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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Noth wird also den Kaiser der Franzosen dazu bestimmen können, Leidenschaf¬
ten zu entfesseln, deren Wuth sich ebensowol gegen ihn wenden kann, als ge¬
gen seine Feinde. -- In einer ähnlichen Lage befindet sich der König von
Sardinien. Der größere Theil der revolutionären Partei Italiens ist republi¬
kanisch gesinnt. Sie würde für seine Zwecke nur ein sehr zweifelhafter Bundes¬
genosse sein.

Auch in Beziehung auf die Streitkräfte, welche die insurgirten Länder
den Verbündeten bieten können, ist Klapka viel zu sanguinisch. Bei der Berech¬
nung der italienischen Hilfstruppen bringt er zu unserm Erstaunen nicht blos
die piemontestsche Mannschaft, sondern die päpstlichen und die neapolitanischen
Truppen in Anschlag. Diese Truppen müssen im Gegegentheil erst besiegt
werden, bevor sein Unternehmen beginnen kann. Den Werth einer Volks¬
erhebung schlägt er viel zu hoch an. Die Italiener sind sehr tüchtige und
tapfere Truppen innerhalb eines disciplinirten Heeres, als Insurgenten aber sind
sie leicht auseinanderzutreiben, wie das alle bisherigen Aufstände gezeigt haben;
und ehe die Engländer und Franzosen soweit kommen, eine aus Italienern zu¬
sammengesetzte Armee in reguläre Truppen zu verwandeln, würden muthmaßlich
Ereignisse eintreten, welche der ganzen Frage eine andere Wendung geben.
Was Polen und Ungarn betrifft, so rechnet man immer falsch, wenn man die
Jnsurrection von 1831 und von 1848 im Auge behält. 1831 hatten die
Polen eine fertige und ausgerüstete Armee, 1848 hatten die Ungarn wenigstens
einen Stamm dafür. Von alle dem ist jetzt keine Rede, und jeder Versuch, in
Ungarn oder Polen eine insurrectionelle Armee zu bilden, würde gleich zu An¬
fang mit leichter Mühe niedergeschlagen werden. Daß die Führer der Revolu¬
tion nebenbei noch immer auf Deutschland rechnen, zeigt deutlich, in welchem
Traumleben sie befangen sind.

Wir haben bis jetzt nur auf die materiellen Schwierigkeiten unser Auge
geworfen; betrachten wir einmal die moralische Seite. Wenn die verbündeten
Mächte eine Jnsurrection hervorrufen ohne die ganz sichere Aussicht deS Ge¬
lingens, wenn sie also wiederum eine Masse edler Häupter dem Henkerschwert
preisgeben, so begehen sie ein Verbrechen, sür das wir gar lernen Ausdruck
finden; und wenn auch in der auswärtigen Politik thatsächlich noch immer
die macchiavellistischen Grundsätze gelten, so wendet man sie doch nur in den
äußersten Fällen an.

Durch alle diese Bemerkungen wollen wir keineswegs die Unmöglichkeit
einer derartigen Kriegführung darthun. Wenn Rußland im nächstfolgenden
Jahre nicht Frieden schließt, wenn der kriegerische Enthusiasmus der Englän¬
der und Franzosen fortdauert, und wenn die deutschen Mächte in ihrem pas¬
siven Widerstand beharren, so werden in der Hitze des Zorns vielleicht alle
bisherigen Bedenken schwinden und man wird dem Kriege eine andere Wen-


Noth wird also den Kaiser der Franzosen dazu bestimmen können, Leidenschaf¬
ten zu entfesseln, deren Wuth sich ebensowol gegen ihn wenden kann, als ge¬
gen seine Feinde. — In einer ähnlichen Lage befindet sich der König von
Sardinien. Der größere Theil der revolutionären Partei Italiens ist republi¬
kanisch gesinnt. Sie würde für seine Zwecke nur ein sehr zweifelhafter Bundes¬
genosse sein.

Auch in Beziehung auf die Streitkräfte, welche die insurgirten Länder
den Verbündeten bieten können, ist Klapka viel zu sanguinisch. Bei der Berech¬
nung der italienischen Hilfstruppen bringt er zu unserm Erstaunen nicht blos
die piemontestsche Mannschaft, sondern die päpstlichen und die neapolitanischen
Truppen in Anschlag. Diese Truppen müssen im Gegegentheil erst besiegt
werden, bevor sein Unternehmen beginnen kann. Den Werth einer Volks¬
erhebung schlägt er viel zu hoch an. Die Italiener sind sehr tüchtige und
tapfere Truppen innerhalb eines disciplinirten Heeres, als Insurgenten aber sind
sie leicht auseinanderzutreiben, wie das alle bisherigen Aufstände gezeigt haben;
und ehe die Engländer und Franzosen soweit kommen, eine aus Italienern zu¬
sammengesetzte Armee in reguläre Truppen zu verwandeln, würden muthmaßlich
Ereignisse eintreten, welche der ganzen Frage eine andere Wendung geben.
Was Polen und Ungarn betrifft, so rechnet man immer falsch, wenn man die
Jnsurrection von 1831 und von 1848 im Auge behält. 1831 hatten die
Polen eine fertige und ausgerüstete Armee, 1848 hatten die Ungarn wenigstens
einen Stamm dafür. Von alle dem ist jetzt keine Rede, und jeder Versuch, in
Ungarn oder Polen eine insurrectionelle Armee zu bilden, würde gleich zu An¬
fang mit leichter Mühe niedergeschlagen werden. Daß die Führer der Revolu¬
tion nebenbei noch immer auf Deutschland rechnen, zeigt deutlich, in welchem
Traumleben sie befangen sind.

Wir haben bis jetzt nur auf die materiellen Schwierigkeiten unser Auge
geworfen; betrachten wir einmal die moralische Seite. Wenn die verbündeten
Mächte eine Jnsurrection hervorrufen ohne die ganz sichere Aussicht deS Ge¬
lingens, wenn sie also wiederum eine Masse edler Häupter dem Henkerschwert
preisgeben, so begehen sie ein Verbrechen, sür das wir gar lernen Ausdruck
finden; und wenn auch in der auswärtigen Politik thatsächlich noch immer
die macchiavellistischen Grundsätze gelten, so wendet man sie doch nur in den
äußersten Fällen an.

Durch alle diese Bemerkungen wollen wir keineswegs die Unmöglichkeit
einer derartigen Kriegführung darthun. Wenn Rußland im nächstfolgenden
Jahre nicht Frieden schließt, wenn der kriegerische Enthusiasmus der Englän¬
der und Franzosen fortdauert, und wenn die deutschen Mächte in ihrem pas¬
siven Widerstand beharren, so werden in der Hitze des Zorns vielleicht alle
bisherigen Bedenken schwinden und man wird dem Kriege eine andere Wen-


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[0494] Noth wird also den Kaiser der Franzosen dazu bestimmen können, Leidenschaf¬ ten zu entfesseln, deren Wuth sich ebensowol gegen ihn wenden kann, als ge¬ gen seine Feinde. — In einer ähnlichen Lage befindet sich der König von Sardinien. Der größere Theil der revolutionären Partei Italiens ist republi¬ kanisch gesinnt. Sie würde für seine Zwecke nur ein sehr zweifelhafter Bundes¬ genosse sein. Auch in Beziehung auf die Streitkräfte, welche die insurgirten Länder den Verbündeten bieten können, ist Klapka viel zu sanguinisch. Bei der Berech¬ nung der italienischen Hilfstruppen bringt er zu unserm Erstaunen nicht blos die piemontestsche Mannschaft, sondern die päpstlichen und die neapolitanischen Truppen in Anschlag. Diese Truppen müssen im Gegegentheil erst besiegt werden, bevor sein Unternehmen beginnen kann. Den Werth einer Volks¬ erhebung schlägt er viel zu hoch an. Die Italiener sind sehr tüchtige und tapfere Truppen innerhalb eines disciplinirten Heeres, als Insurgenten aber sind sie leicht auseinanderzutreiben, wie das alle bisherigen Aufstände gezeigt haben; und ehe die Engländer und Franzosen soweit kommen, eine aus Italienern zu¬ sammengesetzte Armee in reguläre Truppen zu verwandeln, würden muthmaßlich Ereignisse eintreten, welche der ganzen Frage eine andere Wendung geben. Was Polen und Ungarn betrifft, so rechnet man immer falsch, wenn man die Jnsurrection von 1831 und von 1848 im Auge behält. 1831 hatten die Polen eine fertige und ausgerüstete Armee, 1848 hatten die Ungarn wenigstens einen Stamm dafür. Von alle dem ist jetzt keine Rede, und jeder Versuch, in Ungarn oder Polen eine insurrectionelle Armee zu bilden, würde gleich zu An¬ fang mit leichter Mühe niedergeschlagen werden. Daß die Führer der Revolu¬ tion nebenbei noch immer auf Deutschland rechnen, zeigt deutlich, in welchem Traumleben sie befangen sind. Wir haben bis jetzt nur auf die materiellen Schwierigkeiten unser Auge geworfen; betrachten wir einmal die moralische Seite. Wenn die verbündeten Mächte eine Jnsurrection hervorrufen ohne die ganz sichere Aussicht deS Ge¬ lingens, wenn sie also wiederum eine Masse edler Häupter dem Henkerschwert preisgeben, so begehen sie ein Verbrechen, sür das wir gar lernen Ausdruck finden; und wenn auch in der auswärtigen Politik thatsächlich noch immer die macchiavellistischen Grundsätze gelten, so wendet man sie doch nur in den äußersten Fällen an. Durch alle diese Bemerkungen wollen wir keineswegs die Unmöglichkeit einer derartigen Kriegführung darthun. Wenn Rußland im nächstfolgenden Jahre nicht Frieden schließt, wenn der kriegerische Enthusiasmus der Englän¬ der und Franzosen fortdauert, und wenn die deutschen Mächte in ihrem pas¬ siven Widerstand beharren, so werden in der Hitze des Zorns vielleicht alle bisherigen Bedenken schwinden und man wird dem Kriege eine andere Wen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/494>, abgerufen am 25.08.2024.