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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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l>r. Friedrich Fabri, Pfarrer, Briefe gegen den Materialismus. Stuttgart, 1836.

In letzter Zeit ist durch Bücher und Zeitschriften eine solche Flut ver¬
schiedenartiger Ansichten über den Materialismus und verwandte Begriffe er¬
gossen morden, daß jemand, der sich für die Sache interessirt, kaum alles zu
lesen im Stande ist. Leider ist überdies die Ausbeute, welche diese Lectüre
gibt, eine verhältnißmäßig geringe, so daß wir nicht für nöthig gehalten
haben, unsren Lesern damit beschwerlich zu fallen. Denn der Streit dreht
sich theils um Punkte, über welche lediglich mit Worten gefochten werden
kann, theils fehlt es manchen Schriftstellern an positiven Kenntnissen und
an reiflichem Nachdenken. Einzelne Abhandlungen machen um so erfreulichere
Ausnahmen.

Wir möchten aber die Aufmerksamkeit unsrer Leser aus das obengenannte
Buch deshalb lenken, weil es von einem Theologen infolge einer Aufforderung
durch den Herausgeber einer kirchlichen Zeitschrift verfaßt worden ist; der Ver¬
fasser muß es sich deshalb gefallen lassen, als Träger der Ansichten seiner
Glaubenspartei betrachtet zu werden. Er kann dies um so mehr, da er durch¬
aus kein schlechtes Buch geschrieben hat, obwol es in der Hauptsache äußerst
dürftig ist, es scheint ihm ernstlich um die Sache zu thun und seine Polemik
ist, wenn auch nicht immer gründlich, durchgehends treffend. Allein dafür,
daß er sich ausdrücklich vorgenommen hat, die jetzt gebräuchliche frömmelnde
Phrasenmacherei bei Seite zu lassen, übersieht man gern einige Schwächen, zu
welchen wir insonderheit seine Neigung zum Wunderbaren und zur Verdäch¬
tigung der Naturwissenschaft rechnen. Er sympathisirt mit dem thierischen
Magnetismus, mit der Manifestation der Jenseitswelt in das Diesseits, ist
erzürnt über die Leichtfertigkeit, mit welcher die Naturforscher diese Dinge ab¬
fertigten und findet ein weiteres lehrreiches Erempel des unter letzteren herr¬
schenden aprioristischen Dogmatismus in ihrem Unglauben des nach seiner
Meinung von Reichenbach erperimentcll festgestellten Oddynamids.*) Besonders
aber nimmt er es sehr übel, daß Burmeister die Berechnungen über die Ab¬
kühlungszeit des Erdballs als unsicher bezeichnet, während doch angeblich eracte
Rechnungen der Art schon in die Schulbücher gedrungen seien. Da kommen
ihm denn auch die newtonschen Gravjtationsgcsetze verdächtig vor, .weil ein
Herr Nichers an denselben zweifle und er meint, das Wunderbare wollten die



") In seiner neuesten Schrift "Wer ist sensitiv, wer nicht" hat Reichenbach unter andern
Kennzeichen der "sensitiven" uns das angegeben, daß sie sämmtlich gute, ja berühmte Tisch-
rücker seien und daß alles, was sie anfaßten, gleich anfangen wolle sich zu drehen!

l>r. Friedrich Fabri, Pfarrer, Briefe gegen den Materialismus. Stuttgart, 1836.

In letzter Zeit ist durch Bücher und Zeitschriften eine solche Flut ver¬
schiedenartiger Ansichten über den Materialismus und verwandte Begriffe er¬
gossen morden, daß jemand, der sich für die Sache interessirt, kaum alles zu
lesen im Stande ist. Leider ist überdies die Ausbeute, welche diese Lectüre
gibt, eine verhältnißmäßig geringe, so daß wir nicht für nöthig gehalten
haben, unsren Lesern damit beschwerlich zu fallen. Denn der Streit dreht
sich theils um Punkte, über welche lediglich mit Worten gefochten werden
kann, theils fehlt es manchen Schriftstellern an positiven Kenntnissen und
an reiflichem Nachdenken. Einzelne Abhandlungen machen um so erfreulichere
Ausnahmen.

Wir möchten aber die Aufmerksamkeit unsrer Leser aus das obengenannte
Buch deshalb lenken, weil es von einem Theologen infolge einer Aufforderung
durch den Herausgeber einer kirchlichen Zeitschrift verfaßt worden ist; der Ver¬
fasser muß es sich deshalb gefallen lassen, als Träger der Ansichten seiner
Glaubenspartei betrachtet zu werden. Er kann dies um so mehr, da er durch¬
aus kein schlechtes Buch geschrieben hat, obwol es in der Hauptsache äußerst
dürftig ist, es scheint ihm ernstlich um die Sache zu thun und seine Polemik
ist, wenn auch nicht immer gründlich, durchgehends treffend. Allein dafür,
daß er sich ausdrücklich vorgenommen hat, die jetzt gebräuchliche frömmelnde
Phrasenmacherei bei Seite zu lassen, übersieht man gern einige Schwächen, zu
welchen wir insonderheit seine Neigung zum Wunderbaren und zur Verdäch¬
tigung der Naturwissenschaft rechnen. Er sympathisirt mit dem thierischen
Magnetismus, mit der Manifestation der Jenseitswelt in das Diesseits, ist
erzürnt über die Leichtfertigkeit, mit welcher die Naturforscher diese Dinge ab¬
fertigten und findet ein weiteres lehrreiches Erempel des unter letzteren herr¬
schenden aprioristischen Dogmatismus in ihrem Unglauben des nach seiner
Meinung von Reichenbach erperimentcll festgestellten Oddynamids.*) Besonders
aber nimmt er es sehr übel, daß Burmeister die Berechnungen über die Ab¬
kühlungszeit des Erdballs als unsicher bezeichnet, während doch angeblich eracte
Rechnungen der Art schon in die Schulbücher gedrungen seien. Da kommen
ihm denn auch die newtonschen Gravjtationsgcsetze verdächtig vor, .weil ein
Herr Nichers an denselben zweifle und er meint, das Wunderbare wollten die



") In seiner neuesten Schrift „Wer ist sensitiv, wer nicht" hat Reichenbach unter andern
Kennzeichen der „sensitiven" uns das angegeben, daß sie sämmtlich gute, ja berühmte Tisch-
rücker seien und daß alles, was sie anfaßten, gleich anfangen wolle sich zu drehen!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/181>, abgerufen am 23.07.2024.