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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Stein auf in dem Werk elv emkrxZgtivne temporum ; nachdem grade im Jahre vorher
der verbesserte Kalender in allen katholischen Ländern Eingang gefunden hatte, wo¬
bei man vom vierten aus den fünfzehnten October hatte überspringen müssen. Die
Nichtkatholikcn protestirten heftig gegen die von päpstlicher Autorität ausgegangene
Verbesserung und einige Capitel in Scaligers Such, die Einwendungen gegen
das neue gregorianische Jahr enthielten (ohne daß er übrigens das julianische
vertheidigte) machten das Buch bald zu einem in ganz Europa gekannten und
besprochenen, wenn auch nicht gelesenen. Das Werk legte zu einer wissen¬
schaftlichen Chronologie den Grund, deren Mangel weder die Begeisterung,
noch die Tändelei der Italiener empfunden hatte.

Ein neuer Abschnitt wird in Scaligers Leben durch die Berufung.nach
Leyden gebildet, wo er bis an seinen Tod geblieben ist. Justus Lipsius, der
bis 1390 dort die Professur der römischen Geschichte und Antiquitäten bekleidet
hatte,, erbat sich Urlaub, angeblich zu einer Badereise nach Spaa; indeß bald
erfuhr man, was man vorausgesehen hatte: daß er zu Mainz mit den Jesui¬
ten, den Lehrern seiner Jugend, in Verbindung getreten war und sich wieder
in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche hatte aufnehmen lassen. LipsiuS
besaß eine.ungeheure Gelehrsamkeit und hat um die römischen Alterthümer und
manche Schriftsteller, namentlich Vellejus und Tacitus, sich die größten Ver¬
dienste erworben, aber er war kein Genie, kein universeller Geist wie Scaliger,
den er selbst "den Adler in den Wolken" genannt hat. Auf Scaliger mußte
bei den damaligen religiösen und wissenschaftlichen Zuständen der Blick der
Universität Leyden zuerst fallen. Doch dauerten infolge mannigfacher Ver-
zögerungen die Unterhandlungen zwei Jahre. Sie endeten damit, daß die
Universität ganz daraus verzichtete, Scaliger die Pflichten der Professur zuzu-
muthen, sondern nur seine Anwesenheit zu Leyden verlangte, damit er dort in
Ruhe seine schriftstellerische Thätigkeit fortsetze. Diese der Universität so wie
Scaligers gleich würdige Berufung nahm er denn^auch an. Obwol von be¬
stimmten Leistungen entbunden, genoß er einen ihm von allen Seiten stillschwe^
gerd eingeräumten Vorrang und die Großen Hollands, sämmtlich von wahrer
Bildung, wetteiferten, ihm ihre Achtung zu bezeugen, namentlich Oldenbarne-
veldt, Colignyö Tochter, die verwittwete Prinzessin von Oranien und Prinz
Moritz von Nassau, der ihm "bei Tafel den Vorsitz vor seinen fürstlichen Vettern
gab" und keine zeitraubenden regelmäßigen Aufwartungen verlangte. Ueberdies
stand er zu dem jedesmaligen französischen Gesandten in inniger Beziehung. Aber
jeder politischen Schriftstellern enthielt er sich aufs strengste und als Lipsius
sich darauf einließ, that er den merkwürdigen Ausspruch: "Lipsius ist kein
Staatsmann und, kann nichts in der Politik; Pedanten können in diesen Din¬
gen überhaupt nichts; weder ich noch ein andrer Gelehrter würde über Politik
schreiben können." Trotz dieser Bescheidenheit nahm er nicht nur den lebhafte-


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Stein auf in dem Werk elv emkrxZgtivne temporum ; nachdem grade im Jahre vorher
der verbesserte Kalender in allen katholischen Ländern Eingang gefunden hatte, wo¬
bei man vom vierten aus den fünfzehnten October hatte überspringen müssen. Die
Nichtkatholikcn protestirten heftig gegen die von päpstlicher Autorität ausgegangene
Verbesserung und einige Capitel in Scaligers Such, die Einwendungen gegen
das neue gregorianische Jahr enthielten (ohne daß er übrigens das julianische
vertheidigte) machten das Buch bald zu einem in ganz Europa gekannten und
besprochenen, wenn auch nicht gelesenen. Das Werk legte zu einer wissen¬
schaftlichen Chronologie den Grund, deren Mangel weder die Begeisterung,
noch die Tändelei der Italiener empfunden hatte.

Ein neuer Abschnitt wird in Scaligers Leben durch die Berufung.nach
Leyden gebildet, wo er bis an seinen Tod geblieben ist. Justus Lipsius, der
bis 1390 dort die Professur der römischen Geschichte und Antiquitäten bekleidet
hatte,, erbat sich Urlaub, angeblich zu einer Badereise nach Spaa; indeß bald
erfuhr man, was man vorausgesehen hatte: daß er zu Mainz mit den Jesui¬
ten, den Lehrern seiner Jugend, in Verbindung getreten war und sich wieder
in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche hatte aufnehmen lassen. LipsiuS
besaß eine.ungeheure Gelehrsamkeit und hat um die römischen Alterthümer und
manche Schriftsteller, namentlich Vellejus und Tacitus, sich die größten Ver¬
dienste erworben, aber er war kein Genie, kein universeller Geist wie Scaliger,
den er selbst „den Adler in den Wolken" genannt hat. Auf Scaliger mußte
bei den damaligen religiösen und wissenschaftlichen Zuständen der Blick der
Universität Leyden zuerst fallen. Doch dauerten infolge mannigfacher Ver-
zögerungen die Unterhandlungen zwei Jahre. Sie endeten damit, daß die
Universität ganz daraus verzichtete, Scaliger die Pflichten der Professur zuzu-
muthen, sondern nur seine Anwesenheit zu Leyden verlangte, damit er dort in
Ruhe seine schriftstellerische Thätigkeit fortsetze. Diese der Universität so wie
Scaligers gleich würdige Berufung nahm er denn^auch an. Obwol von be¬
stimmten Leistungen entbunden, genoß er einen ihm von allen Seiten stillschwe^
gerd eingeräumten Vorrang und die Großen Hollands, sämmtlich von wahrer
Bildung, wetteiferten, ihm ihre Achtung zu bezeugen, namentlich Oldenbarne-
veldt, Colignyö Tochter, die verwittwete Prinzessin von Oranien und Prinz
Moritz von Nassau, der ihm „bei Tafel den Vorsitz vor seinen fürstlichen Vettern
gab" und keine zeitraubenden regelmäßigen Aufwartungen verlangte. Ueberdies
stand er zu dem jedesmaligen französischen Gesandten in inniger Beziehung. Aber
jeder politischen Schriftstellern enthielt er sich aufs strengste und als Lipsius
sich darauf einließ, that er den merkwürdigen Ausspruch: „Lipsius ist kein
Staatsmann und, kann nichts in der Politik; Pedanten können in diesen Din¬
gen überhaupt nichts; weder ich noch ein andrer Gelehrter würde über Politik
schreiben können." Trotz dieser Bescheidenheit nahm er nicht nur den lebhafte-


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[0139] Stein auf in dem Werk elv emkrxZgtivne temporum ; nachdem grade im Jahre vorher der verbesserte Kalender in allen katholischen Ländern Eingang gefunden hatte, wo¬ bei man vom vierten aus den fünfzehnten October hatte überspringen müssen. Die Nichtkatholikcn protestirten heftig gegen die von päpstlicher Autorität ausgegangene Verbesserung und einige Capitel in Scaligers Such, die Einwendungen gegen das neue gregorianische Jahr enthielten (ohne daß er übrigens das julianische vertheidigte) machten das Buch bald zu einem in ganz Europa gekannten und besprochenen, wenn auch nicht gelesenen. Das Werk legte zu einer wissen¬ schaftlichen Chronologie den Grund, deren Mangel weder die Begeisterung, noch die Tändelei der Italiener empfunden hatte. Ein neuer Abschnitt wird in Scaligers Leben durch die Berufung.nach Leyden gebildet, wo er bis an seinen Tod geblieben ist. Justus Lipsius, der bis 1390 dort die Professur der römischen Geschichte und Antiquitäten bekleidet hatte,, erbat sich Urlaub, angeblich zu einer Badereise nach Spaa; indeß bald erfuhr man, was man vorausgesehen hatte: daß er zu Mainz mit den Jesui¬ ten, den Lehrern seiner Jugend, in Verbindung getreten war und sich wieder in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche hatte aufnehmen lassen. LipsiuS besaß eine.ungeheure Gelehrsamkeit und hat um die römischen Alterthümer und manche Schriftsteller, namentlich Vellejus und Tacitus, sich die größten Ver¬ dienste erworben, aber er war kein Genie, kein universeller Geist wie Scaliger, den er selbst „den Adler in den Wolken" genannt hat. Auf Scaliger mußte bei den damaligen religiösen und wissenschaftlichen Zuständen der Blick der Universität Leyden zuerst fallen. Doch dauerten infolge mannigfacher Ver- zögerungen die Unterhandlungen zwei Jahre. Sie endeten damit, daß die Universität ganz daraus verzichtete, Scaliger die Pflichten der Professur zuzu- muthen, sondern nur seine Anwesenheit zu Leyden verlangte, damit er dort in Ruhe seine schriftstellerische Thätigkeit fortsetze. Diese der Universität so wie Scaligers gleich würdige Berufung nahm er denn^auch an. Obwol von be¬ stimmten Leistungen entbunden, genoß er einen ihm von allen Seiten stillschwe^ gerd eingeräumten Vorrang und die Großen Hollands, sämmtlich von wahrer Bildung, wetteiferten, ihm ihre Achtung zu bezeugen, namentlich Oldenbarne- veldt, Colignyö Tochter, die verwittwete Prinzessin von Oranien und Prinz Moritz von Nassau, der ihm „bei Tafel den Vorsitz vor seinen fürstlichen Vettern gab" und keine zeitraubenden regelmäßigen Aufwartungen verlangte. Ueberdies stand er zu dem jedesmaligen französischen Gesandten in inniger Beziehung. Aber jeder politischen Schriftstellern enthielt er sich aufs strengste und als Lipsius sich darauf einließ, that er den merkwürdigen Ausspruch: „Lipsius ist kein Staatsmann und, kann nichts in der Politik; Pedanten können in diesen Din¬ gen überhaupt nichts; weder ich noch ein andrer Gelehrter würde über Politik schreiben können." Trotz dieser Bescheidenheit nahm er nicht nur den lebhafte- 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/139>, abgerufen am 23.07.2024.