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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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verschlungen. Die Incorporation ließ dem Deutschen in Schleswig fast nichts
als das deutsche Herz und die deutsche Zunge. An das Herz konnte man nicht
kommen, die Zunge konnte man nicht ausreißen, wenigstens nicht mit einem Ruck.
Aber man meinte es allmälig zu können. Es erschien im Frühjahr 1831 ein
Edict, durch welches die Kirchcnvisitatoren der Propsteien Tondern, Flensburg,
Gottorf und Husum, Bredstedt angewiesen wurden, sofort die dänische Sprache
in die ihnen untergebenen Kirchen und Schulen der Gegenden einzuführen, "in
welchen die Volkssprache dänisch ist." Und zwar sollte dies in der Weise ge¬
schehen, daß fortan einen Sonntag um den andern dänischer Gottesdienst sein,
in den Schulen aber mit Ausnahme von vier Stunden wöchentlich nur dänisch
unterrichtet werden sollte.

Keine Maßregel des Danisirungssystems griff der Bevölkerung Schleswigs
so sehr aus Herz, alle waren sie rechts- und naturwidrig, diese war die Krone
der Ungerechtigkeit und Naturwidrigkeit. Das Edict besagte: "wo die Volks¬
sprache dänisch ist." Hätte man diese Beschränkung eingehalten, so wäre von
Ungerechtigkeit nur insofern zu sprechen gewesen, als die ungeheure Mehrzahl
der Bewohner jener plattdänisch redender Districte, wenn man sie gefragt
hätte, ans das entschiedenste gegen die Maßregel, die ihnen eine nutzlose und
dem dänischen Schleswiger fast ebenso unverständliche Sprache, als die hoch¬
deutsche*), zur Bildung und Erbauung vorschrieb, protestirr haben würden. So
aber meinte man mit dem "ist" eigentlich oder zugleich ein "war", d.h. man
schlug zu den'Bezirken, wo wirklich noch durchaus das dänische Patois ge¬
sprochen wird, auch die, wo nur noch einige Familien oder einige aus Jüt-
land eingewanderte Dienstboten dasselbe reden, ja selbst eine Anzahl von
Kirchspielen, wo seit Menschengedenken keine Seele mehr jenes Halbdänisch
geschweige denn die dänische Schriftsprache verstand. Statt sich auf die
Wirklichkeit zu berufen, stützte man sich auf die Sprachkartcn, welche die
Phantasie dänischer Fanatiker entworfen hatte und statt die Gemeinden zu
fragen, wo es sich um ihre heiligsten Interessen handelte, schloß man ihnen,
wenn sie ungefragt sich gegen die Lüge erklärten, die ihnen eine dänische Zunge
einsetzte, mit Drohungen und selbst mit Strafen den Mund. Man hatte den
Körper, man wollte und mußte auch die widerspenstige Zunge haben, wo nicht
von den Alten, so doch von den Jungen. Und was hat man mit den Dro¬
hungen und Lockungen, mit den Strafen der Patrioten und den Belohnungen
der wenigen Apostaten bis jetzt erreicht? Nichts als die tiefste, glühendste
Erbitterung und nebenher eine Verwüstung der Kirchen und Schulen, die allen
Glauben übersteigt. Die nächsten Briefe werden zu den bereits mitgetheilten



") Das siidjütische Dänisch ist von dem des Kopcnhagencrs im Wortvorrathe wie in der
Syntax beinahe ganz so verschieden, wie Hochdeutsch vom Plattdeutsch.

verschlungen. Die Incorporation ließ dem Deutschen in Schleswig fast nichts
als das deutsche Herz und die deutsche Zunge. An das Herz konnte man nicht
kommen, die Zunge konnte man nicht ausreißen, wenigstens nicht mit einem Ruck.
Aber man meinte es allmälig zu können. Es erschien im Frühjahr 1831 ein
Edict, durch welches die Kirchcnvisitatoren der Propsteien Tondern, Flensburg,
Gottorf und Husum, Bredstedt angewiesen wurden, sofort die dänische Sprache
in die ihnen untergebenen Kirchen und Schulen der Gegenden einzuführen, „in
welchen die Volkssprache dänisch ist." Und zwar sollte dies in der Weise ge¬
schehen, daß fortan einen Sonntag um den andern dänischer Gottesdienst sein,
in den Schulen aber mit Ausnahme von vier Stunden wöchentlich nur dänisch
unterrichtet werden sollte.

Keine Maßregel des Danisirungssystems griff der Bevölkerung Schleswigs
so sehr aus Herz, alle waren sie rechts- und naturwidrig, diese war die Krone
der Ungerechtigkeit und Naturwidrigkeit. Das Edict besagte: „wo die Volks¬
sprache dänisch ist." Hätte man diese Beschränkung eingehalten, so wäre von
Ungerechtigkeit nur insofern zu sprechen gewesen, als die ungeheure Mehrzahl
der Bewohner jener plattdänisch redender Districte, wenn man sie gefragt
hätte, ans das entschiedenste gegen die Maßregel, die ihnen eine nutzlose und
dem dänischen Schleswiger fast ebenso unverständliche Sprache, als die hoch¬
deutsche*), zur Bildung und Erbauung vorschrieb, protestirr haben würden. So
aber meinte man mit dem „ist" eigentlich oder zugleich ein „war", d.h. man
schlug zu den'Bezirken, wo wirklich noch durchaus das dänische Patois ge¬
sprochen wird, auch die, wo nur noch einige Familien oder einige aus Jüt-
land eingewanderte Dienstboten dasselbe reden, ja selbst eine Anzahl von
Kirchspielen, wo seit Menschengedenken keine Seele mehr jenes Halbdänisch
geschweige denn die dänische Schriftsprache verstand. Statt sich auf die
Wirklichkeit zu berufen, stützte man sich auf die Sprachkartcn, welche die
Phantasie dänischer Fanatiker entworfen hatte und statt die Gemeinden zu
fragen, wo es sich um ihre heiligsten Interessen handelte, schloß man ihnen,
wenn sie ungefragt sich gegen die Lüge erklärten, die ihnen eine dänische Zunge
einsetzte, mit Drohungen und selbst mit Strafen den Mund. Man hatte den
Körper, man wollte und mußte auch die widerspenstige Zunge haben, wo nicht
von den Alten, so doch von den Jungen. Und was hat man mit den Dro¬
hungen und Lockungen, mit den Strafen der Patrioten und den Belohnungen
der wenigen Apostaten bis jetzt erreicht? Nichts als die tiefste, glühendste
Erbitterung und nebenher eine Verwüstung der Kirchen und Schulen, die allen
Glauben übersteigt. Die nächsten Briefe werden zu den bereits mitgetheilten



") Das siidjütische Dänisch ist von dem des Kopcnhagencrs im Wortvorrathe wie in der
Syntax beinahe ganz so verschieden, wie Hochdeutsch vom Plattdeutsch.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/159>, abgerufen am 23.07.2024.