Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.schmacks ruhig ihrem eignen Schicksale überlassen, da ans alle Fälle die Aber Wagners Stücke wirken schädlich, weil sie einer sehr verbreiteten schmacks ruhig ihrem eignen Schicksale überlassen, da ans alle Fälle die Aber Wagners Stücke wirken schädlich, weil sie einer sehr verbreiteten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101191"/> <p xml:id="ID_567" prev="#ID_566"> schmacks ruhig ihrem eignen Schicksale überlassen, da ans alle Fälle die<lb/> wagnerschen Opern keinen bessern den Platz vertreten; wo nichts Gutes ge¬<lb/> schrieben wird, hat auch die Mittelmäßigkeit eine gewisse Berechtigung, wenn<lb/> sie mit Anstand und Schicklichkeit ausgeübt wird; und das kann Wagner<lb/> niemand bestreiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_568" next="#ID_569"> Aber Wagners Stücke wirken schädlich, weil sie einer sehr verbreiteten<lb/> Richtung im Gemüthsleben des deutschen Volks entsprechen. Man rühmt die<lb/> deutsche Ehrlichkeit und mit Recht, wenn man nur einzelne Seiten des deut¬<lb/> schen Lebens ins Auge faßt. Aber man könnte auch ein Lied von der deut¬<lb/> schen Windbeutelei singen d. h. von der Neigung des deutschen Volks, sich in<lb/> Illusionen einzuwiegen: — man nannte das sonst den deutschen Idealismus.<lb/> Beides sind Charakterzüge, die eine sehr tiefe Wurzel in unserm Gemüth haben,<lb/> nur muß man den einen aus allen Kräften fördern, den andern ans allen<lb/> Kräften bekämpfen. . In -unsrer Zeit, wo keine Form in fester Geschlossenheit<lb/> der andern gegenübertritt, ist es charakteristisch, daß Wagner zuerst von der<lb/> sogenannten Demokratie getragen wurde. Die Erscheinung steht nicht vereinzelt<lb/> da, wurden doch auch die Ritter vom Geist vorzugsweise als Handbuch der<lb/> höhern Demokratie gefeiert. Die Ritter vom Geist sind aber Leute, welche von<lb/> sich die Ueberzeugung haben, verkannte Genies zu sein und nebenbei die dunkle<lb/> Empfindung, daß in dem Bestehenden irgendwo irgendetwas nicht in Ordnung<lb/> sei und daß in Zukunft irgendwann, irgendwie, irgendwo etwas anders werden<lb/> müsse. Da ihnen alles dies nur dunkel vorschwebt, so können sie natürlich<lb/> für einen bestimmten Zweck nicht arbeiten, sie gründen aber doch einen<lb/> geheimen Bund, der zunächst die Aufgabe hat, seine Mitglieder auf jede mög¬<lb/> liche Weise zu poussiren. Es ist im Grunde genommen eine schöngeistige<lb/> Kameraderie. Im großen Maßstabe ist das bei den Musikern der Zukunft<lb/> durchgeführt und wir finden es daher sehr natürlich, daß Dankmar Wildlingen<lb/> sich gleichfalls in diese Association hat aufnehmen lassen. Die Zukunftsmusiker sind<lb/> nicht Musiker, die eine bestimmte Ueberzeugung vertreten, sondern sehr weit<lb/> auseinandergehende Richtungen und Talente, die sich aber in der Ansicht be¬<lb/> gegnen, daß Wagner, Liszt, Berlioz, BrahmS, Franz, Raff u. s. w. große<lb/> Männer sind. Der charakteristische Zug dieser ganzen Verbindung ist der, daß<lb/> sie meistens bona unis handeln; ganz kann man zwar menschliche Gesichtspunkte<lb/> nicht ausschließen. So bleibt es z.B. immer höchst merkwürdig, daß Wagner<lb/> in „Oper und Drama" die Musik von Berlioz als die Musik der absoluten<lb/> Verrücktheit bezeichnet und daß seit der Gründung der Association diese beiden<lb/> Größen trotzdem ganz friedlich nebeneinander gehen. Aber in der Hauptsache sind<lb/> wir überzeugt und sprechen das nicht blos als eine cspwtio bönsvolentiae<lb/> aus, daß die meisten Anhänger der neuen Schule von einem ehrlichen Fana¬<lb/> tismus erfüllt sind, daß sie die feste Ueberzeugung hegen, der Welt etwas Neues</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
schmacks ruhig ihrem eignen Schicksale überlassen, da ans alle Fälle die
wagnerschen Opern keinen bessern den Platz vertreten; wo nichts Gutes ge¬
schrieben wird, hat auch die Mittelmäßigkeit eine gewisse Berechtigung, wenn
sie mit Anstand und Schicklichkeit ausgeübt wird; und das kann Wagner
niemand bestreiten.
Aber Wagners Stücke wirken schädlich, weil sie einer sehr verbreiteten
Richtung im Gemüthsleben des deutschen Volks entsprechen. Man rühmt die
deutsche Ehrlichkeit und mit Recht, wenn man nur einzelne Seiten des deut¬
schen Lebens ins Auge faßt. Aber man könnte auch ein Lied von der deut¬
schen Windbeutelei singen d. h. von der Neigung des deutschen Volks, sich in
Illusionen einzuwiegen: — man nannte das sonst den deutschen Idealismus.
Beides sind Charakterzüge, die eine sehr tiefe Wurzel in unserm Gemüth haben,
nur muß man den einen aus allen Kräften fördern, den andern ans allen
Kräften bekämpfen. . In -unsrer Zeit, wo keine Form in fester Geschlossenheit
der andern gegenübertritt, ist es charakteristisch, daß Wagner zuerst von der
sogenannten Demokratie getragen wurde. Die Erscheinung steht nicht vereinzelt
da, wurden doch auch die Ritter vom Geist vorzugsweise als Handbuch der
höhern Demokratie gefeiert. Die Ritter vom Geist sind aber Leute, welche von
sich die Ueberzeugung haben, verkannte Genies zu sein und nebenbei die dunkle
Empfindung, daß in dem Bestehenden irgendwo irgendetwas nicht in Ordnung
sei und daß in Zukunft irgendwann, irgendwie, irgendwo etwas anders werden
müsse. Da ihnen alles dies nur dunkel vorschwebt, so können sie natürlich
für einen bestimmten Zweck nicht arbeiten, sie gründen aber doch einen
geheimen Bund, der zunächst die Aufgabe hat, seine Mitglieder auf jede mög¬
liche Weise zu poussiren. Es ist im Grunde genommen eine schöngeistige
Kameraderie. Im großen Maßstabe ist das bei den Musikern der Zukunft
durchgeführt und wir finden es daher sehr natürlich, daß Dankmar Wildlingen
sich gleichfalls in diese Association hat aufnehmen lassen. Die Zukunftsmusiker sind
nicht Musiker, die eine bestimmte Ueberzeugung vertreten, sondern sehr weit
auseinandergehende Richtungen und Talente, die sich aber in der Ansicht be¬
gegnen, daß Wagner, Liszt, Berlioz, BrahmS, Franz, Raff u. s. w. große
Männer sind. Der charakteristische Zug dieser ganzen Verbindung ist der, daß
sie meistens bona unis handeln; ganz kann man zwar menschliche Gesichtspunkte
nicht ausschließen. So bleibt es z.B. immer höchst merkwürdig, daß Wagner
in „Oper und Drama" die Musik von Berlioz als die Musik der absoluten
Verrücktheit bezeichnet und daß seit der Gründung der Association diese beiden
Größen trotzdem ganz friedlich nebeneinander gehen. Aber in der Hauptsache sind
wir überzeugt und sprechen das nicht blos als eine cspwtio bönsvolentiae
aus, daß die meisten Anhänger der neuen Schule von einem ehrlichen Fana¬
tismus erfüllt sind, daß sie die feste Ueberzeugung hegen, der Welt etwas Neues
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