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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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nervigste Kerl halb lahm, und der geduldigste rasend werden. Und kamen wir
dann todtmüde ins Quartier, so giengs schon wieder über Hals und Kopf,
unsre Wäsche zurecht zu machen und jedes Fleckgen auszumustern; venu bis
auf den blauen Rock war unsre ganze Uniform weiß, Gewehr, Patrontasche,
Kuppel, jeder Knopf an der Montur, alles mußte spiegelblank geputzt seyn.
Zeigte sich an e-mein dieser Stücke die geringste Unthat, oder stand ein Haar
in der Frisur nicht recht, so war, wenn er auf den Platz kam, die erste Be¬
grüßung eine derbe Tracht Prügel. --- Wahr ist's, unsre Offiziere erhielten
gerade damals die gemessenste Ordre, uns über Kopf und Hals zu mustern;
aber wir Rekruten wußten den Henker davon und dachten halt, das sey sonst
so Kriegsmanier.

Endlich kam der Zeitpunkt, wo es hieß: Allons, ins Feld. Jtzt wurde
Marsch geschlagen; Thränen von Bürgern, Soldatenweibern, H** u. d. gi.
flössen zu Haufen. Auch die Kriegsleute selber, die Landskinder nämlich, welche
Weiber und Kinder zurückließen, waren ganz niedergeschlagen, voll Wehmuth
und Kummers; die Fremden hingegen janchzren heimlich vor Freuden, und
riefen: Endlich Gottlob ist unsre Erlösung da! Jeder war bebündelt wie ein
Esel, erst mit einem Degengurt umschnallt; dann die Patrontasche über die
Schulter, mit einem fünf Zoll langen Riemen; über die andre Achsel den
Dvrnister, mit Wäsche u. s. f. bepackt; item der Habersack, mit Brodt und
andrer Fourage gestopft. Hiernächst mußte jeder noch ein Stock Feldgcräth
tragen; Flasche, Kessel, Hacken, oder so was; alles an Riemen; dann erst
noch eine Flinte, auch an einem solchen. So waren wir alle fünfmal über¬
einander kreutzweis über die Brust geschlossen, daß anfangs jeder glaubte unter
solcher Last ersticken zu müssen. Dazu kam die enge gepreßte Montur, und
eine solche Hundstagshitze, daß mir's manchmal däuchte, ich' geh' auf glühen¬
den Kohlen und wenn ich meiner Brust ein wenig Lust machte, ein Dampf
herauskam, wie von einem siedenden Kessel. Oft hatt' ich keinen trockenen
Faden mehr am Leib, und verschmachtete bald vor Durst.

So marschierten wir den ersten Tag (22. Aug.) zum Köppeniker Thor aus,
und machten noch 4. Stunden bis zum Städtchen Köppenik, wo wir zu 30--S0.
zu Bürgern einquartiert waren, die uns vor einen Groschen traktiren mußten.
Potz Plunder, wie giengs da her! Ha! da wurde gefressen. Aber denk' man sich
nur so viele große hungrige Kerls! Immer hieß es da: Schafs her, Canaille,
was d' im hintersten Winkel hast. Des Nachts wurde die Se>'>" mit Stroh
gefüllt; da lagen wir alle in Reihen, den Wänden nach. Wahrlich eine curiose
Wirthschaft! In jedem Haus befand sich ein Offizier, welcher auf guter Manns¬
zucht halten sollte; sie waren aber oft die Fäulsten.*)--



*> Die Schlimmsten.
14*

nervigste Kerl halb lahm, und der geduldigste rasend werden. Und kamen wir
dann todtmüde ins Quartier, so giengs schon wieder über Hals und Kopf,
unsre Wäsche zurecht zu machen und jedes Fleckgen auszumustern; venu bis
auf den blauen Rock war unsre ganze Uniform weiß, Gewehr, Patrontasche,
Kuppel, jeder Knopf an der Montur, alles mußte spiegelblank geputzt seyn.
Zeigte sich an e-mein dieser Stücke die geringste Unthat, oder stand ein Haar
in der Frisur nicht recht, so war, wenn er auf den Platz kam, die erste Be¬
grüßung eine derbe Tracht Prügel. -— Wahr ist's, unsre Offiziere erhielten
gerade damals die gemessenste Ordre, uns über Kopf und Hals zu mustern;
aber wir Rekruten wußten den Henker davon und dachten halt, das sey sonst
so Kriegsmanier.

Endlich kam der Zeitpunkt, wo es hieß: Allons, ins Feld. Jtzt wurde
Marsch geschlagen; Thränen von Bürgern, Soldatenweibern, H** u. d. gi.
flössen zu Haufen. Auch die Kriegsleute selber, die Landskinder nämlich, welche
Weiber und Kinder zurückließen, waren ganz niedergeschlagen, voll Wehmuth
und Kummers; die Fremden hingegen janchzren heimlich vor Freuden, und
riefen: Endlich Gottlob ist unsre Erlösung da! Jeder war bebündelt wie ein
Esel, erst mit einem Degengurt umschnallt; dann die Patrontasche über die
Schulter, mit einem fünf Zoll langen Riemen; über die andre Achsel den
Dvrnister, mit Wäsche u. s. f. bepackt; item der Habersack, mit Brodt und
andrer Fourage gestopft. Hiernächst mußte jeder noch ein Stock Feldgcräth
tragen; Flasche, Kessel, Hacken, oder so was; alles an Riemen; dann erst
noch eine Flinte, auch an einem solchen. So waren wir alle fünfmal über¬
einander kreutzweis über die Brust geschlossen, daß anfangs jeder glaubte unter
solcher Last ersticken zu müssen. Dazu kam die enge gepreßte Montur, und
eine solche Hundstagshitze, daß mir's manchmal däuchte, ich' geh' auf glühen¬
den Kohlen und wenn ich meiner Brust ein wenig Lust machte, ein Dampf
herauskam, wie von einem siedenden Kessel. Oft hatt' ich keinen trockenen
Faden mehr am Leib, und verschmachtete bald vor Durst.

So marschierten wir den ersten Tag (22. Aug.) zum Köppeniker Thor aus,
und machten noch 4. Stunden bis zum Städtchen Köppenik, wo wir zu 30—S0.
zu Bürgern einquartiert waren, die uns vor einen Groschen traktiren mußten.
Potz Plunder, wie giengs da her! Ha! da wurde gefressen. Aber denk' man sich
nur so viele große hungrige Kerls! Immer hieß es da: Schafs her, Canaille,
was d' im hintersten Winkel hast. Des Nachts wurde die Se>'>" mit Stroh
gefüllt; da lagen wir alle in Reihen, den Wänden nach. Wahrlich eine curiose
Wirthschaft! In jedem Haus befand sich ein Offizier, welcher auf guter Manns¬
zucht halten sollte; sie waren aber oft die Fäulsten.*)--



*> Die Schlimmsten.
14*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/115>, abgerufen am 23.07.2024.