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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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begangen wurde,. wie andre den Frühling mit dem Grünwerden des Waldes
und der Wiederkehr der Störche einziehen lassen. Wir meinen endlich, daß
dieses Fest, wenn es überhaupt einer einzelnen Gottheit galt, in mehrern
Strichen zu Ehren einer weiblichen stattgefunden haben muß. Im Folgen¬
den geben wir, hin und wieder einen Schluß einflechtend, die Belege dazu.
Sie sind in Gruppen geordnet, aus denen der Leser weitere Schlüsse zu ziehen
eingeladen ist.

Im Bergischen und in der Nachbarschaft von Jülich sagt der Bauer: Im
Monat Hornung regiert "dat Wis". "Das Weib" ist gegenwärtig das Weib
der Weiber, Maria, deren Reinigung zugleich mit der Lichtmesse (am 2. Febr.)
gefeiert wird. Einst könnte es die Erdenmutter Bertha oder Nerthus gewesen
sein, deren Kräfte sich, dem Volksglauben zufolge, schon im Januar zu regen
begannen.*) Maria wird auf alten Bildern häufig in einem Schiffe stehend
dargestellt, der Heidenglaube scheint sich jene Göttin als auf einem Wolken¬
schiffe daherfahrcnd gedacht zu haben und wie später gezeigt werden soll ging
zur Fastnachtszeit in alter Zeit an verschiedenen Orten ein Schiff durch das
Land -- ein Gebrauch, der von der Kirche wiederholt als ein heidnischer ge¬
mißbilligt wurde. Ebenso eiferten die frühesten deutschen Bischöfe fleißig gegen
das Anzünden von Lichtern am Tage Marias Reinigung und gegen die
"teuflischen" Tänze an demselben, so wie gegen den Zauber, der an ihm vor¬
genommen wurde. Später aber nahm die Kirche diese Gebräuche theilweise
aus und es entstand die Lichtmesse, die ganz so wie in der Gottesmutter die
5lec Erdenmutter aufgehoben blieb, eine große Anzahl jener heidnischen Teufe¬
leien an sich aufbewahrte, während andre sich nach der weniger streng beur¬
theilten Fastnachtszeit hinflüchteten, welche auf diese Art ein wahres Re-
ceptaculum heidnischen Spuks und heidnischen Jubels wurde.

An Mariä Reinigung oder Lichtmeß blieben folgende Gebräuche haften:
Außer der Weihe der Kerzen, die man das Jahr über in der Kirche
brauchen wollte, wurde am Rhein auch eine Weihe von Lichtern zu Privat¬
zwecken veranstaltet. Diese Kerzen sollten die Häuser vor Zauberei und Ge¬
witterschaden schützen und man gab sie Sterbenden zur Verscheuchung böser
Geister in die Hand. Jeder brachte sein Wachslicht zur Kirche mit und "ach
der Handlung der Weihe, während des Hochamtes, zog die Gemeinde mit an¬
gezündeten Kerzen, Marienlieder singend, durch das Kirchenschiff, wie ihre Vor¬
fahren vielleicht -- der sogleich zu erwähnende schwäbische Funkentag, das
Oster- und das Johannisfeuer geben Winke zu solcher Vermuthung -- dren- '
mende Spähne oder Strohbüschel tragend, Hymnen an Bertha singend, das



Am Tage Fabian und Sebastian (20. Januar) tritt der Saft in die Bäume, sagt
man am Rhein.

begangen wurde,. wie andre den Frühling mit dem Grünwerden des Waldes
und der Wiederkehr der Störche einziehen lassen. Wir meinen endlich, daß
dieses Fest, wenn es überhaupt einer einzelnen Gottheit galt, in mehrern
Strichen zu Ehren einer weiblichen stattgefunden haben muß. Im Folgen¬
den geben wir, hin und wieder einen Schluß einflechtend, die Belege dazu.
Sie sind in Gruppen geordnet, aus denen der Leser weitere Schlüsse zu ziehen
eingeladen ist.

Im Bergischen und in der Nachbarschaft von Jülich sagt der Bauer: Im
Monat Hornung regiert „dat Wis". „Das Weib" ist gegenwärtig das Weib
der Weiber, Maria, deren Reinigung zugleich mit der Lichtmesse (am 2. Febr.)
gefeiert wird. Einst könnte es die Erdenmutter Bertha oder Nerthus gewesen
sein, deren Kräfte sich, dem Volksglauben zufolge, schon im Januar zu regen
begannen.*) Maria wird auf alten Bildern häufig in einem Schiffe stehend
dargestellt, der Heidenglaube scheint sich jene Göttin als auf einem Wolken¬
schiffe daherfahrcnd gedacht zu haben und wie später gezeigt werden soll ging
zur Fastnachtszeit in alter Zeit an verschiedenen Orten ein Schiff durch das
Land — ein Gebrauch, der von der Kirche wiederholt als ein heidnischer ge¬
mißbilligt wurde. Ebenso eiferten die frühesten deutschen Bischöfe fleißig gegen
das Anzünden von Lichtern am Tage Marias Reinigung und gegen die
„teuflischen" Tänze an demselben, so wie gegen den Zauber, der an ihm vor¬
genommen wurde. Später aber nahm die Kirche diese Gebräuche theilweise
aus und es entstand die Lichtmesse, die ganz so wie in der Gottesmutter die
5lec Erdenmutter aufgehoben blieb, eine große Anzahl jener heidnischen Teufe¬
leien an sich aufbewahrte, während andre sich nach der weniger streng beur¬
theilten Fastnachtszeit hinflüchteten, welche auf diese Art ein wahres Re-
ceptaculum heidnischen Spuks und heidnischen Jubels wurde.

An Mariä Reinigung oder Lichtmeß blieben folgende Gebräuche haften:
Außer der Weihe der Kerzen, die man das Jahr über in der Kirche
brauchen wollte, wurde am Rhein auch eine Weihe von Lichtern zu Privat¬
zwecken veranstaltet. Diese Kerzen sollten die Häuser vor Zauberei und Ge¬
witterschaden schützen und man gab sie Sterbenden zur Verscheuchung böser
Geister in die Hand. Jeder brachte sein Wachslicht zur Kirche mit und »ach
der Handlung der Weihe, während des Hochamtes, zog die Gemeinde mit an¬
gezündeten Kerzen, Marienlieder singend, durch das Kirchenschiff, wie ihre Vor¬
fahren vielleicht — der sogleich zu erwähnende schwäbische Funkentag, das
Oster- und das Johannisfeuer geben Winke zu solcher Vermuthung — dren- '
mende Spähne oder Strohbüschel tragend, Hymnen an Bertha singend, das



Am Tage Fabian und Sebastian (20. Januar) tritt der Saft in die Bäume, sagt
man am Rhein.
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[0170] begangen wurde,. wie andre den Frühling mit dem Grünwerden des Waldes und der Wiederkehr der Störche einziehen lassen. Wir meinen endlich, daß dieses Fest, wenn es überhaupt einer einzelnen Gottheit galt, in mehrern Strichen zu Ehren einer weiblichen stattgefunden haben muß. Im Folgen¬ den geben wir, hin und wieder einen Schluß einflechtend, die Belege dazu. Sie sind in Gruppen geordnet, aus denen der Leser weitere Schlüsse zu ziehen eingeladen ist. Im Bergischen und in der Nachbarschaft von Jülich sagt der Bauer: Im Monat Hornung regiert „dat Wis". „Das Weib" ist gegenwärtig das Weib der Weiber, Maria, deren Reinigung zugleich mit der Lichtmesse (am 2. Febr.) gefeiert wird. Einst könnte es die Erdenmutter Bertha oder Nerthus gewesen sein, deren Kräfte sich, dem Volksglauben zufolge, schon im Januar zu regen begannen.*) Maria wird auf alten Bildern häufig in einem Schiffe stehend dargestellt, der Heidenglaube scheint sich jene Göttin als auf einem Wolken¬ schiffe daherfahrcnd gedacht zu haben und wie später gezeigt werden soll ging zur Fastnachtszeit in alter Zeit an verschiedenen Orten ein Schiff durch das Land — ein Gebrauch, der von der Kirche wiederholt als ein heidnischer ge¬ mißbilligt wurde. Ebenso eiferten die frühesten deutschen Bischöfe fleißig gegen das Anzünden von Lichtern am Tage Marias Reinigung und gegen die „teuflischen" Tänze an demselben, so wie gegen den Zauber, der an ihm vor¬ genommen wurde. Später aber nahm die Kirche diese Gebräuche theilweise aus und es entstand die Lichtmesse, die ganz so wie in der Gottesmutter die 5lec Erdenmutter aufgehoben blieb, eine große Anzahl jener heidnischen Teufe¬ leien an sich aufbewahrte, während andre sich nach der weniger streng beur¬ theilten Fastnachtszeit hinflüchteten, welche auf diese Art ein wahres Re- ceptaculum heidnischen Spuks und heidnischen Jubels wurde. An Mariä Reinigung oder Lichtmeß blieben folgende Gebräuche haften: Außer der Weihe der Kerzen, die man das Jahr über in der Kirche brauchen wollte, wurde am Rhein auch eine Weihe von Lichtern zu Privat¬ zwecken veranstaltet. Diese Kerzen sollten die Häuser vor Zauberei und Ge¬ witterschaden schützen und man gab sie Sterbenden zur Verscheuchung böser Geister in die Hand. Jeder brachte sein Wachslicht zur Kirche mit und »ach der Handlung der Weihe, während des Hochamtes, zog die Gemeinde mit an¬ gezündeten Kerzen, Marienlieder singend, durch das Kirchenschiff, wie ihre Vor¬ fahren vielleicht — der sogleich zu erwähnende schwäbische Funkentag, das Oster- und das Johannisfeuer geben Winke zu solcher Vermuthung — dren- ' mende Spähne oder Strohbüschel tragend, Hymnen an Bertha singend, das Am Tage Fabian und Sebastian (20. Januar) tritt der Saft in die Bäume, sagt man am Rhein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/170>, abgerufen am 25.08.2024.