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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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weilt sollte dem Könige eine Adresse übergeben werden, die mit den Worten
schloß: "Wir rufen Ew. Majestät an, daS Volk nicht zur Selbsthilfe
der Verzweiflung zu treiben. Es wurde indeß später beliebt, die Adresse
nicht schon diesen Abend, sondern am nächsten Morgen durch eine Procession
nach dem Schlosse zu befördern.

Der Plan gelang vollständig. Nahe ein zwölftausend Menschen umlager¬
ten am 22. März früh das Schloß Christiansburg. Der König erwiderte, dem
Zwange weichend, er habe sein Ministerium bereits entlassen. Wenn er sich
auf sein Volk verlassen könne, wie dieses sich auf ihn, so werde er Dänemark
schon auf den Weg der Ehre führen. selbigen Tages, achtundvierzig Stun¬
den vor der verhängnißvollen Entscheidung, erhielten die Truppen in Seeland
und Fühnen Marschordre nach der jütischen Grenze. Sodann folgte eine
fieberhaft aufgeregte Ministerkrisis, in welcher der König mehrmals rathlos die
Hände rang. Sein Entschluß, abzudanken, das im Staatsrath ausgesprochene
Wvri des nachmaligen Ministers -- damaligen Magisters -- Monrad: So
pflanzen wir die Fahne der Republik auf!" lies von Mund zu Mund. Am
2t. März gab Friedrich VIl., durch mehre Nachtwachen erschöpft, die Entschei¬
dung ab. Sie hat nicht, wie ein altes Fürstenwort jagt "Bestand , Frommen,
Nutzen und Wohlfahrt der Fürstentümer vor Augen gehabt," sondern sie setzte
an die Stelle uralten Rechts und neugelobter, Zusicherungen, natürlicher Ent¬
wicklung und nothwendiger Zustände das Parteistichwort, welches von der Elbe
bis zur Königöau hinlänglich verstanden wurde: Dänemark bis zur
E i d e r.

Was dieses Wort im Sinne der Dänen bedeutet, wird dem Leser aus
dem Vorstehenden bereits klar geworden sein. Der Schluß dieses Briefes soll
eS noch deutlicher machen und die beiden nächsten Briefe werden ans der un¬
mittelbaren Gegenwart Belege dazu liefern.

Der Krieg der dänischen Revolutionsmänner gegen das gute
Recht Schleswig-Holsteins endigte mit der Niederlage derer, die sich zur
Wahrung des letztern erhoben hatten. Eine BegriffSvcrkehrung ohne Gleichen
gestattete den Dänen, den besiegten Konservatismus als Aufruhr, sich selbst
als Wahrer legitimer Interessen zu bezeichnen. Gegen Aufrührer aber war
alles erlaubt. Man konnte alle einst vertagten Danisirungspläne hervorsuchen,
sie mit allen Mitteln in Wirksamkeit setzen und sich dazu noch rühmen, gerecht
und mild zu sein. Macchiavelli hat gesagt: Besiegte Feinde muß man versöhnen
oder-vernichten, aber nie erbittern. Die Dänen konnten die Herzogthümer da¬
mals bis zu einem Grade versöhnen. Sie hätten vielleicht auch die deutsche Partei
der Vernichtung in Schleswig nahe bringen können. Man mußte sich nicht
begnügen, sie zu erbittern. Es ist die Frage, ob von Süden her mehr als eine
bloße Verwahrung^ erfolgt wäre, wenn man die deutschen Schleswiger sammle-


weilt sollte dem Könige eine Adresse übergeben werden, die mit den Worten
schloß: „Wir rufen Ew. Majestät an, daS Volk nicht zur Selbsthilfe
der Verzweiflung zu treiben. Es wurde indeß später beliebt, die Adresse
nicht schon diesen Abend, sondern am nächsten Morgen durch eine Procession
nach dem Schlosse zu befördern.

Der Plan gelang vollständig. Nahe ein zwölftausend Menschen umlager¬
ten am 22. März früh das Schloß Christiansburg. Der König erwiderte, dem
Zwange weichend, er habe sein Ministerium bereits entlassen. Wenn er sich
auf sein Volk verlassen könne, wie dieses sich auf ihn, so werde er Dänemark
schon auf den Weg der Ehre führen. selbigen Tages, achtundvierzig Stun¬
den vor der verhängnißvollen Entscheidung, erhielten die Truppen in Seeland
und Fühnen Marschordre nach der jütischen Grenze. Sodann folgte eine
fieberhaft aufgeregte Ministerkrisis, in welcher der König mehrmals rathlos die
Hände rang. Sein Entschluß, abzudanken, das im Staatsrath ausgesprochene
Wvri des nachmaligen Ministers — damaligen Magisters — Monrad: So
pflanzen wir die Fahne der Republik auf!" lies von Mund zu Mund. Am
2t. März gab Friedrich VIl., durch mehre Nachtwachen erschöpft, die Entschei¬
dung ab. Sie hat nicht, wie ein altes Fürstenwort jagt „Bestand , Frommen,
Nutzen und Wohlfahrt der Fürstentümer vor Augen gehabt," sondern sie setzte
an die Stelle uralten Rechts und neugelobter, Zusicherungen, natürlicher Ent¬
wicklung und nothwendiger Zustände das Parteistichwort, welches von der Elbe
bis zur Königöau hinlänglich verstanden wurde: Dänemark bis zur
E i d e r.

Was dieses Wort im Sinne der Dänen bedeutet, wird dem Leser aus
dem Vorstehenden bereits klar geworden sein. Der Schluß dieses Briefes soll
eS noch deutlicher machen und die beiden nächsten Briefe werden ans der un¬
mittelbaren Gegenwart Belege dazu liefern.

Der Krieg der dänischen Revolutionsmänner gegen das gute
Recht Schleswig-Holsteins endigte mit der Niederlage derer, die sich zur
Wahrung des letztern erhoben hatten. Eine BegriffSvcrkehrung ohne Gleichen
gestattete den Dänen, den besiegten Konservatismus als Aufruhr, sich selbst
als Wahrer legitimer Interessen zu bezeichnen. Gegen Aufrührer aber war
alles erlaubt. Man konnte alle einst vertagten Danisirungspläne hervorsuchen,
sie mit allen Mitteln in Wirksamkeit setzen und sich dazu noch rühmen, gerecht
und mild zu sein. Macchiavelli hat gesagt: Besiegte Feinde muß man versöhnen
oder-vernichten, aber nie erbittern. Die Dänen konnten die Herzogthümer da¬
mals bis zu einem Grade versöhnen. Sie hätten vielleicht auch die deutsche Partei
der Vernichtung in Schleswig nahe bringen können. Man mußte sich nicht
begnügen, sie zu erbittern. Es ist die Frage, ob von Süden her mehr als eine
bloße Verwahrung^ erfolgt wäre, wenn man die deutschen Schleswiger sammle-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/157>, abgerufen am 23.07.2024.