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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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gedrückt, begriff 18S1 das Gebiet mit deutscher Kirchen- und Schulsprache eine
Bevölkerung von etwa 220,000 , das mit dänischer eine Bevölkerung von un¬
gefähr 120,000 und das, wo beide Sprachen in Kirche und Schule gebraucht
wurden, circa 20,000 Seelen. Ge-gen 46,000 Schulkinder erhielten damals in
deutscher, gegen 21,000 in dänischer Sprache den Unterricht. An den deutschen
Schulen waren circa 700, an den dänischen nahe an 290 Lehrer angestellt.
Die Gerichtssprache war bis 18,^8 im ganzen Herzogthum die deutsche, von
da ab in den Strichen, wo die Kirche und Schule dänisch war, die dänische.

Jahrhunderte lang bestanden solchergestalt die gedachten Idiome ohne
wesentlichen Streit nebeneinander und keine Klage von Seiten der plattdänisch
redenden Bevölkerung ward darüber laut, daß das Hochdeutsche in den höhern
Strömungen der geistigen" Atmosphäre vorherrschend blieb. Die einzige
hierher bezügliche Thatsache, welche ängstliche Nachspürung hat auffinden kön¬
nen, ist der Versuch eines haderslebener Predigers, der um die Mitte des
17. Jahrhunderts in Betreff des Gebrauchs, die Einsetzungsworte des Abend¬
mahls sowol in deutscher, als in dänischer Sprache auszusprechen, zu Gunsten
der erstern eine Aenderung eintreten ließ und dabei von Seiten seiner Gemeinde
Widerspruch fand.

Daß die hochdeutsche Sprache schon seit Jahrhunderten der höhere Eini-
gungöpunkt für daS gesammte Herzogthum Schleswig war, ist theils Folge
seiner engen Verbindung mit Holstein in politischer, rechtlicher und socialer
Beziehung, theils das Ergebniß des mächtigen Einflusses, den schon früh die
deutsche Wissenschaft und insonderheit die Reformation geübt Hai, theils das
Ergebniß der naturgemäßen Richtung des Verkehrs auf die beiden großen
Hansestädte im Süden. Ja bevor das Hochdeutsche eindrang, nahm das Platt¬
deutsche dieselbe hervorragende Stelle ein. Vor mehr als sechshundert Jahren
ließ sich Tondern mit den in diesem Idiom abgefaßten indischen Rechte bewid-
men und bereits zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts wurden die ur¬
sprünglich im jütischen Dialekte geschriebenen Stadtrechte von Apenrade und
Flensburg ins Plattdeutsche übersetzt.

Den Jnselbänen ist bei ihrem sehr reizbaren Nationalgefühle diese histo¬
rische Entwicklung der Verhältnisse schon längst ein Verdruß gewesen. Die
kopenhagener Politik hat sich eingeredet, daß diese Verhältnisse eine künstlich
geschaffene Sache seien. Es ist bezeichnend, daß in unmittelbarer Verbindung
mit den Vorgängen des Jahres 1721 die Idee auftauchte, daS vermeintlich
durch Ueberlistung verlorene Terrain für die dänische Sprache wiederzugewinnen
und so Schleswig fester an das Königreich zu knüpfen. Man wollte nach der eigen¬
händigen Erklärung Friedrichs >v. Schleswig nicht offen, sondern "peu ->> pou
incorporiren" und damit eine vielhundertjährige Geschichte ungeschehen machen.
Variationen auf dieses in Dänemark traditionell gewordene Thema sind die An>


gedrückt, begriff 18S1 das Gebiet mit deutscher Kirchen- und Schulsprache eine
Bevölkerung von etwa 220,000 , das mit dänischer eine Bevölkerung von un¬
gefähr 120,000 und das, wo beide Sprachen in Kirche und Schule gebraucht
wurden, circa 20,000 Seelen. Ge-gen 46,000 Schulkinder erhielten damals in
deutscher, gegen 21,000 in dänischer Sprache den Unterricht. An den deutschen
Schulen waren circa 700, an den dänischen nahe an 290 Lehrer angestellt.
Die Gerichtssprache war bis 18,^8 im ganzen Herzogthum die deutsche, von
da ab in den Strichen, wo die Kirche und Schule dänisch war, die dänische.

Jahrhunderte lang bestanden solchergestalt die gedachten Idiome ohne
wesentlichen Streit nebeneinander und keine Klage von Seiten der plattdänisch
redenden Bevölkerung ward darüber laut, daß das Hochdeutsche in den höhern
Strömungen der geistigen" Atmosphäre vorherrschend blieb. Die einzige
hierher bezügliche Thatsache, welche ängstliche Nachspürung hat auffinden kön¬
nen, ist der Versuch eines haderslebener Predigers, der um die Mitte des
17. Jahrhunderts in Betreff des Gebrauchs, die Einsetzungsworte des Abend¬
mahls sowol in deutscher, als in dänischer Sprache auszusprechen, zu Gunsten
der erstern eine Aenderung eintreten ließ und dabei von Seiten seiner Gemeinde
Widerspruch fand.

Daß die hochdeutsche Sprache schon seit Jahrhunderten der höhere Eini-
gungöpunkt für daS gesammte Herzogthum Schleswig war, ist theils Folge
seiner engen Verbindung mit Holstein in politischer, rechtlicher und socialer
Beziehung, theils das Ergebniß des mächtigen Einflusses, den schon früh die
deutsche Wissenschaft und insonderheit die Reformation geübt Hai, theils das
Ergebniß der naturgemäßen Richtung des Verkehrs auf die beiden großen
Hansestädte im Süden. Ja bevor das Hochdeutsche eindrang, nahm das Platt¬
deutsche dieselbe hervorragende Stelle ein. Vor mehr als sechshundert Jahren
ließ sich Tondern mit den in diesem Idiom abgefaßten indischen Rechte bewid-
men und bereits zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts wurden die ur¬
sprünglich im jütischen Dialekte geschriebenen Stadtrechte von Apenrade und
Flensburg ins Plattdeutsche übersetzt.

Den Jnselbänen ist bei ihrem sehr reizbaren Nationalgefühle diese histo¬
rische Entwicklung der Verhältnisse schon längst ein Verdruß gewesen. Die
kopenhagener Politik hat sich eingeredet, daß diese Verhältnisse eine künstlich
geschaffene Sache seien. Es ist bezeichnend, daß in unmittelbarer Verbindung
mit den Vorgängen des Jahres 1721 die Idee auftauchte, daS vermeintlich
durch Ueberlistung verlorene Terrain für die dänische Sprache wiederzugewinnen
und so Schleswig fester an das Königreich zu knüpfen. Man wollte nach der eigen¬
händigen Erklärung Friedrichs >v. Schleswig nicht offen, sondern „peu ->> pou
incorporiren" und damit eine vielhundertjährige Geschichte ungeschehen machen.
Variationen auf dieses in Dänemark traditionell gewordene Thema sind die An>


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[0146] gedrückt, begriff 18S1 das Gebiet mit deutscher Kirchen- und Schulsprache eine Bevölkerung von etwa 220,000 , das mit dänischer eine Bevölkerung von un¬ gefähr 120,000 und das, wo beide Sprachen in Kirche und Schule gebraucht wurden, circa 20,000 Seelen. Ge-gen 46,000 Schulkinder erhielten damals in deutscher, gegen 21,000 in dänischer Sprache den Unterricht. An den deutschen Schulen waren circa 700, an den dänischen nahe an 290 Lehrer angestellt. Die Gerichtssprache war bis 18,^8 im ganzen Herzogthum die deutsche, von da ab in den Strichen, wo die Kirche und Schule dänisch war, die dänische. Jahrhunderte lang bestanden solchergestalt die gedachten Idiome ohne wesentlichen Streit nebeneinander und keine Klage von Seiten der plattdänisch redenden Bevölkerung ward darüber laut, daß das Hochdeutsche in den höhern Strömungen der geistigen" Atmosphäre vorherrschend blieb. Die einzige hierher bezügliche Thatsache, welche ängstliche Nachspürung hat auffinden kön¬ nen, ist der Versuch eines haderslebener Predigers, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Betreff des Gebrauchs, die Einsetzungsworte des Abend¬ mahls sowol in deutscher, als in dänischer Sprache auszusprechen, zu Gunsten der erstern eine Aenderung eintreten ließ und dabei von Seiten seiner Gemeinde Widerspruch fand. Daß die hochdeutsche Sprache schon seit Jahrhunderten der höhere Eini- gungöpunkt für daS gesammte Herzogthum Schleswig war, ist theils Folge seiner engen Verbindung mit Holstein in politischer, rechtlicher und socialer Beziehung, theils das Ergebniß des mächtigen Einflusses, den schon früh die deutsche Wissenschaft und insonderheit die Reformation geübt Hai, theils das Ergebniß der naturgemäßen Richtung des Verkehrs auf die beiden großen Hansestädte im Süden. Ja bevor das Hochdeutsche eindrang, nahm das Platt¬ deutsche dieselbe hervorragende Stelle ein. Vor mehr als sechshundert Jahren ließ sich Tondern mit den in diesem Idiom abgefaßten indischen Rechte bewid- men und bereits zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts wurden die ur¬ sprünglich im jütischen Dialekte geschriebenen Stadtrechte von Apenrade und Flensburg ins Plattdeutsche übersetzt. Den Jnselbänen ist bei ihrem sehr reizbaren Nationalgefühle diese histo¬ rische Entwicklung der Verhältnisse schon längst ein Verdruß gewesen. Die kopenhagener Politik hat sich eingeredet, daß diese Verhältnisse eine künstlich geschaffene Sache seien. Es ist bezeichnend, daß in unmittelbarer Verbindung mit den Vorgängen des Jahres 1721 die Idee auftauchte, daS vermeintlich durch Ueberlistung verlorene Terrain für die dänische Sprache wiederzugewinnen und so Schleswig fester an das Königreich zu knüpfen. Man wollte nach der eigen¬ händigen Erklärung Friedrichs >v. Schleswig nicht offen, sondern „peu ->> pou incorporiren" und damit eine vielhundertjährige Geschichte ungeschehen machen. Variationen auf dieses in Dänemark traditionell gewordene Thema sind die An>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/146>, abgerufen am 23.07.2024.