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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Fanatismus der Wiedertäufer ausgemalt zu haben. Im Schlüsse des Acts,
von dem Eintritt der Elisabeth an erhebt sich der Componist wieder, und der
letzte Satz ist eine der gelungensten Stellen der Oper.

Der letzte Act leistet in Beziehung auf Declamation das Höchste; gegen
die Richtigkeit des Ausdrucks in dem Bericht Tannhäusers von seiner Pilger¬
fahrt läßt sich wenig, oder nichts einwenden. Hier hatte auch der berliner
Maschinist alles Mögliche geleistet; der Abendstern war getreu nach der Natur
copirt, und die Stimmung der Landschaft paßte vortrefflich zu dem düstern
Gemälde, das sich vor unsern Augen entrollte. Trotzdem macht der letzte
Act auf jede natürliche Empfindung den ungünstigsten Eindruck, denn die .ewige
Declamation und die unausgesetzt verzweifelte Stimmung bringt entweder auf
die Nerven einen krankhaften Reiz hervor oder, was das natürlichere ist, sie
schläfert durch ihre Monotonie ein; man kann sagen, daß zuletzt die ganze
Oper einschläft; denn die letzten Ereignisse, der Tod der Elisabeth, die Rück¬
kehr der jüngern Pilger, der Bericht von dem Wunder am dürren Holz, die
Entführung und der Tod des Tannhäuser -- das alles verschwimmt so
träumerisch ineinander, daß man zerstreut wird, und die Unterschiede nicht
mehr beachtet. Anstatt uns zu erheben, wie. das Drama und namentlich die
Oper soll, deprimirt uns der Schluß mit seiner gemachten christlichen Resig¬
nation, und wir athmen erst wieder auf, we> n wir inS Freie kommen.

Im Allgemeinen soll man jedes Kunstwerk aus sich selbst erklären, recht¬
fertigen oder verwerfen; aber bei Wagner drängt sich zu sehr die Ueberzeugung
auf, daß er ein Romantiker ist, d. h., daß er zu künstlerischen Zwecken seine
ideellen Motive erfindet und erdichtet. Er hat für seine Oper eine angemessene
Färbung und Stimmung gesucht, und hat diese in einem christlichen Glauben
gesunden, welcher aus die Art, wie er ihn schildert, nie eristirt hat, und welcher
vor allem nicht der seinige ist. Es ist im Lohengrin ganz derselbe Fall. So
etwas rächt sich aber auch in künstlerischer Beziehung; sein Princip drängt sich
nicht mit genialer Naturkraft hervor, welche aus der Vereinigung des Glau¬
bens mit dem schöpferischen Talent entspringt, sondern man sieht überall, daß
er sich die Stimmung erst künstlich zurecht macht. Auf den ersten Anblick sollte
man sich darüber wundern, daß sich nicht die Reaction der beiden Opern be¬
mächtigt hat. Ein musikalisch durchgeführtes, spiritualistisches Christenthum sollte
den Herren Gerlach und Stahl recht gelegen kommen, aber sie merken ganz
richtig, daß dies ganze Christenthum nur Flitterkram ist, mit dem sich die
Blasirtheit des Unglaubens ausputzt. Und dies möchte ich auch als den
Hauptgrund anführen, warum es nöthig ist, fortwährend gegen Wagner zu
polcmisiren. Bei den übrigen Zukunftsmusikern hat es keine Noth, denn sie
finden in der Zeitstimmung nichts Entsprechendes, wodurch sie schädlich wirken
könnten. In ästhetischer Beziehung könnte man die Entwicklung des Ge-


Fanatismus der Wiedertäufer ausgemalt zu haben. Im Schlüsse des Acts,
von dem Eintritt der Elisabeth an erhebt sich der Componist wieder, und der
letzte Satz ist eine der gelungensten Stellen der Oper.

Der letzte Act leistet in Beziehung auf Declamation das Höchste; gegen
die Richtigkeit des Ausdrucks in dem Bericht Tannhäusers von seiner Pilger¬
fahrt läßt sich wenig, oder nichts einwenden. Hier hatte auch der berliner
Maschinist alles Mögliche geleistet; der Abendstern war getreu nach der Natur
copirt, und die Stimmung der Landschaft paßte vortrefflich zu dem düstern
Gemälde, das sich vor unsern Augen entrollte. Trotzdem macht der letzte
Act auf jede natürliche Empfindung den ungünstigsten Eindruck, denn die .ewige
Declamation und die unausgesetzt verzweifelte Stimmung bringt entweder auf
die Nerven einen krankhaften Reiz hervor oder, was das natürlichere ist, sie
schläfert durch ihre Monotonie ein; man kann sagen, daß zuletzt die ganze
Oper einschläft; denn die letzten Ereignisse, der Tod der Elisabeth, die Rück¬
kehr der jüngern Pilger, der Bericht von dem Wunder am dürren Holz, die
Entführung und der Tod des Tannhäuser — das alles verschwimmt so
träumerisch ineinander, daß man zerstreut wird, und die Unterschiede nicht
mehr beachtet. Anstatt uns zu erheben, wie. das Drama und namentlich die
Oper soll, deprimirt uns der Schluß mit seiner gemachten christlichen Resig¬
nation, und wir athmen erst wieder auf, we> n wir inS Freie kommen.

Im Allgemeinen soll man jedes Kunstwerk aus sich selbst erklären, recht¬
fertigen oder verwerfen; aber bei Wagner drängt sich zu sehr die Ueberzeugung
auf, daß er ein Romantiker ist, d. h., daß er zu künstlerischen Zwecken seine
ideellen Motive erfindet und erdichtet. Er hat für seine Oper eine angemessene
Färbung und Stimmung gesucht, und hat diese in einem christlichen Glauben
gesunden, welcher aus die Art, wie er ihn schildert, nie eristirt hat, und welcher
vor allem nicht der seinige ist. Es ist im Lohengrin ganz derselbe Fall. So
etwas rächt sich aber auch in künstlerischer Beziehung; sein Princip drängt sich
nicht mit genialer Naturkraft hervor, welche aus der Vereinigung des Glau¬
bens mit dem schöpferischen Talent entspringt, sondern man sieht überall, daß
er sich die Stimmung erst künstlich zurecht macht. Auf den ersten Anblick sollte
man sich darüber wundern, daß sich nicht die Reaction der beiden Opern be¬
mächtigt hat. Ein musikalisch durchgeführtes, spiritualistisches Christenthum sollte
den Herren Gerlach und Stahl recht gelegen kommen, aber sie merken ganz
richtig, daß dies ganze Christenthum nur Flitterkram ist, mit dem sich die
Blasirtheit des Unglaubens ausputzt. Und dies möchte ich auch als den
Hauptgrund anführen, warum es nöthig ist, fortwährend gegen Wagner zu
polcmisiren. Bei den übrigen Zukunftsmusikern hat es keine Noth, denn sie
finden in der Zeitstimmung nichts Entsprechendes, wodurch sie schädlich wirken
könnten. In ästhetischer Beziehung könnte man die Entwicklung des Ge-


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[0197] Fanatismus der Wiedertäufer ausgemalt zu haben. Im Schlüsse des Acts, von dem Eintritt der Elisabeth an erhebt sich der Componist wieder, und der letzte Satz ist eine der gelungensten Stellen der Oper. Der letzte Act leistet in Beziehung auf Declamation das Höchste; gegen die Richtigkeit des Ausdrucks in dem Bericht Tannhäusers von seiner Pilger¬ fahrt läßt sich wenig, oder nichts einwenden. Hier hatte auch der berliner Maschinist alles Mögliche geleistet; der Abendstern war getreu nach der Natur copirt, und die Stimmung der Landschaft paßte vortrefflich zu dem düstern Gemälde, das sich vor unsern Augen entrollte. Trotzdem macht der letzte Act auf jede natürliche Empfindung den ungünstigsten Eindruck, denn die .ewige Declamation und die unausgesetzt verzweifelte Stimmung bringt entweder auf die Nerven einen krankhaften Reiz hervor oder, was das natürlichere ist, sie schläfert durch ihre Monotonie ein; man kann sagen, daß zuletzt die ganze Oper einschläft; denn die letzten Ereignisse, der Tod der Elisabeth, die Rück¬ kehr der jüngern Pilger, der Bericht von dem Wunder am dürren Holz, die Entführung und der Tod des Tannhäuser — das alles verschwimmt so träumerisch ineinander, daß man zerstreut wird, und die Unterschiede nicht mehr beachtet. Anstatt uns zu erheben, wie. das Drama und namentlich die Oper soll, deprimirt uns der Schluß mit seiner gemachten christlichen Resig¬ nation, und wir athmen erst wieder auf, we> n wir inS Freie kommen. Im Allgemeinen soll man jedes Kunstwerk aus sich selbst erklären, recht¬ fertigen oder verwerfen; aber bei Wagner drängt sich zu sehr die Ueberzeugung auf, daß er ein Romantiker ist, d. h., daß er zu künstlerischen Zwecken seine ideellen Motive erfindet und erdichtet. Er hat für seine Oper eine angemessene Färbung und Stimmung gesucht, und hat diese in einem christlichen Glauben gesunden, welcher aus die Art, wie er ihn schildert, nie eristirt hat, und welcher vor allem nicht der seinige ist. Es ist im Lohengrin ganz derselbe Fall. So etwas rächt sich aber auch in künstlerischer Beziehung; sein Princip drängt sich nicht mit genialer Naturkraft hervor, welche aus der Vereinigung des Glau¬ bens mit dem schöpferischen Talent entspringt, sondern man sieht überall, daß er sich die Stimmung erst künstlich zurecht macht. Auf den ersten Anblick sollte man sich darüber wundern, daß sich nicht die Reaction der beiden Opern be¬ mächtigt hat. Ein musikalisch durchgeführtes, spiritualistisches Christenthum sollte den Herren Gerlach und Stahl recht gelegen kommen, aber sie merken ganz richtig, daß dies ganze Christenthum nur Flitterkram ist, mit dem sich die Blasirtheit des Unglaubens ausputzt. Und dies möchte ich auch als den Hauptgrund anführen, warum es nöthig ist, fortwährend gegen Wagner zu polcmisiren. Bei den übrigen Zukunftsmusikern hat es keine Noth, denn sie finden in der Zeitstimmung nichts Entsprechendes, wodurch sie schädlich wirken könnten. In ästhetischer Beziehung könnte man die Entwicklung des Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/197>, abgerufen am 23.07.2024.