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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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land einige kleine Schlappen erleidet, damit es ihm nicht gar zu übermächtig
auf dem Nacken sitzt, allein eine ernste Schwächung Rußlands kann Oestreich
nicht zugeben, weil es mit ihm seinen letzten Schutz verlicrr. -- Außerdem
kann Oestreich nicht wagen, sich in einen ernsthaften Krieg einzulassen, denn
es kann auf die Treue seiner Armeen nicht zählen. Seine Heere sind aus
Nationalitäten genommen, die nur mit dem größten Widerstreben sein Joch
tragen. Es hat durch seine Centralisation die Herzen aller Völker sich entfremdet
und die Ungarn, Slawen in. sind seine Feinde.

In allen diesen Punkten sind wir entschieven entgegengesetzter Ansicht.
Oestreich kann auf seine Heere zählen, so gut wie ein anderer Staat; es be¬
darf den Schutz Rußlands nicht nur nicht, sondern es muß alles daransetzen,
um demselben zu entgehen. Es gibt keinenStaat, dem an der Schwächung
Rußlands soviel gelegen sein müßte, als Oestreich, und wenn eS sich den West¬
mächten nicht anschließt, so ist der Grund in ganz andern Dingen zu suchen.
Offenbar führt den ungarischen General die bei ihm freilich sehr begreifliche
Antipathie irre.

Was soll nun geschehen, wenn Oestreich sich in der That weigert, an dem
Feldzug theilzunehmen und dadurch den Einmarsch der Verbündeten in Bess-
arabien factisch vereitelt? -- Nach Klcipkas Ansicht sollen die Verbündeten als¬
dann die Wiederaufrichtung der Nationalitäten zu ihrem Hauptzweck machen.
Sowie sie Polen insurgirt haben, sollen sie Ungarn und vor allen Italien in-
surgiren. Wenn sie das thun, verheißt ihnen Klapka die Unterstützung einer
Million streitbarer Männer. -- Die Sache ist von der revolutionären Partei
schon häufig angeregt worden; sehen wir zu, inwieweit die Drohung die deut¬
schen Mächte wirklich erschrecken kann.

Zunächst unterscheidet sich Klapka von den eigentlichen Revolutionärs
dadurch, daß er es für gleichgiltig erklärt, ob in Frankreich die Republik oder
das Kaiserthum besteht. Solange nur Frankreich die Sache der Civilisation
vertritt, möge man ihm die Hegemonie in diesem großen Kampfe anvertrauen.
Er geht auch nicht auf Herstellung einer großen italienischen Republik aus,
sondern er will die Einheit Italiens durch Vermittlung der sardinischen Mon¬
archie anbahnen. Bei dem neuen ungarisch-slawisch-rumänischen Föderativstaat
stellt er es als gleichgiltig dar, ob ein König darüber gesetzt oder ob eine
republikanisch-aristokratische Regierungsform festgehalten wird. Ueber Polen
spricht er sich in dieser Beziehung gar nicht aus.

Nun hat er aber bei dieser Darstellung, die freilich nicht so blutroth aus¬
sieht, als eine mazzinistische, einen wichtigen Umstand übersehen. Die revo¬
lutionäre Partei in Italien, die nothwendigerweise zu diesem Zweck aufgeboten
werden müßte, hegt gegen das französische Kaiserreich eine tödtliche Feindschaft,
ja sie haßt Napoleon mehr, als den Kaiser von Nußland. Nur die äußerste


land einige kleine Schlappen erleidet, damit es ihm nicht gar zu übermächtig
auf dem Nacken sitzt, allein eine ernste Schwächung Rußlands kann Oestreich
nicht zugeben, weil es mit ihm seinen letzten Schutz verlicrr. — Außerdem
kann Oestreich nicht wagen, sich in einen ernsthaften Krieg einzulassen, denn
es kann auf die Treue seiner Armeen nicht zählen. Seine Heere sind aus
Nationalitäten genommen, die nur mit dem größten Widerstreben sein Joch
tragen. Es hat durch seine Centralisation die Herzen aller Völker sich entfremdet
und die Ungarn, Slawen in. sind seine Feinde.

In allen diesen Punkten sind wir entschieven entgegengesetzter Ansicht.
Oestreich kann auf seine Heere zählen, so gut wie ein anderer Staat; es be¬
darf den Schutz Rußlands nicht nur nicht, sondern es muß alles daransetzen,
um demselben zu entgehen. Es gibt keinenStaat, dem an der Schwächung
Rußlands soviel gelegen sein müßte, als Oestreich, und wenn eS sich den West¬
mächten nicht anschließt, so ist der Grund in ganz andern Dingen zu suchen.
Offenbar führt den ungarischen General die bei ihm freilich sehr begreifliche
Antipathie irre.

Was soll nun geschehen, wenn Oestreich sich in der That weigert, an dem
Feldzug theilzunehmen und dadurch den Einmarsch der Verbündeten in Bess-
arabien factisch vereitelt? — Nach Klcipkas Ansicht sollen die Verbündeten als¬
dann die Wiederaufrichtung der Nationalitäten zu ihrem Hauptzweck machen.
Sowie sie Polen insurgirt haben, sollen sie Ungarn und vor allen Italien in-
surgiren. Wenn sie das thun, verheißt ihnen Klapka die Unterstützung einer
Million streitbarer Männer. — Die Sache ist von der revolutionären Partei
schon häufig angeregt worden; sehen wir zu, inwieweit die Drohung die deut¬
schen Mächte wirklich erschrecken kann.

Zunächst unterscheidet sich Klapka von den eigentlichen Revolutionärs
dadurch, daß er es für gleichgiltig erklärt, ob in Frankreich die Republik oder
das Kaiserthum besteht. Solange nur Frankreich die Sache der Civilisation
vertritt, möge man ihm die Hegemonie in diesem großen Kampfe anvertrauen.
Er geht auch nicht auf Herstellung einer großen italienischen Republik aus,
sondern er will die Einheit Italiens durch Vermittlung der sardinischen Mon¬
archie anbahnen. Bei dem neuen ungarisch-slawisch-rumänischen Föderativstaat
stellt er es als gleichgiltig dar, ob ein König darüber gesetzt oder ob eine
republikanisch-aristokratische Regierungsform festgehalten wird. Ueber Polen
spricht er sich in dieser Beziehung gar nicht aus.

Nun hat er aber bei dieser Darstellung, die freilich nicht so blutroth aus¬
sieht, als eine mazzinistische, einen wichtigen Umstand übersehen. Die revo¬
lutionäre Partei in Italien, die nothwendigerweise zu diesem Zweck aufgeboten
werden müßte, hegt gegen das französische Kaiserreich eine tödtliche Feindschaft,
ja sie haßt Napoleon mehr, als den Kaiser von Nußland. Nur die äußerste


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[0493] land einige kleine Schlappen erleidet, damit es ihm nicht gar zu übermächtig auf dem Nacken sitzt, allein eine ernste Schwächung Rußlands kann Oestreich nicht zugeben, weil es mit ihm seinen letzten Schutz verlicrr. — Außerdem kann Oestreich nicht wagen, sich in einen ernsthaften Krieg einzulassen, denn es kann auf die Treue seiner Armeen nicht zählen. Seine Heere sind aus Nationalitäten genommen, die nur mit dem größten Widerstreben sein Joch tragen. Es hat durch seine Centralisation die Herzen aller Völker sich entfremdet und die Ungarn, Slawen in. sind seine Feinde. In allen diesen Punkten sind wir entschieven entgegengesetzter Ansicht. Oestreich kann auf seine Heere zählen, so gut wie ein anderer Staat; es be¬ darf den Schutz Rußlands nicht nur nicht, sondern es muß alles daransetzen, um demselben zu entgehen. Es gibt keinenStaat, dem an der Schwächung Rußlands soviel gelegen sein müßte, als Oestreich, und wenn eS sich den West¬ mächten nicht anschließt, so ist der Grund in ganz andern Dingen zu suchen. Offenbar führt den ungarischen General die bei ihm freilich sehr begreifliche Antipathie irre. Was soll nun geschehen, wenn Oestreich sich in der That weigert, an dem Feldzug theilzunehmen und dadurch den Einmarsch der Verbündeten in Bess- arabien factisch vereitelt? — Nach Klcipkas Ansicht sollen die Verbündeten als¬ dann die Wiederaufrichtung der Nationalitäten zu ihrem Hauptzweck machen. Sowie sie Polen insurgirt haben, sollen sie Ungarn und vor allen Italien in- surgiren. Wenn sie das thun, verheißt ihnen Klapka die Unterstützung einer Million streitbarer Männer. — Die Sache ist von der revolutionären Partei schon häufig angeregt worden; sehen wir zu, inwieweit die Drohung die deut¬ schen Mächte wirklich erschrecken kann. Zunächst unterscheidet sich Klapka von den eigentlichen Revolutionärs dadurch, daß er es für gleichgiltig erklärt, ob in Frankreich die Republik oder das Kaiserthum besteht. Solange nur Frankreich die Sache der Civilisation vertritt, möge man ihm die Hegemonie in diesem großen Kampfe anvertrauen. Er geht auch nicht auf Herstellung einer großen italienischen Republik aus, sondern er will die Einheit Italiens durch Vermittlung der sardinischen Mon¬ archie anbahnen. Bei dem neuen ungarisch-slawisch-rumänischen Föderativstaat stellt er es als gleichgiltig dar, ob ein König darüber gesetzt oder ob eine republikanisch-aristokratische Regierungsform festgehalten wird. Ueber Polen spricht er sich in dieser Beziehung gar nicht aus. Nun hat er aber bei dieser Darstellung, die freilich nicht so blutroth aus¬ sieht, als eine mazzinistische, einen wichtigen Umstand übersehen. Die revo¬ lutionäre Partei in Italien, die nothwendigerweise zu diesem Zweck aufgeboten werden müßte, hegt gegen das französische Kaiserreich eine tödtliche Feindschaft, ja sie haßt Napoleon mehr, als den Kaiser von Nußland. Nur die äußerste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/493>, abgerufen am 22.07.2024.