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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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die er der Schule, der Erziehung, dem geistigen Leben der Nation gegeben,
wurde unterdrückt. Nur das Mittelmäßige schien ungefährlich, Talent und
Charakter störten die Monotonie und Selbstgenügsamkeit des Regiments. Der
leitende Minister Thugut hegte für die Menschen ebensowenig Liebe und Ach¬
tung , als sein kaiserlicher Herr; er haßte jeden geistigen und sittlichen Auf¬
schwung und regierte durch geheime Polizei und Spionage. Die Nation durch
trägen Sinnengenuß niederzuhalten, war ihm Summe der Staatsweisheit und
Gegengift gegen die Revolution.

In Preußen waren die Traditionen des großen Friedrich zwar nicht mit
Plan und Bewußtsein verlassen, aber abgeschwächt und verwischt. In der
auswärtigen Politik war der kühne und sichere Gang verloren, in der innern
Verwaltung war der strengsten Disciplin und Anspannung aller Kräfte Träg¬
heit gefolgt; das sonst so nüchterne und sparsame Beamtenthum war corrumpirt,
es ließ sich Unterschleife und Feilheit zu Schulden kommen, in einem Lande,
wo man an die persönliche Negierung des Königs gewöhnt war, machten sich
untergeordnete, zum Theil unwürdige Persönlichkeiten geltend. Die Armee,
eine starke Stütze der Macht, aber eine große Last für das Volk, war durch
die schlechte Kriegführung der letzten Jahre demoralisirt und nahm die Unarten
einer Friedensarmee an. Auch das Volk wurde vom Rost angefressen, Frivo¬
lität und Genußsucht waren namentlich in die Städte eingekehrt. Wahre
Religiosität hätte diesem Uebel steuern können. Aber die frommen salbadernden
Schwätzer, die schalen und geistlosen Handwerker der Orthodoxie, welche die
Regierung auf polizeilichem und bureaukratischen Wege heranzog, konnten das
Uebel nur mehren. Mißliebige Geistliche und Lehrer wurden mit Processen
verfolgt; die Gerichte wurden getadelt, wenn sie nicht eifrig genug gegen die
Tendenzen der Aufklärung vorschritten, es herrschte ein kleinliches polizeilich-
theologisches Regiment. In einem Augenblick, wo Preußen und Europa einer
Krisis entgegenging, stritten in Preußen die voltairisirende Frivolität und die
künstlich aufgezogene Gläubigkeit einer Coterie von Hoftheologen um die Herr¬
schaft, erwuchs das Unkraut einer ofstciellen und gemachten Frömmigkeit, welche
die Demoralisation stets mehr fördert, als bekämpft. Gegen die Veröffent¬
lichung des "Allgemeinen Landrechts", das Preußen als Rechtsstaat con-
stituirte und selbst die Gewalt des Königs dem Gesetz unterwarf, erhob sich
eine heftige Opposition der Hospartei. Dennoch wurde es 1794 in Vollzug
gesetzt; aber es ist bis auf den heutigen Tag der Nückschrittspartei ein Dorn
im Auge. So waren die preußischen Zustände, als Friedrich Wilhelm II. am
16. November 1797 erst 83 Jahre alt an der Brustwassersucht starb. Es folgte
ihm Friedrich Wilhelm III., ein junger Mann von 27 Jahren.




die er der Schule, der Erziehung, dem geistigen Leben der Nation gegeben,
wurde unterdrückt. Nur das Mittelmäßige schien ungefährlich, Talent und
Charakter störten die Monotonie und Selbstgenügsamkeit des Regiments. Der
leitende Minister Thugut hegte für die Menschen ebensowenig Liebe und Ach¬
tung , als sein kaiserlicher Herr; er haßte jeden geistigen und sittlichen Auf¬
schwung und regierte durch geheime Polizei und Spionage. Die Nation durch
trägen Sinnengenuß niederzuhalten, war ihm Summe der Staatsweisheit und
Gegengift gegen die Revolution.

In Preußen waren die Traditionen des großen Friedrich zwar nicht mit
Plan und Bewußtsein verlassen, aber abgeschwächt und verwischt. In der
auswärtigen Politik war der kühne und sichere Gang verloren, in der innern
Verwaltung war der strengsten Disciplin und Anspannung aller Kräfte Träg¬
heit gefolgt; das sonst so nüchterne und sparsame Beamtenthum war corrumpirt,
es ließ sich Unterschleife und Feilheit zu Schulden kommen, in einem Lande,
wo man an die persönliche Negierung des Königs gewöhnt war, machten sich
untergeordnete, zum Theil unwürdige Persönlichkeiten geltend. Die Armee,
eine starke Stütze der Macht, aber eine große Last für das Volk, war durch
die schlechte Kriegführung der letzten Jahre demoralisirt und nahm die Unarten
einer Friedensarmee an. Auch das Volk wurde vom Rost angefressen, Frivo¬
lität und Genußsucht waren namentlich in die Städte eingekehrt. Wahre
Religiosität hätte diesem Uebel steuern können. Aber die frommen salbadernden
Schwätzer, die schalen und geistlosen Handwerker der Orthodoxie, welche die
Regierung auf polizeilichem und bureaukratischen Wege heranzog, konnten das
Uebel nur mehren. Mißliebige Geistliche und Lehrer wurden mit Processen
verfolgt; die Gerichte wurden getadelt, wenn sie nicht eifrig genug gegen die
Tendenzen der Aufklärung vorschritten, es herrschte ein kleinliches polizeilich-
theologisches Regiment. In einem Augenblick, wo Preußen und Europa einer
Krisis entgegenging, stritten in Preußen die voltairisirende Frivolität und die
künstlich aufgezogene Gläubigkeit einer Coterie von Hoftheologen um die Herr¬
schaft, erwuchs das Unkraut einer ofstciellen und gemachten Frömmigkeit, welche
die Demoralisation stets mehr fördert, als bekämpft. Gegen die Veröffent¬
lichung des „Allgemeinen Landrechts", das Preußen als Rechtsstaat con-
stituirte und selbst die Gewalt des Königs dem Gesetz unterwarf, erhob sich
eine heftige Opposition der Hospartei. Dennoch wurde es 1794 in Vollzug
gesetzt; aber es ist bis auf den heutigen Tag der Nückschrittspartei ein Dorn
im Auge. So waren die preußischen Zustände, als Friedrich Wilhelm II. am
16. November 1797 erst 83 Jahre alt an der Brustwassersucht starb. Es folgte
ihm Friedrich Wilhelm III., ein junger Mann von 27 Jahren.




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[0419] die er der Schule, der Erziehung, dem geistigen Leben der Nation gegeben, wurde unterdrückt. Nur das Mittelmäßige schien ungefährlich, Talent und Charakter störten die Monotonie und Selbstgenügsamkeit des Regiments. Der leitende Minister Thugut hegte für die Menschen ebensowenig Liebe und Ach¬ tung , als sein kaiserlicher Herr; er haßte jeden geistigen und sittlichen Auf¬ schwung und regierte durch geheime Polizei und Spionage. Die Nation durch trägen Sinnengenuß niederzuhalten, war ihm Summe der Staatsweisheit und Gegengift gegen die Revolution. In Preußen waren die Traditionen des großen Friedrich zwar nicht mit Plan und Bewußtsein verlassen, aber abgeschwächt und verwischt. In der auswärtigen Politik war der kühne und sichere Gang verloren, in der innern Verwaltung war der strengsten Disciplin und Anspannung aller Kräfte Träg¬ heit gefolgt; das sonst so nüchterne und sparsame Beamtenthum war corrumpirt, es ließ sich Unterschleife und Feilheit zu Schulden kommen, in einem Lande, wo man an die persönliche Negierung des Königs gewöhnt war, machten sich untergeordnete, zum Theil unwürdige Persönlichkeiten geltend. Die Armee, eine starke Stütze der Macht, aber eine große Last für das Volk, war durch die schlechte Kriegführung der letzten Jahre demoralisirt und nahm die Unarten einer Friedensarmee an. Auch das Volk wurde vom Rost angefressen, Frivo¬ lität und Genußsucht waren namentlich in die Städte eingekehrt. Wahre Religiosität hätte diesem Uebel steuern können. Aber die frommen salbadernden Schwätzer, die schalen und geistlosen Handwerker der Orthodoxie, welche die Regierung auf polizeilichem und bureaukratischen Wege heranzog, konnten das Uebel nur mehren. Mißliebige Geistliche und Lehrer wurden mit Processen verfolgt; die Gerichte wurden getadelt, wenn sie nicht eifrig genug gegen die Tendenzen der Aufklärung vorschritten, es herrschte ein kleinliches polizeilich- theologisches Regiment. In einem Augenblick, wo Preußen und Europa einer Krisis entgegenging, stritten in Preußen die voltairisirende Frivolität und die künstlich aufgezogene Gläubigkeit einer Coterie von Hoftheologen um die Herr¬ schaft, erwuchs das Unkraut einer ofstciellen und gemachten Frömmigkeit, welche die Demoralisation stets mehr fördert, als bekämpft. Gegen die Veröffent¬ lichung des „Allgemeinen Landrechts", das Preußen als Rechtsstaat con- stituirte und selbst die Gewalt des Königs dem Gesetz unterwarf, erhob sich eine heftige Opposition der Hospartei. Dennoch wurde es 1794 in Vollzug gesetzt; aber es ist bis auf den heutigen Tag der Nückschrittspartei ein Dorn im Auge. So waren die preußischen Zustände, als Friedrich Wilhelm II. am 16. November 1797 erst 83 Jahre alt an der Brustwassersucht starb. Es folgte ihm Friedrich Wilhelm III., ein junger Mann von 27 Jahren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/419>, abgerufen am 22.12.2024.