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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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In der Mitte zwischen diesen beiden Extremen steht das gläubige Hinaus¬
streben in die Welt der Ideale: Gustav in der "unsichtbaren Loge", Gottwald,
Albano, zuletzt in ironischer Wendung Nikolaus Markgraf. In dieser "blöden
Jugendeselei" ist unser Dichter in der That zu Hause und er hat von den
stillen Träumen eines gläubigen Kindergemüths so schöne, rührende und
mannigfaltige Züge dargestellt, daß wir bedauern müssen, sie so häufig durch
den Wust des sogenannten Humors erstickt zu sehen. Allein auch bei ihnen
zeigt sich ein ungesunder Zug. Wer wollte nicht das Kind und den Jüngling
in seiner ersten Blüte um die reiche ideale Welt seines Innern beneiden,
wenn auch das spätere Leben unbarmherzig die Illusionen zerstört. Aber Jean
Pauls Helden erzeugen sich ihre Ideale aus eine künstliche, unnatürliche Weise.
Albano fühlt das ästhetische Bedürfniß, einen Freund und eine Geliebte zu
haben, um ihnen seine Gefühle zu schreiben, er fabricirt sich also dieselben.
Gottwald verfährt aus dieselbe Weise. Im gesunden Leben geschieht es anders.
Man liebt, weil man einen liebenswerthen Gegenstand findet. Die gegen¬
standslose Liebe und Freundschaft, die beiläufig sehr charakteristisch sich durch
den Grafentitel, seidene Kleider und dergleichen bestimmen läßt, ist die Frucht
der Romanlectüre und sehr gefährlich für die weitere Lebensentwicklung.

Daß dieses absolute Phantasieleben eine sehr böse Seite habe, davon hatte
Jean Paul eine lebhafte Ahnung, und sein Roquairol ist eine glänzende, in
allen Punkten treffende Satire gegen das Phantasieleben seiner eigenen
Helden. Ueberhaupt darf man in den Consequenzen immer nur einen Schritt
weiter gehen, um zu entdecken, daß die Gegensätze in seinen Charakteren nicht
zu ernst zu nehmen sind. Verbindet man Schoppe und Emanuel, was gar
nicht so schwierig ist, da die entgegengesetzten Abstraktionen sich berühren, so
erhält man Lord Horion; und nimmt man diesem die Maske ab, so tritt Don
Gaspard daraus hervor. Weil sich der Dichter nie damit begnügt, die Ge¬
genstände und Ereignisse ruhig darzustellen, sondern mit ihnen zugleich seine
Reflexion gibt, hat fast jeder seiner Charaktere einen Doppelgänger, mit dem
er verwechselt wird, der sein Schatten ist, das ironische Zerrbild seines wirk¬
lichen Inhalts.

Es kam dazu die grenzenlose Verkümmerung des deutschen Lebens, die
wir bei Goethe aus Augenblicke, gefesselt durch den Reiz der schönen indivi¬
duellen Natur, vergessen, an die wir aber bei Jean Paul fortwährend uns
erinnern, weil die Ideale seiner Helden ganz in den Schranken der Empirie
besangen sind. So schwärmt Albano für die französische Revolution und ist
entschlossen, in den Reihen ihrer Krieger zu fechten, auch gegen fein eignes
Vaterland. Diese fixe Idee geht bei ihm soweit, daß er deswegen mit seiner
Geliebten bricht. Nun stellt sich heraus, daß er das Höchste ist, was Jean
Paul sich vorstellen konnte, ein deutscher Reichsfürst, einer von jenen verlören


In der Mitte zwischen diesen beiden Extremen steht das gläubige Hinaus¬
streben in die Welt der Ideale: Gustav in der „unsichtbaren Loge", Gottwald,
Albano, zuletzt in ironischer Wendung Nikolaus Markgraf. In dieser „blöden
Jugendeselei" ist unser Dichter in der That zu Hause und er hat von den
stillen Träumen eines gläubigen Kindergemüths so schöne, rührende und
mannigfaltige Züge dargestellt, daß wir bedauern müssen, sie so häufig durch
den Wust des sogenannten Humors erstickt zu sehen. Allein auch bei ihnen
zeigt sich ein ungesunder Zug. Wer wollte nicht das Kind und den Jüngling
in seiner ersten Blüte um die reiche ideale Welt seines Innern beneiden,
wenn auch das spätere Leben unbarmherzig die Illusionen zerstört. Aber Jean
Pauls Helden erzeugen sich ihre Ideale aus eine künstliche, unnatürliche Weise.
Albano fühlt das ästhetische Bedürfniß, einen Freund und eine Geliebte zu
haben, um ihnen seine Gefühle zu schreiben, er fabricirt sich also dieselben.
Gottwald verfährt aus dieselbe Weise. Im gesunden Leben geschieht es anders.
Man liebt, weil man einen liebenswerthen Gegenstand findet. Die gegen¬
standslose Liebe und Freundschaft, die beiläufig sehr charakteristisch sich durch
den Grafentitel, seidene Kleider und dergleichen bestimmen läßt, ist die Frucht
der Romanlectüre und sehr gefährlich für die weitere Lebensentwicklung.

Daß dieses absolute Phantasieleben eine sehr böse Seite habe, davon hatte
Jean Paul eine lebhafte Ahnung, und sein Roquairol ist eine glänzende, in
allen Punkten treffende Satire gegen das Phantasieleben seiner eigenen
Helden. Ueberhaupt darf man in den Consequenzen immer nur einen Schritt
weiter gehen, um zu entdecken, daß die Gegensätze in seinen Charakteren nicht
zu ernst zu nehmen sind. Verbindet man Schoppe und Emanuel, was gar
nicht so schwierig ist, da die entgegengesetzten Abstraktionen sich berühren, so
erhält man Lord Horion; und nimmt man diesem die Maske ab, so tritt Don
Gaspard daraus hervor. Weil sich der Dichter nie damit begnügt, die Ge¬
genstände und Ereignisse ruhig darzustellen, sondern mit ihnen zugleich seine
Reflexion gibt, hat fast jeder seiner Charaktere einen Doppelgänger, mit dem
er verwechselt wird, der sein Schatten ist, das ironische Zerrbild seines wirk¬
lichen Inhalts.

Es kam dazu die grenzenlose Verkümmerung des deutschen Lebens, die
wir bei Goethe aus Augenblicke, gefesselt durch den Reiz der schönen indivi¬
duellen Natur, vergessen, an die wir aber bei Jean Paul fortwährend uns
erinnern, weil die Ideale seiner Helden ganz in den Schranken der Empirie
besangen sind. So schwärmt Albano für die französische Revolution und ist
entschlossen, in den Reihen ihrer Krieger zu fechten, auch gegen fein eignes
Vaterland. Diese fixe Idee geht bei ihm soweit, daß er deswegen mit seiner
Geliebten bricht. Nun stellt sich heraus, daß er das Höchste ist, was Jean
Paul sich vorstellen konnte, ein deutscher Reichsfürst, einer von jenen verlören


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[0096] In der Mitte zwischen diesen beiden Extremen steht das gläubige Hinaus¬ streben in die Welt der Ideale: Gustav in der „unsichtbaren Loge", Gottwald, Albano, zuletzt in ironischer Wendung Nikolaus Markgraf. In dieser „blöden Jugendeselei" ist unser Dichter in der That zu Hause und er hat von den stillen Träumen eines gläubigen Kindergemüths so schöne, rührende und mannigfaltige Züge dargestellt, daß wir bedauern müssen, sie so häufig durch den Wust des sogenannten Humors erstickt zu sehen. Allein auch bei ihnen zeigt sich ein ungesunder Zug. Wer wollte nicht das Kind und den Jüngling in seiner ersten Blüte um die reiche ideale Welt seines Innern beneiden, wenn auch das spätere Leben unbarmherzig die Illusionen zerstört. Aber Jean Pauls Helden erzeugen sich ihre Ideale aus eine künstliche, unnatürliche Weise. Albano fühlt das ästhetische Bedürfniß, einen Freund und eine Geliebte zu haben, um ihnen seine Gefühle zu schreiben, er fabricirt sich also dieselben. Gottwald verfährt aus dieselbe Weise. Im gesunden Leben geschieht es anders. Man liebt, weil man einen liebenswerthen Gegenstand findet. Die gegen¬ standslose Liebe und Freundschaft, die beiläufig sehr charakteristisch sich durch den Grafentitel, seidene Kleider und dergleichen bestimmen läßt, ist die Frucht der Romanlectüre und sehr gefährlich für die weitere Lebensentwicklung. Daß dieses absolute Phantasieleben eine sehr böse Seite habe, davon hatte Jean Paul eine lebhafte Ahnung, und sein Roquairol ist eine glänzende, in allen Punkten treffende Satire gegen das Phantasieleben seiner eigenen Helden. Ueberhaupt darf man in den Consequenzen immer nur einen Schritt weiter gehen, um zu entdecken, daß die Gegensätze in seinen Charakteren nicht zu ernst zu nehmen sind. Verbindet man Schoppe und Emanuel, was gar nicht so schwierig ist, da die entgegengesetzten Abstraktionen sich berühren, so erhält man Lord Horion; und nimmt man diesem die Maske ab, so tritt Don Gaspard daraus hervor. Weil sich der Dichter nie damit begnügt, die Ge¬ genstände und Ereignisse ruhig darzustellen, sondern mit ihnen zugleich seine Reflexion gibt, hat fast jeder seiner Charaktere einen Doppelgänger, mit dem er verwechselt wird, der sein Schatten ist, das ironische Zerrbild seines wirk¬ lichen Inhalts. Es kam dazu die grenzenlose Verkümmerung des deutschen Lebens, die wir bei Goethe aus Augenblicke, gefesselt durch den Reiz der schönen indivi¬ duellen Natur, vergessen, an die wir aber bei Jean Paul fortwährend uns erinnern, weil die Ideale seiner Helden ganz in den Schranken der Empirie besangen sind. So schwärmt Albano für die französische Revolution und ist entschlossen, in den Reihen ihrer Krieger zu fechten, auch gegen fein eignes Vaterland. Diese fixe Idee geht bei ihm soweit, daß er deswegen mit seiner Geliebten bricht. Nun stellt sich heraus, daß er das Höchste ist, was Jean Paul sich vorstellen konnte, ein deutscher Reichsfürst, einer von jenen verlören

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/96>, abgerufen am 22.12.2024.