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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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der in solcher Krise müßiger und unentschlossener Zuschauer- bleibt, infolge dieser
Selbstgenügsamkeit Ansehen und Namen einer Großmacht einbüßt. Zunächst
machte Preußen im EinVerständniß mit Frankreich zweideutige oder auch ver¬
jährte Ansprüche an Reichsgebiete geltend. Am 4. Juli 1796 ergriffen preußische
Regimenter im Namen der Krone Preußen von der Reichsstadt Nürnberg Be¬
sitz; während Oestreich tapfer gegen den gemeinsamen Feind kämpfte, überfiel
Preußen plötzlich eine wehrlose Reichsstadt. Am 3. August schloß es sogar
einen geheimen Vertrag mit Frankreich, in welchem es "die Erhaltung der
Integrität des Reiches" förmlich aufgab: es stimmte ohne Clausel zur Ab¬
tretung der Rheingrenze, zu dem Grundsatz der Säcularisationen und ließ sich als
Entschädigung sür seine linksrheinischen Gebiete einen Theil des Stiftes Münster
und der Herrschaft Recklinghausen versprechen. Der Norden und der Südwesten
Deutschlands waren den Franzosen völlig hingegeben.

Jourdan drang inzwischen verwüstend in Franken ein und bedrohte Re¬
gensburg, den Sitz des deutschen Reichstags. Ein Theil der Gesandten reiste
ab, ein andrer schickte an den Feind eine Deputation, um Schutz sür den
Reichstag nachzusuchen. Der östreichische Generalissimus, Erzherzog Karl,
machte dem Reichstage unter dem 31. Juli bemerklich, wie er "mehr Contenance,
Standhaftigkeit und Entschlossenheit von der erleuchteten Reichsversammlung
erwartet hätte/' Bald befreite dieser Held Süddeutschland von seinen Drängern.
Er schlug die Franzosen im October 1796 auf das linke Rheinufer zurück. An¬
fang 1797 mußten sogar die Brückenköpse von Kehl und Hüningen von ihnen
den Oestreichern übergeben werden. Unter diesen Umständen räumte Preußen
wieder Nürnberg.

Aber in Italien erfolgte eine Entscheidung, wie sie den französischen Er¬
oberungsplänen entsprach. Bonaparte siegte am 16-. Januar 1797 bei Rivoli
und eroberte am 2. Februar Mantua. Mit Italien im Reinen, konnte er
seine Kraft ungetheilt gegen Oestreich selbst wenden. Schon im März stand
er in Jllyrien, am 26. März besetzte er Laibach, am 5. April Judenburg, die
Vorhut ging bis Leoben vor. Wien war bedroht. In dieser Hauptstadt ver¬
steckte sich schon Ende des JahreS 1796 hinter der officiellen Kriegslust eine
rührige Friedensintrigue Thuguts. Dieser Minister verbarg seinen Vertrauten
nicht mehr, daß um den Preis der Nheingrenze der Friede nicht zu theuer er¬
kauft sei; die Integrität des deutschen Reichs sei gleichgiltig, wenn für Oestreich
eine tüchtige Entschädigung herauskäme. Ende März bezeichnete er den Frieden
als unvermeidlich. Er schloß die Präliminarien desselben durch den Neapoli¬
taner Gallo in Göß bei Leoben. Frankreich erhielt Belgien und die Rhein¬
grenze, Oestreich einen Theil des venetianischen Gebietes, Istrien und Dal-
matien.

In diesen letzten Zeiten der Noth warfen die schwäbischen und rheinischen


der in solcher Krise müßiger und unentschlossener Zuschauer- bleibt, infolge dieser
Selbstgenügsamkeit Ansehen und Namen einer Großmacht einbüßt. Zunächst
machte Preußen im EinVerständniß mit Frankreich zweideutige oder auch ver¬
jährte Ansprüche an Reichsgebiete geltend. Am 4. Juli 1796 ergriffen preußische
Regimenter im Namen der Krone Preußen von der Reichsstadt Nürnberg Be¬
sitz; während Oestreich tapfer gegen den gemeinsamen Feind kämpfte, überfiel
Preußen plötzlich eine wehrlose Reichsstadt. Am 3. August schloß es sogar
einen geheimen Vertrag mit Frankreich, in welchem es „die Erhaltung der
Integrität des Reiches" förmlich aufgab: es stimmte ohne Clausel zur Ab¬
tretung der Rheingrenze, zu dem Grundsatz der Säcularisationen und ließ sich als
Entschädigung sür seine linksrheinischen Gebiete einen Theil des Stiftes Münster
und der Herrschaft Recklinghausen versprechen. Der Norden und der Südwesten
Deutschlands waren den Franzosen völlig hingegeben.

Jourdan drang inzwischen verwüstend in Franken ein und bedrohte Re¬
gensburg, den Sitz des deutschen Reichstags. Ein Theil der Gesandten reiste
ab, ein andrer schickte an den Feind eine Deputation, um Schutz sür den
Reichstag nachzusuchen. Der östreichische Generalissimus, Erzherzog Karl,
machte dem Reichstage unter dem 31. Juli bemerklich, wie er „mehr Contenance,
Standhaftigkeit und Entschlossenheit von der erleuchteten Reichsversammlung
erwartet hätte/' Bald befreite dieser Held Süddeutschland von seinen Drängern.
Er schlug die Franzosen im October 1796 auf das linke Rheinufer zurück. An¬
fang 1797 mußten sogar die Brückenköpse von Kehl und Hüningen von ihnen
den Oestreichern übergeben werden. Unter diesen Umständen räumte Preußen
wieder Nürnberg.

Aber in Italien erfolgte eine Entscheidung, wie sie den französischen Er¬
oberungsplänen entsprach. Bonaparte siegte am 16-. Januar 1797 bei Rivoli
und eroberte am 2. Februar Mantua. Mit Italien im Reinen, konnte er
seine Kraft ungetheilt gegen Oestreich selbst wenden. Schon im März stand
er in Jllyrien, am 26. März besetzte er Laibach, am 5. April Judenburg, die
Vorhut ging bis Leoben vor. Wien war bedroht. In dieser Hauptstadt ver¬
steckte sich schon Ende des JahreS 1796 hinter der officiellen Kriegslust eine
rührige Friedensintrigue Thuguts. Dieser Minister verbarg seinen Vertrauten
nicht mehr, daß um den Preis der Nheingrenze der Friede nicht zu theuer er¬
kauft sei; die Integrität des deutschen Reichs sei gleichgiltig, wenn für Oestreich
eine tüchtige Entschädigung herauskäme. Ende März bezeichnete er den Frieden
als unvermeidlich. Er schloß die Präliminarien desselben durch den Neapoli¬
taner Gallo in Göß bei Leoben. Frankreich erhielt Belgien und die Rhein¬
grenze, Oestreich einen Theil des venetianischen Gebietes, Istrien und Dal-
matien.

In diesen letzten Zeiten der Noth warfen die schwäbischen und rheinischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/416>, abgerufen am 22.07.2024.