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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Noch schlimmer aber war das Unwesen, wenn die Werber im Auslande
nach Beute suchten. Dort war es schwerer zu fangen und viel schwerer, die
Beute bis an die Grenze zu schaffen, da das, was damals Gesetz hieß, den
Gefangenen doch zu Gute kommen konnte. Nicht überall, denn nicht wenige
Städte und kleine Landesherrn waren so gewissenlos, auch die Werbungen
fremder Fürsten auf ihrem Territorium zu begünstigen oder doch zu dulden.
Solche Orte waren die Mittelpunkte für ein complicirtes Gewebe von Schur¬
kereien und Intriguen, um unwissende oder verdorbene Leute zu fangen.

In dem Folgende" sollen die Abenteuer eines armen Deserteurs mit seine"
eignen Worten geschildert werden. Der Erzählende ist der Schweizer Ulrich
Bräcker, der Mann von Toggenburg, dessen interessante Selbstbiographie schon
früher in d. Bl. besprochen wurdet (Grenzboten No. 2i. Seine Lebens-
beschreibung zuletzt in vortrefflicher Ausstattung gedruckt: 18S2. Georg Wi-
gand. Leipzig.)

Ulrich Bräcker war in Toggenburg, seiner Heimath, mit seinem Vater
beim Holzfällen beschäftigt, als ein Bekannter der Familie, ein umherziehender
Müller, zu den Arbeitenden trat und der ehrlichen Einfalt Bräckers den Rath
gab, Ulrich solle mit ihm aus dem Thal in die Städte ziehn, um dort sein
Glück zu machen. Unter den Segenswünschen der Eltern und Geschwister
wandert der ehrliche Junge mit dem Hausfreunde nach Schaffhausen; dort
wird er in ein Wirthshaus gebracht, wo er einen fremden Offizier kennen lernt.
Als sein Begleiter sich zufällig auf kurze Zeit entfernt, wird er mit dem Offizier
Handels einig, als Bedienter bei ihm zu bleiben. Der Hausfreund kommt in das
Zimmer zurück und ist aufs höchste entrüstet, nicht darüber, daß Ulrich in den
Dienst getreten ist, sondern daß er dies ohne seine Vermittlung gethan hat und
daß ihm das Mäklergeld dadurch verkürzt wird. Es ergab sich später, baß er
selbst den Sohn seines LandsmannS fortgeführt hatte, um ihn zu verkaufen "ut
daß er zwanzig Friedrichsdor für ihn hatte fordern wollen. Ulrich lebt eine
Zeitlang lustig als Bedienter bei seinem lockern Herrn, dem Italiener Mar-
koni, in neuer Livree, ohne sich sonderlich um die geheime Dienstthätigkeit des¬
selben zu kümmern. Er fühlt sich in seinen neuen Verhältnissen sehr wohl und
schreibt einen freudigen Brief nach dem andern an seine Eltern und seine Ge¬
liebte. Endlich wird er mit einer Lüge von seinem Herrn tiefer in das Reich
und zuletzt bis Berlin geschickt und erst dort merkt er mit Schrecken, daß seine


liebe Bemerkung des alten Herrn: Wachse nicht so sehr, dich werden die Werber fangen. So
gewöhnte siel, der Sohn in der Jugend an einen gedrückten Gang und eine krumme Haltung,
er selbst hat das seinen Kindern oft erzählt. AIS diese aber sei" Bild in die Seele schlössen,
ging er nicht mehr krumm, sondern sehr aufrecht und gerade, ja er war im Jahre 48->,'! selbst
Krciscommissar seines Kreises für Werbung von R-ernten gewesen, und mit Mühe dnrch die
Vorstellungen seiner College" gehindert worden, noch im vorgerückten Manncvalter sich selbst
zum Recruten zu machen.

Noch schlimmer aber war das Unwesen, wenn die Werber im Auslande
nach Beute suchten. Dort war es schwerer zu fangen und viel schwerer, die
Beute bis an die Grenze zu schaffen, da das, was damals Gesetz hieß, den
Gefangenen doch zu Gute kommen konnte. Nicht überall, denn nicht wenige
Städte und kleine Landesherrn waren so gewissenlos, auch die Werbungen
fremder Fürsten auf ihrem Territorium zu begünstigen oder doch zu dulden.
Solche Orte waren die Mittelpunkte für ein complicirtes Gewebe von Schur¬
kereien und Intriguen, um unwissende oder verdorbene Leute zu fangen.

In dem Folgende» sollen die Abenteuer eines armen Deserteurs mit seine»
eignen Worten geschildert werden. Der Erzählende ist der Schweizer Ulrich
Bräcker, der Mann von Toggenburg, dessen interessante Selbstbiographie schon
früher in d. Bl. besprochen wurdet (Grenzboten No. 2i. Seine Lebens-
beschreibung zuletzt in vortrefflicher Ausstattung gedruckt: 18S2. Georg Wi-
gand. Leipzig.)

Ulrich Bräcker war in Toggenburg, seiner Heimath, mit seinem Vater
beim Holzfällen beschäftigt, als ein Bekannter der Familie, ein umherziehender
Müller, zu den Arbeitenden trat und der ehrlichen Einfalt Bräckers den Rath
gab, Ulrich solle mit ihm aus dem Thal in die Städte ziehn, um dort sein
Glück zu machen. Unter den Segenswünschen der Eltern und Geschwister
wandert der ehrliche Junge mit dem Hausfreunde nach Schaffhausen; dort
wird er in ein Wirthshaus gebracht, wo er einen fremden Offizier kennen lernt.
Als sein Begleiter sich zufällig auf kurze Zeit entfernt, wird er mit dem Offizier
Handels einig, als Bedienter bei ihm zu bleiben. Der Hausfreund kommt in das
Zimmer zurück und ist aufs höchste entrüstet, nicht darüber, daß Ulrich in den
Dienst getreten ist, sondern daß er dies ohne seine Vermittlung gethan hat und
daß ihm das Mäklergeld dadurch verkürzt wird. Es ergab sich später, baß er
selbst den Sohn seines LandsmannS fortgeführt hatte, um ihn zu verkaufen »ut
daß er zwanzig Friedrichsdor für ihn hatte fordern wollen. Ulrich lebt eine
Zeitlang lustig als Bedienter bei seinem lockern Herrn, dem Italiener Mar-
koni, in neuer Livree, ohne sich sonderlich um die geheime Dienstthätigkeit des¬
selben zu kümmern. Er fühlt sich in seinen neuen Verhältnissen sehr wohl und
schreibt einen freudigen Brief nach dem andern an seine Eltern und seine Ge¬
liebte. Endlich wird er mit einer Lüge von seinem Herrn tiefer in das Reich
und zuletzt bis Berlin geschickt und erst dort merkt er mit Schrecken, daß seine


liebe Bemerkung des alten Herrn: Wachse nicht so sehr, dich werden die Werber fangen. So
gewöhnte siel, der Sohn in der Jugend an einen gedrückten Gang und eine krumme Haltung,
er selbst hat das seinen Kindern oft erzählt. AIS diese aber sei» Bild in die Seele schlössen,
ging er nicht mehr krumm, sondern sehr aufrecht und gerade, ja er war im Jahre 48->,'! selbst
Krciscommissar seines Kreises für Werbung von R-ernten gewesen, und mit Mühe dnrch die
Vorstellungen seiner College» gehindert worden, noch im vorgerückten Manncvalter sich selbst
zum Recruten zu machen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/110>, abgerufen am 23.07.2024.