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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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darin. Fast stets die meisten unsrer Männerquartette sind leider so beschaffen,
daß es entweder reine Kraftlieder oder sentimentale Liebesergüsse sind; das
Mittlere, einzig Gesunde, die Durchdringung von Ernst und Milde, Kampf
und Versöhnung, Kraft und Anmuth findet hier selten eine Stätte. Am ge¬
sundesten sind uns immer noch die ursprünglichen Volkslieder erschienen, die
sich wenigstens von rafftnirter Unnatur frei halten; es ist daher zu billigen, daß
sich unter der Leitung Erks, des gründlichen Kenners altdeutscher Musik, ein
meist aus Lehrern bestehender Verein gebildet hat, der sich die Cultur des
(mehrstimmig bearbeiteten) Volksliedes zur alleinigen Aufgabe setzt. Derselbe
hat seit seiner Gründung viele durch zahlreichen Besuch und lebendigen Bei¬
fall ausgezeichnete Aufführungen veranstaltet, und wir erkennen gern an, daß
auch er seine berechtigte Stellung in dem Musikleben Berlins einnimmt; ver¬
schweigen dürfen wir indeß die Mängel der Ausführung nicht, die von jeher
an seinen Leistungen unangenehm berührten. Durch häufigen Gebrauch der
Falsetstimme bekommt die ganze Klangmasse etwas zu Weichliches; gewisse rohe
Töne werden freilich dadurch vermieden, aber den Melodien, die in der Höhe
oft ihre Hauptaccente haben, wird gar zu sehr die Spitze abgebrochen. Die
Aussprache der Worte ist sehr deutlich, die Intonation meist sicher, der Takt
wird mit unfehlbarer Festigkeit gehalten, aber alle diese Vorzüge correcter Aus¬
führung machen sich auf Kosten deS natürlichen musikalischen Flusses geltend,
die Töne und Silben vereinzeln sich, der Ansatz ist etwas hart und eckig, jene
Verbindung und Verschmelzung, die das Gefühl so warm erregt, so wohlthuend
anspricht, wird nicht erreicht. Auch Frauengesangvereine bestehen hier, aber
freilich in anderer Weise. Mehre unsrer Gesanglehrer haben nämlich die Sitte,
ihre Schüler zu gemeinsamen Uebungen zu vereinigen. Da nun ungleich mehr
Damen als Männer Gesangunterricht nehmen -- das Verhältniß wird etwa
10:1 sein -- so entstehen meistens weibliche Vereine daraus, von denen einige
in sehr anerkennungswerther Weise in die Oeffentlichkeit getreten sind. Schon
oben nannte ich den Kotzoldtschen Verein, in dem freilich auch die männlichen
Stimmen stark vertreten sind; ansprechende Chor- und Sololeistungen haben
wir von den Damen gehört, die unter Leitung der Frau Zimmermann und
der Frau Justizräthin Burchardt ihre Studien machen. Den Preis verdienen
aber die Leistungen des Teschnerschcn Vereins, die sich durch geschmackvolle
Auswahl der Musikstücke, durch äußerst correcte Ausführung und durch eine
zwar etwas zu zarte und milde, aber sehr gebildete und dem Wesen der Weib¬
lichkeit entsprechende Klangfarbe auszeichnen. -- Der Zusammenhang führt
uns noch auf ein paar musikalische Zusammenkünfte, die zwar nur den Charakter
geselliger Unterhaltung an sich trugen, aber weite Theilnahme fanden und nicht
nur in Privatkreisen, sondern auch in den öffentlichen Blättern vielfach und
weitläufig besprochen wurden. Es waren dies Liederfeste, Gesangsfeste im


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darin. Fast stets die meisten unsrer Männerquartette sind leider so beschaffen,
daß es entweder reine Kraftlieder oder sentimentale Liebesergüsse sind; das
Mittlere, einzig Gesunde, die Durchdringung von Ernst und Milde, Kampf
und Versöhnung, Kraft und Anmuth findet hier selten eine Stätte. Am ge¬
sundesten sind uns immer noch die ursprünglichen Volkslieder erschienen, die
sich wenigstens von rafftnirter Unnatur frei halten; es ist daher zu billigen, daß
sich unter der Leitung Erks, des gründlichen Kenners altdeutscher Musik, ein
meist aus Lehrern bestehender Verein gebildet hat, der sich die Cultur des
(mehrstimmig bearbeiteten) Volksliedes zur alleinigen Aufgabe setzt. Derselbe
hat seit seiner Gründung viele durch zahlreichen Besuch und lebendigen Bei¬
fall ausgezeichnete Aufführungen veranstaltet, und wir erkennen gern an, daß
auch er seine berechtigte Stellung in dem Musikleben Berlins einnimmt; ver¬
schweigen dürfen wir indeß die Mängel der Ausführung nicht, die von jeher
an seinen Leistungen unangenehm berührten. Durch häufigen Gebrauch der
Falsetstimme bekommt die ganze Klangmasse etwas zu Weichliches; gewisse rohe
Töne werden freilich dadurch vermieden, aber den Melodien, die in der Höhe
oft ihre Hauptaccente haben, wird gar zu sehr die Spitze abgebrochen. Die
Aussprache der Worte ist sehr deutlich, die Intonation meist sicher, der Takt
wird mit unfehlbarer Festigkeit gehalten, aber alle diese Vorzüge correcter Aus¬
führung machen sich auf Kosten deS natürlichen musikalischen Flusses geltend,
die Töne und Silben vereinzeln sich, der Ansatz ist etwas hart und eckig, jene
Verbindung und Verschmelzung, die das Gefühl so warm erregt, so wohlthuend
anspricht, wird nicht erreicht. Auch Frauengesangvereine bestehen hier, aber
freilich in anderer Weise. Mehre unsrer Gesanglehrer haben nämlich die Sitte,
ihre Schüler zu gemeinsamen Uebungen zu vereinigen. Da nun ungleich mehr
Damen als Männer Gesangunterricht nehmen — das Verhältniß wird etwa
10:1 sein — so entstehen meistens weibliche Vereine daraus, von denen einige
in sehr anerkennungswerther Weise in die Oeffentlichkeit getreten sind. Schon
oben nannte ich den Kotzoldtschen Verein, in dem freilich auch die männlichen
Stimmen stark vertreten sind; ansprechende Chor- und Sololeistungen haben
wir von den Damen gehört, die unter Leitung der Frau Zimmermann und
der Frau Justizräthin Burchardt ihre Studien machen. Den Preis verdienen
aber die Leistungen des Teschnerschcn Vereins, die sich durch geschmackvolle
Auswahl der Musikstücke, durch äußerst correcte Ausführung und durch eine
zwar etwas zu zarte und milde, aber sehr gebildete und dem Wesen der Weib¬
lichkeit entsprechende Klangfarbe auszeichnen. — Der Zusammenhang führt
uns noch auf ein paar musikalische Zusammenkünfte, die zwar nur den Charakter
geselliger Unterhaltung an sich trugen, aber weite Theilnahme fanden und nicht
nur in Privatkreisen, sondern auch in den öffentlichen Blättern vielfach und
weitläufig besprochen wurden. Es waren dies Liederfeste, Gesangsfeste im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/507>, abgerufen am 22.07.2024.