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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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sirtes Nationalgefühl gebracht werden, welches die Regierung wieder als einen
Positiven Gewinn betrachten kann, und nebenbei ist jeder Schaden, den die
Verbündeten den Russen zufügen, mit einem entsprechenden von ihrer Seite
verknüpft. Die Bomben, welche das Innere der Festung Sweaborg zerstört
haben, kosten auch Geld, und die Rechnung der Belagerung von Sebastopol
wird sehr bedenkliche Zahlen enthalten.

Rußland kann zum Frieden nur durch einen ungeheuern Landkrieg oder
durch die sichere Androhung eines solchen gezwungen werden. Dazu reichen
die Kräfte der Verbündeten auch dann nicht aus, wenn sie ihre Fremdenlegionen
verdoppeln und wenn außer Piemont noch Spanien, allenfalls auch Schweden
auf ihre Seite tritt, obgleich das Letztere gewiß nicht geschehen wird, solange
Deutschland neutral bleibt. Einen entscheidenden Schlag gegen Nußland
können die Westmächte nur dann führen, wenn sich Deutschland an sie an¬
schließt. Nun haben sie zwar manche Mittel, auf den Willen der beiden
deutschen Großmächte einzuwirken, sie können Oestreich in Italien, Preußen
in der Ostsee Schwierigkeiten bereiten, aber damit ist immer die Gefahr ver¬
knüpft, beide Staaten um so schneller zum russischen Bündnisse zu treiben und
wenn Frankreich eine solche Wendung vielleicht wünschenswerth wäre, so kann
sie England nicht zugeben. Es wird den Westmächten daher nichts übrig
bleiben, als Deutschland durch positive Versprechungen zu gewinnen und zwar
durch Versprechungen, die sich auf Territorialveränderungen beziehen. Bisher
hat Frankreich Deutschland gegenüber noch immer die Politik Richelieus verfolgt
d. h. es hat auf jede Weise verhindert, daß in diesem Territorium ein unab¬
hängiger und mächtiger Staat entstand. Von Richelieu war ein solches Ver¬
fahren wol zu begreifen, denn ihm stand das Gespenst der östreichischen Uni¬
versalmonarchie gegenüber und von einem mächtigen und furchtbaren Reich
jenseits der Weichsel war noch keine Rede. Seitdem aber die slawische Masse
sich zu einem erobernden Reich krystallistrt hat, kommt es darauf an, in
Deutschland ihm eine mächtige Brustwehr entgegenzusetzen und nur der Aber¬
glaube an die alten, seit Richelieu eingewurzelten Vorurtheile hindert die Fran¬
zosen, diesen Schritt in der Erkenntniß zu thun. Die Eifersucht der Engländer
ist noch kleinlicher. Wenn sie sich die Möglichkeit eines deutschen Staats den¬
ken, der mehr Kriegsschiffe ausrüsten kann, als die Amazone, so träumen sie
bereits von einem Krieg auf Leben und Tod.

Wenn nun die beiden Nationen in dieser systematischen Feindschaft gegen
Deutschland beharren, so werden sie im Laufe der Zeit genöthigt sein, einen
Frieden mit Rußland zu schließen, der bei dem jetzigen Stand der Sympathien
in England und Frankreich zu innern Erschütterungen von ungeheurer Trag¬
weite führen würde; und da man den Trieb der Selbsterhaltung als das
mächtigste Motiv der politischen Erkenntniß betrachten darf, so ist es wol zu


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sirtes Nationalgefühl gebracht werden, welches die Regierung wieder als einen
Positiven Gewinn betrachten kann, und nebenbei ist jeder Schaden, den die
Verbündeten den Russen zufügen, mit einem entsprechenden von ihrer Seite
verknüpft. Die Bomben, welche das Innere der Festung Sweaborg zerstört
haben, kosten auch Geld, und die Rechnung der Belagerung von Sebastopol
wird sehr bedenkliche Zahlen enthalten.

Rußland kann zum Frieden nur durch einen ungeheuern Landkrieg oder
durch die sichere Androhung eines solchen gezwungen werden. Dazu reichen
die Kräfte der Verbündeten auch dann nicht aus, wenn sie ihre Fremdenlegionen
verdoppeln und wenn außer Piemont noch Spanien, allenfalls auch Schweden
auf ihre Seite tritt, obgleich das Letztere gewiß nicht geschehen wird, solange
Deutschland neutral bleibt. Einen entscheidenden Schlag gegen Nußland
können die Westmächte nur dann führen, wenn sich Deutschland an sie an¬
schließt. Nun haben sie zwar manche Mittel, auf den Willen der beiden
deutschen Großmächte einzuwirken, sie können Oestreich in Italien, Preußen
in der Ostsee Schwierigkeiten bereiten, aber damit ist immer die Gefahr ver¬
knüpft, beide Staaten um so schneller zum russischen Bündnisse zu treiben und
wenn Frankreich eine solche Wendung vielleicht wünschenswerth wäre, so kann
sie England nicht zugeben. Es wird den Westmächten daher nichts übrig
bleiben, als Deutschland durch positive Versprechungen zu gewinnen und zwar
durch Versprechungen, die sich auf Territorialveränderungen beziehen. Bisher
hat Frankreich Deutschland gegenüber noch immer die Politik Richelieus verfolgt
d. h. es hat auf jede Weise verhindert, daß in diesem Territorium ein unab¬
hängiger und mächtiger Staat entstand. Von Richelieu war ein solches Ver¬
fahren wol zu begreifen, denn ihm stand das Gespenst der östreichischen Uni¬
versalmonarchie gegenüber und von einem mächtigen und furchtbaren Reich
jenseits der Weichsel war noch keine Rede. Seitdem aber die slawische Masse
sich zu einem erobernden Reich krystallistrt hat, kommt es darauf an, in
Deutschland ihm eine mächtige Brustwehr entgegenzusetzen und nur der Aber¬
glaube an die alten, seit Richelieu eingewurzelten Vorurtheile hindert die Fran¬
zosen, diesen Schritt in der Erkenntniß zu thun. Die Eifersucht der Engländer
ist noch kleinlicher. Wenn sie sich die Möglichkeit eines deutschen Staats den¬
ken, der mehr Kriegsschiffe ausrüsten kann, als die Amazone, so träumen sie
bereits von einem Krieg auf Leben und Tod.

Wenn nun die beiden Nationen in dieser systematischen Feindschaft gegen
Deutschland beharren, so werden sie im Laufe der Zeit genöthigt sein, einen
Frieden mit Rußland zu schließen, der bei dem jetzigen Stand der Sympathien
in England und Frankreich zu innern Erschütterungen von ungeheurer Trag¬
weite führen würde; und da man den Trieb der Selbsterhaltung als das
mächtigste Motiv der politischen Erkenntniß betrachten darf, so ist es wol zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/435>, abgerufen am 22.07.2024.