach der großen Frende ist eine Reaction der Stimmungen ein¬
getreten, der ernste Wille Rußlands, Frieden zu schließen, wird bezweifelt und
die Bedeutung der unbedingten Annahme herabgesetzt.

Zwar ist es noch weit bis zum Abschluß der Friedensverträge, aber was Ru߬
land angenommen hat, sind doch die Grundbedingungen des Friedens, dnrch die
Alliirten formulirt und dnrch Oestreich, (mit kleinen Abweichungen im Text) den
Russen vorgelegt.

Was aber Rußland durch die Annahme der Propositionen bewilligt hat, ist doch
nicht wenig und die größte Einbuße, - die dieser Staat seit Peter dem Großen erfahren,
denn es i.se: Zunächst vollständige Aufhebung des russischen Prvtcctorats über die
Donaufürstenthümer. Die Moldau und Walachei sollen unter oberster Souveränetät
der Pforte eine Organisation erhalten, welche nicht nnr ihre innere Selbstständigkeit
sichert, sondern auch ihre Militärkrast zu einem desensivcn System (natürlich gegen Ru߬
land) verstärkt. -- Nußland tritt einen nicht unbedeutenden Grcnzstnch an die Fürsten-
thümer und an die Souveränetät der Pforte ab. Die Freiheit der Donau und ihrer
Mündungen wird durch europäische Institutionen gesichert. Jede der contrahiren-
den Mächte wird das Recht haben, ein oder zwei leichte Kriegsschiffe an den Mün¬
dungen des Stromes aufzustellen, welche die Ausführung der auf die Donau bezüglichen
Reglements sichern sollen. Das schwarze Meer wird neutralisirt. Seinen Gewässern sind
Kriegsschiffe untersagt. An seinen Küsten dürfen Seckricgsarscnale weder errichtet,
noch erhalten werden. Rußland und die Türkei verpflichten sich gegenseitig daselbst
nnr eine Zahl leichter Schiffe von einer bestimmten Stärke für den Küstendienst zu
halten. Die religiösen und politischen Rechte der türkischen Rajah sollen durch Ver¬
handlungen zwischen der westlichen Partei und der hohen Pforte geregelt werden,
bevor Rußland bei Abschluß des Friedens eingeladen wird, an den Verhandlungen
Theil zu nehmen. -- Zum Schluß behalten sich die Wcstmächte vor, im europäischen
Interesse noch andere Bedingungen zu stellen.

Mit welchen Erwartungen man auch den großen Ereignissen des letzten Krieges
zusah, nach dem gegenwärtigen Stand der kriegerischen Operationen war ein größeres
Resultat für die Alliirten nicht zu erwarten.

Es ist nicht zu bezweifeln, daß zu der Zeit, in welcher die Friedensbedingungen
angenommen sind, das lebhafte Gefühl von der Nothwendigkeit des Friedens für
Rußland vorhanden war und ebenso gewiß ist, daß die Westmächte aus verschiedenen
Gründen ein ehrenvolles Arrangement, der orientalischen Angelegenheiten wünschen.
Beide Theile freilich in der Ueberzeugung, daß der Friede nur so lange dauern
wird, bis Nußland seinen Schienenweg nach dem schwarzen Meere gebaut hat, und
bis Preußen und Deutschland in der Lage sein werden, ihre bisherige Politik
zu verlassen.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verautwortl. Redacteur legitimirN F. W. Grunow. -- Verlag von F. v. Herbig
n> Leipzig.
Druck von C. E. Albert in Leipztg,

vergangene Woche. Nach der großen Frende ist eine Reaction der Stimmungen ein¬
getreten, der ernste Wille Rußlands, Frieden zu schließen, wird bezweifelt und
die Bedeutung der unbedingten Annahme herabgesetzt.

Zwar ist es noch weit bis zum Abschluß der Friedensverträge, aber was Ru߬
land angenommen hat, sind doch die Grundbedingungen des Friedens, dnrch die
Alliirten formulirt und dnrch Oestreich, (mit kleinen Abweichungen im Text) den
Russen vorgelegt.

Was aber Rußland durch die Annahme der Propositionen bewilligt hat, ist doch
nicht wenig und die größte Einbuße, - die dieser Staat seit Peter dem Großen erfahren,
denn es i.se: Zunächst vollständige Aufhebung des russischen Prvtcctorats über die
Donaufürstenthümer. Die Moldau und Walachei sollen unter oberster Souveränetät
der Pforte eine Organisation erhalten, welche nicht nnr ihre innere Selbstständigkeit
sichert, sondern auch ihre Militärkrast zu einem desensivcn System (natürlich gegen Ru߬
land) verstärkt. — Nußland tritt einen nicht unbedeutenden Grcnzstnch an die Fürsten-
thümer und an die Souveränetät der Pforte ab. Die Freiheit der Donau und ihrer
Mündungen wird durch europäische Institutionen gesichert. Jede der contrahiren-
den Mächte wird das Recht haben, ein oder zwei leichte Kriegsschiffe an den Mün¬
dungen des Stromes aufzustellen, welche die Ausführung der auf die Donau bezüglichen
Reglements sichern sollen. Das schwarze Meer wird neutralisirt. Seinen Gewässern sind
Kriegsschiffe untersagt. An seinen Küsten dürfen Seckricgsarscnale weder errichtet,
noch erhalten werden. Rußland und die Türkei verpflichten sich gegenseitig daselbst
nnr eine Zahl leichter Schiffe von einer bestimmten Stärke für den Küstendienst zu
halten. Die religiösen und politischen Rechte der türkischen Rajah sollen durch Ver¬
handlungen zwischen der westlichen Partei und der hohen Pforte geregelt werden,
bevor Rußland bei Abschluß des Friedens eingeladen wird, an den Verhandlungen
Theil zu nehmen. — Zum Schluß behalten sich die Wcstmächte vor, im europäischen
Interesse noch andere Bedingungen zu stellen.

Mit welchen Erwartungen man auch den großen Ereignissen des letzten Krieges
zusah, nach dem gegenwärtigen Stand der kriegerischen Operationen war ein größeres
Resultat für die Alliirten nicht zu erwarten.

Es ist nicht zu bezweifeln, daß zu der Zeit, in welcher die Friedensbedingungen
angenommen sind, das lebhafte Gefühl von der Nothwendigkeit des Friedens für
Rußland vorhanden war und ebenso gewiß ist, daß die Westmächte aus verschiedenen
Gründen ein ehrenvolles Arrangement, der orientalischen Angelegenheiten wünschen.
Beide Theile freilich in der Ueberzeugung, daß der Friede nur so lange dauern
wird, bis Nußland seinen Schienenweg nach dem schwarzen Meere gebaut hat, und
bis Preußen und Deutschland in der Lage sein werden, ihre bisherige Politik
zu verlassen.




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verautwortl. Redacteur legitimirN F. W. Grunow. — Verlag von F. v. Herbig
n> Leipzig.
Druck von C. E. Albert in Leipztg,
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[0208] vergangene Woche. Nach der großen Frende ist eine Reaction der Stimmungen ein¬ getreten, der ernste Wille Rußlands, Frieden zu schließen, wird bezweifelt und die Bedeutung der unbedingten Annahme herabgesetzt. Zwar ist es noch weit bis zum Abschluß der Friedensverträge, aber was Ru߬ land angenommen hat, sind doch die Grundbedingungen des Friedens, dnrch die Alliirten formulirt und dnrch Oestreich, (mit kleinen Abweichungen im Text) den Russen vorgelegt. Was aber Rußland durch die Annahme der Propositionen bewilligt hat, ist doch nicht wenig und die größte Einbuße, - die dieser Staat seit Peter dem Großen erfahren, denn es i.se: Zunächst vollständige Aufhebung des russischen Prvtcctorats über die Donaufürstenthümer. Die Moldau und Walachei sollen unter oberster Souveränetät der Pforte eine Organisation erhalten, welche nicht nnr ihre innere Selbstständigkeit sichert, sondern auch ihre Militärkrast zu einem desensivcn System (natürlich gegen Ru߬ land) verstärkt. — Nußland tritt einen nicht unbedeutenden Grcnzstnch an die Fürsten- thümer und an die Souveränetät der Pforte ab. Die Freiheit der Donau und ihrer Mündungen wird durch europäische Institutionen gesichert. Jede der contrahiren- den Mächte wird das Recht haben, ein oder zwei leichte Kriegsschiffe an den Mün¬ dungen des Stromes aufzustellen, welche die Ausführung der auf die Donau bezüglichen Reglements sichern sollen. Das schwarze Meer wird neutralisirt. Seinen Gewässern sind Kriegsschiffe untersagt. An seinen Küsten dürfen Seckricgsarscnale weder errichtet, noch erhalten werden. Rußland und die Türkei verpflichten sich gegenseitig daselbst nnr eine Zahl leichter Schiffe von einer bestimmten Stärke für den Küstendienst zu halten. Die religiösen und politischen Rechte der türkischen Rajah sollen durch Ver¬ handlungen zwischen der westlichen Partei und der hohen Pforte geregelt werden, bevor Rußland bei Abschluß des Friedens eingeladen wird, an den Verhandlungen Theil zu nehmen. — Zum Schluß behalten sich die Wcstmächte vor, im europäischen Interesse noch andere Bedingungen zu stellen. Mit welchen Erwartungen man auch den großen Ereignissen des letzten Krieges zusah, nach dem gegenwärtigen Stand der kriegerischen Operationen war ein größeres Resultat für die Alliirten nicht zu erwarten. Es ist nicht zu bezweifeln, daß zu der Zeit, in welcher die Friedensbedingungen angenommen sind, das lebhafte Gefühl von der Nothwendigkeit des Friedens für Rußland vorhanden war und ebenso gewiß ist, daß die Westmächte aus verschiedenen Gründen ein ehrenvolles Arrangement, der orientalischen Angelegenheiten wünschen. Beide Theile freilich in der Ueberzeugung, daß der Friede nur so lange dauern wird, bis Nußland seinen Schienenweg nach dem schwarzen Meere gebaut hat, und bis Preußen und Deutschland in der Lage sein werden, ihre bisherige Politik zu verlassen. Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt. Als verautwortl. Redacteur legitimirN F. W. Grunow. — Verlag von F. v. Herbig n> Leipzig. Druck von C. E. Albert in Leipztg,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/208>, abgerufen am 23.07.2024.