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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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den Samen der Waldbäume an die verfaulten Balken geworfen, verkrüp¬
pelte Kiefern und Fichten waren über den Trümmern aufgeschossen und der
Wols heulte um die unheimliche Stätte. Nicht viel besser war es in den
Städten. Gedrückt und verschüchtert saß der Handwerker in seinem öden Hause,
in dem die zügellosen Haufen aller Parteien nach der Reihe ihn und die
Seinen mißhandelt hatten, und in den großen Reichsstädten sahen die Enkel
der alten Geschlechter, welche einst in ihre weiten Speicher die Kostbarkeiten
der ganzen Welt mit dem Selbstgefühl reicher Handelsherrn zu Kauf und Verkauf
eingeführt hatten, daß der Credit ihrer Häuser vernichtet, die alten Handelsstraßen
verödet waren, und kleinmüthig hörten sie,'daß das Geld und die Waaren, der
Stolz und der Reichthum jetzt außerhalb der deutschen Grenzen in fremden Ländern
sich aufsammelten. Die Blüte einer großen Nation, ein glänzendes, farbenreiches
Leben, war in Greuel und Blut untergegangen. Wol war einem Theil des
Landes der Sieg gewonnen, der protestantische Glaube war gerettet, den Er¬
oberungsplänen der Habsburger war ein Ziel gesetzt. Aber es war ein theuer
erkaufter Sieg. Daß die Hälfte des mittlern und nördlichen Deutschlands in
dem Kriege starb und verdarb, das dürfen wir ohne Uebertreibung annehmen.
Mehr als die Hälfte war es in der Mark, in Schlesien, Pommern, Sachsen
und Thüringen. Und unter denen, die das Schwert verschont hatte, wüthete
in den ersten Friedensjahren noch der Hunger und die Pest.

So kam es, daß hundert Jahre nach dem Krieg das deutsche Volk in
Kraftlosigkeit und Siechthum lag. Unterdeß gingen die größten Aenderungen
im Gemüth der Einzelnen, wie in dem Bau der Staaten vor sich. Die alten
Feudaleinrichtungcn des Mittelalters waren durchlöchert, wie die Mauern der
Städte, die festgeschlossenen Kreise der Privilegien aller Stände, die Verbände
des Adels, das Selbstregimcnt der Communen, die Kraft der Zünfte, die große
Mannigfaltigkeit der Gesetze, Rechte und Statuten hatte ihre Bedeutung ver¬
loren. Nur eins war übrig geblieben, ja es war größer geworden, die Macht
derer, welche Soldaten hielten, Gewalt und Einfluß der Fürsten. Aus den
Resten des Volks suchten diese sich ein neues Volk zu bilden, über welches der
Landesherr mit seinen Dienern unbeschränkt herrschte. Wie Kolonisten aus frischem
Boden, setzten sie neue Marksteine des Lebens auf und zogen für sich eine neue
unterthänige Bevölkerung. Sie befahlen Kinder zu zeugen und zu arbeiten,
um wieder Einkünfte zu erhalten, Soldaten zu drillen und das eigne Ansehn
unter ihres Gleichen zu mehren. Einzelne staatökluge Fürsten legten in dieser
Zeit den Grund zur Größe ihres Hauses. Aber nicht allen wollte ähnliches
gelingen, wie den Hohenzollern, welche in stetem Kampf mit den Slawen sich
eifrig und stark erhielten. Wie alles in Deutschland einschrumpfte und kleiner
wurde, so auch der Egoismus der Herrschenden. Sie hielten gern viele
Soldaten, auch kleine Landesherren warben zuweilen ganze Heere und vermie-


den Samen der Waldbäume an die verfaulten Balken geworfen, verkrüp¬
pelte Kiefern und Fichten waren über den Trümmern aufgeschossen und der
Wols heulte um die unheimliche Stätte. Nicht viel besser war es in den
Städten. Gedrückt und verschüchtert saß der Handwerker in seinem öden Hause,
in dem die zügellosen Haufen aller Parteien nach der Reihe ihn und die
Seinen mißhandelt hatten, und in den großen Reichsstädten sahen die Enkel
der alten Geschlechter, welche einst in ihre weiten Speicher die Kostbarkeiten
der ganzen Welt mit dem Selbstgefühl reicher Handelsherrn zu Kauf und Verkauf
eingeführt hatten, daß der Credit ihrer Häuser vernichtet, die alten Handelsstraßen
verödet waren, und kleinmüthig hörten sie,'daß das Geld und die Waaren, der
Stolz und der Reichthum jetzt außerhalb der deutschen Grenzen in fremden Ländern
sich aufsammelten. Die Blüte einer großen Nation, ein glänzendes, farbenreiches
Leben, war in Greuel und Blut untergegangen. Wol war einem Theil des
Landes der Sieg gewonnen, der protestantische Glaube war gerettet, den Er¬
oberungsplänen der Habsburger war ein Ziel gesetzt. Aber es war ein theuer
erkaufter Sieg. Daß die Hälfte des mittlern und nördlichen Deutschlands in
dem Kriege starb und verdarb, das dürfen wir ohne Uebertreibung annehmen.
Mehr als die Hälfte war es in der Mark, in Schlesien, Pommern, Sachsen
und Thüringen. Und unter denen, die das Schwert verschont hatte, wüthete
in den ersten Friedensjahren noch der Hunger und die Pest.

So kam es, daß hundert Jahre nach dem Krieg das deutsche Volk in
Kraftlosigkeit und Siechthum lag. Unterdeß gingen die größten Aenderungen
im Gemüth der Einzelnen, wie in dem Bau der Staaten vor sich. Die alten
Feudaleinrichtungcn des Mittelalters waren durchlöchert, wie die Mauern der
Städte, die festgeschlossenen Kreise der Privilegien aller Stände, die Verbände
des Adels, das Selbstregimcnt der Communen, die Kraft der Zünfte, die große
Mannigfaltigkeit der Gesetze, Rechte und Statuten hatte ihre Bedeutung ver¬
loren. Nur eins war übrig geblieben, ja es war größer geworden, die Macht
derer, welche Soldaten hielten, Gewalt und Einfluß der Fürsten. Aus den
Resten des Volks suchten diese sich ein neues Volk zu bilden, über welches der
Landesherr mit seinen Dienern unbeschränkt herrschte. Wie Kolonisten aus frischem
Boden, setzten sie neue Marksteine des Lebens auf und zogen für sich eine neue
unterthänige Bevölkerung. Sie befahlen Kinder zu zeugen und zu arbeiten,
um wieder Einkünfte zu erhalten, Soldaten zu drillen und das eigne Ansehn
unter ihres Gleichen zu mehren. Einzelne staatökluge Fürsten legten in dieser
Zeit den Grund zur Größe ihres Hauses. Aber nicht allen wollte ähnliches
gelingen, wie den Hohenzollern, welche in stetem Kampf mit den Slawen sich
eifrig und stark erhielten. Wie alles in Deutschland einschrumpfte und kleiner
wurde, so auch der Egoismus der Herrschenden. Sie hielten gern viele
Soldaten, auch kleine Landesherren warben zuweilen ganze Heere und vermie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/20>, abgerufen am 23.07.2024.