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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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beysammen sein konnten. G. mußten wir in den H"*häuscrn suchen, wenn
wir ihn haben wollten; er kam bald hernach ins Lazareth. Ich und Scharer
waren auch darum völlig gleichgesinnt, daß uns das Berliner-Weibsvolk eckelhaft
und abscheulich vorkam; und wollt'ich für ihn so gut wie für mich einen Eid
schwören, daß wir keine mit einem Finger berührt. Sondern sobald das
Exercieren vorbey war, flogen wir miteinander in Schottmanns Keller, tranken
unsern Krug Rnpiner- oder Gottwitzer-Bier (!), schmauchten ein Pfeifgcn, und
trillerten ein Schweitzerlled. Immer horchten uns da die Brandenburger und
Pommeraner mit Lust zu. Etliche Herren sogar ließen uns oft erpreß in eine
Garküche rufen, ihnen den Kuhreiher zu singen: Meist bestand der Svieler-
lvhn bloß in einer schmutzigen Suppe; aber in einer solchen Lage nimmt man
mit noch weniger vorlieb.

Oft erzählten wir einander unsre Lebensart bey Hause; wie wohl's uns
war, wie frey wir gewesen, was es hingegen hier vor ein verwünschtes Leben
sey, u. d. gi. Dann machten wir Plane zu unsrer Entledigung. Bald hatten
wir Hoffnung,' daß uns heut oder morgens einer derselben gelingen möchte;
bald hingegen sahen wir vor jedem einen unübersteiglichen Berg; und noch am
meisten schreckte uns die Vorstellung der Folgen eines allenfalls, fehlschlagenden
Versuches. Bald alle Wochen hörten wir nämlich neue ängstigende Geschichten
von eingebrachten Deserteurs, die, wenn sie noch so viele List gebraucht, sich
in Schiffer und andre Handwerksleute, oder gar in Weibsbilder verkleivt, in
Tonnen und Fässer versteckt, u. d. gi., dennoch ertappt wurden. Da mußten
wir zusehen, wie man sie durch 200. Mann, achtmal die lange Gasse auf und
ab Spißruthen laufen ließ, bis sie athemlos hinsanken -- und des folgenden
Tags aufs neue dran mußten; die Kleider ihnen vom zerhackten Rücken herun¬
tergerissen, und wieder frisch drauf losgehauen wurde, bis Fetzen geronnenen
Bluts ihnen über die Hosen hinabhingen. Dann sahen Schärer und ich
einander zitternd und todtblaß an, und flüsterten einander in die Ohren: "Die
verdammten Barbaren"! Was hiernächst auch auf dem Exerzierplatz vorging, gab
uns zu ähnlichen Betrachtungen Anlaß. Auch da war des Fluchens und
Karbatschens von prügelsüchtigen JünkerlinS, und hinwieder des LamentierenS
der Geprügelten kein Ende. Wir selber zwar waren immer von den ersten auf
der Stelle, und tummelten uns wacker. Aber es that uns nicht minder in der
Seele weh, andre um jeder Kleinigkeit willen so unbarmherzig behandelt, und uns
selberx so, Jahr ein Jahr aus, coujonirt zu sehn; oft ganzer fünf Stunden lang
in unsrer Montur eingeschnürt wie geschraubt stehn, in die Kreuz und Querre pfahl-
gerad marschieren, und ununterbrochen blitzschnelle Handgriffe machen zu müssen;
und das alles auf Geheiß eines Offiziers, der mit einem furiosen Gesicht und
aufgehobenem Stock vor uns fluhnd und alle Augenblick wie unter KabiSköpfe
drein zu hauen drohte. Bey einem solchen Traktament mußte auch der stark-


beysammen sein konnten. G. mußten wir in den H"*häuscrn suchen, wenn
wir ihn haben wollten; er kam bald hernach ins Lazareth. Ich und Scharer
waren auch darum völlig gleichgesinnt, daß uns das Berliner-Weibsvolk eckelhaft
und abscheulich vorkam; und wollt'ich für ihn so gut wie für mich einen Eid
schwören, daß wir keine mit einem Finger berührt. Sondern sobald das
Exercieren vorbey war, flogen wir miteinander in Schottmanns Keller, tranken
unsern Krug Rnpiner- oder Gottwitzer-Bier (!), schmauchten ein Pfeifgcn, und
trillerten ein Schweitzerlled. Immer horchten uns da die Brandenburger und
Pommeraner mit Lust zu. Etliche Herren sogar ließen uns oft erpreß in eine
Garküche rufen, ihnen den Kuhreiher zu singen: Meist bestand der Svieler-
lvhn bloß in einer schmutzigen Suppe; aber in einer solchen Lage nimmt man
mit noch weniger vorlieb.

Oft erzählten wir einander unsre Lebensart bey Hause; wie wohl's uns
war, wie frey wir gewesen, was es hingegen hier vor ein verwünschtes Leben
sey, u. d. gi. Dann machten wir Plane zu unsrer Entledigung. Bald hatten
wir Hoffnung,' daß uns heut oder morgens einer derselben gelingen möchte;
bald hingegen sahen wir vor jedem einen unübersteiglichen Berg; und noch am
meisten schreckte uns die Vorstellung der Folgen eines allenfalls, fehlschlagenden
Versuches. Bald alle Wochen hörten wir nämlich neue ängstigende Geschichten
von eingebrachten Deserteurs, die, wenn sie noch so viele List gebraucht, sich
in Schiffer und andre Handwerksleute, oder gar in Weibsbilder verkleivt, in
Tonnen und Fässer versteckt, u. d. gi., dennoch ertappt wurden. Da mußten
wir zusehen, wie man sie durch 200. Mann, achtmal die lange Gasse auf und
ab Spißruthen laufen ließ, bis sie athemlos hinsanken — und des folgenden
Tags aufs neue dran mußten; die Kleider ihnen vom zerhackten Rücken herun¬
tergerissen, und wieder frisch drauf losgehauen wurde, bis Fetzen geronnenen
Bluts ihnen über die Hosen hinabhingen. Dann sahen Schärer und ich
einander zitternd und todtblaß an, und flüsterten einander in die Ohren: „Die
verdammten Barbaren"! Was hiernächst auch auf dem Exerzierplatz vorging, gab
uns zu ähnlichen Betrachtungen Anlaß. Auch da war des Fluchens und
Karbatschens von prügelsüchtigen JünkerlinS, und hinwieder des LamentierenS
der Geprügelten kein Ende. Wir selber zwar waren immer von den ersten auf
der Stelle, und tummelten uns wacker. Aber es that uns nicht minder in der
Seele weh, andre um jeder Kleinigkeit willen so unbarmherzig behandelt, und uns
selberx so, Jahr ein Jahr aus, coujonirt zu sehn; oft ganzer fünf Stunden lang
in unsrer Montur eingeschnürt wie geschraubt stehn, in die Kreuz und Querre pfahl-
gerad marschieren, und ununterbrochen blitzschnelle Handgriffe machen zu müssen;
und das alles auf Geheiß eines Offiziers, der mit einem furiosen Gesicht und
aufgehobenem Stock vor uns fluhnd und alle Augenblick wie unter KabiSköpfe
drein zu hauen drohte. Bey einem solchen Traktament mußte auch der stark-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/114>, abgerufen am 23.07.2024.