Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

weise den Raphael aus die Bühne, um eine sentimentale Umarmung einzu¬
leiten, die gegen die Stimmung des Stücks verstößt; ja er läßt auch noch
den Papst hinzutreten und die beiden Künstler seiner Protection versichern,
was einmal wieder überflüssig ist, außerdem aber auch noch eine starke Ver¬
sündigung gegen das Costüm, denn ein Papst mischt sich nicht so ohne weiteres
in das Gedränge des Publicums, daß man ihn gar nicht bemerkt, bis er end¬
lich zu reden anfängt. -- Auf dem Theater würde die gar zu einfache Hand¬
lung, die wesentlich doch nur als Grundlage zu den ausgesprochenen Ansichten
berechnet ist, wol kaum Glück machen. -- Die übrigen Stücke gehören dem
historischen Genre an. Es sind zum Theil bekannte und berühmte Namen,
die sich in diesem Felde versucht haben. Als gelungen können wir aber kein
einziges bezeichnen. Fast überall liegt der Fehler schon in der Wahl des
Stoffs, und auf diesen Punkt wollen wir uns hier ausschließlich beschränken,
da im Uebrigen in Beziehung auf die Composition und die Ausführung der
einzelnen Scenen sich mehr oder minder Talent bei allen zeigt. -- Julius
Mosen hat Herzog Bernhard von Weimar zum Gegenstand seiner Tragödie
gemacht (Leipzig, Brockhaus); gewiß eine interessante Erscheinung für den
Historiker wegen des ebenso kurzen als glänzenden Laufs seiner Thaten:
allein der dramatische Dichter wird nicht im Stande sein, die Figur zu einem
befriedigenden Bilde zu gestalten, weil ihr der sittliche Inhalt fehlt. Trotz
aller Sympathie, die wir Protestanten für den jugendlichen Helden haben,
können wir uns doch der Einsicht nicht verschließen, daß er im Grunde ein
politischer Abenteurer war. Man sucht das Tragische seines Schicksals da¬
durch herzustellen, daß man ihm eine großartige patriotische Gesinnung unter¬
schiebt, die dann durch die Verbindung mit Frankreich zu einem innern Con¬
flict gebracht worden sei; allein dadurch bekommt die ganze Geschichte eine
falsche Färbung. Dazu kommt noch die unvermeidliche Convenienz in Liebes¬
angelegenheiten, der unsre Dramatiker einmal nicht entgehen können. Als
man dem historischen Herzog Bernhard Anträge in Bezug auf die Nichte deS
Cardinal Richelieu machte, antwortete er, sie sei ihm zur Frau nicht vornehm,
zur Maitresse nicht schön genug. Was soll aber aus diesem reizenden Einfall
werden, wenn man die beiden Personen edel und zart halten will? Uebrigens
sind einzelne Scenen kräftig und poetisch durchgeführt. -- Alfred Meißner
hat unter dem Titel: Der Prätendent von Aork, das Thema durchgeführt,
welches Schiller in seinem Warbeck sich vorgesetzt hatte; allein er hat den Plan
Schillers ganz verlassen und einen eignen entworfen, der daran leidet, daß
die Intriguen und Verwicklungen zu sehr in die Breite gehen. Dies muß
man beim historischen Drama umsomehr vermeiden, wenn die Mehrzahl der
darin auftretenden Personen zu Intriguanten des gewöhnlichen Schlages ge¬
hört. Meißner hat in seinen beiden frühern Dramen mit einer gewissen


49*

weise den Raphael aus die Bühne, um eine sentimentale Umarmung einzu¬
leiten, die gegen die Stimmung des Stücks verstößt; ja er läßt auch noch
den Papst hinzutreten und die beiden Künstler seiner Protection versichern,
was einmal wieder überflüssig ist, außerdem aber auch noch eine starke Ver¬
sündigung gegen das Costüm, denn ein Papst mischt sich nicht so ohne weiteres
in das Gedränge des Publicums, daß man ihn gar nicht bemerkt, bis er end¬
lich zu reden anfängt. — Auf dem Theater würde die gar zu einfache Hand¬
lung, die wesentlich doch nur als Grundlage zu den ausgesprochenen Ansichten
berechnet ist, wol kaum Glück machen. — Die übrigen Stücke gehören dem
historischen Genre an. Es sind zum Theil bekannte und berühmte Namen,
die sich in diesem Felde versucht haben. Als gelungen können wir aber kein
einziges bezeichnen. Fast überall liegt der Fehler schon in der Wahl des
Stoffs, und auf diesen Punkt wollen wir uns hier ausschließlich beschränken,
da im Uebrigen in Beziehung auf die Composition und die Ausführung der
einzelnen Scenen sich mehr oder minder Talent bei allen zeigt. — Julius
Mosen hat Herzog Bernhard von Weimar zum Gegenstand seiner Tragödie
gemacht (Leipzig, Brockhaus); gewiß eine interessante Erscheinung für den
Historiker wegen des ebenso kurzen als glänzenden Laufs seiner Thaten:
allein der dramatische Dichter wird nicht im Stande sein, die Figur zu einem
befriedigenden Bilde zu gestalten, weil ihr der sittliche Inhalt fehlt. Trotz
aller Sympathie, die wir Protestanten für den jugendlichen Helden haben,
können wir uns doch der Einsicht nicht verschließen, daß er im Grunde ein
politischer Abenteurer war. Man sucht das Tragische seines Schicksals da¬
durch herzustellen, daß man ihm eine großartige patriotische Gesinnung unter¬
schiebt, die dann durch die Verbindung mit Frankreich zu einem innern Con¬
flict gebracht worden sei; allein dadurch bekommt die ganze Geschichte eine
falsche Färbung. Dazu kommt noch die unvermeidliche Convenienz in Liebes¬
angelegenheiten, der unsre Dramatiker einmal nicht entgehen können. Als
man dem historischen Herzog Bernhard Anträge in Bezug auf die Nichte deS
Cardinal Richelieu machte, antwortete er, sie sei ihm zur Frau nicht vornehm,
zur Maitresse nicht schön genug. Was soll aber aus diesem reizenden Einfall
werden, wenn man die beiden Personen edel und zart halten will? Uebrigens
sind einzelne Scenen kräftig und poetisch durchgeführt. — Alfred Meißner
hat unter dem Titel: Der Prätendent von Aork, das Thema durchgeführt,
welches Schiller in seinem Warbeck sich vorgesetzt hatte; allein er hat den Plan
Schillers ganz verlassen und einen eignen entworfen, der daran leidet, daß
die Intriguen und Verwicklungen zu sehr in die Breite gehen. Dies muß
man beim historischen Drama umsomehr vermeiden, wenn die Mehrzahl der
darin auftretenden Personen zu Intriguanten des gewöhnlichen Schlages ge¬
hört. Meißner hat in seinen beiden frühern Dramen mit einer gewissen


49*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0395" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100315"/>
          <p xml:id="ID_1139" prev="#ID_1138" next="#ID_1140"> weise den Raphael aus die Bühne, um eine sentimentale Umarmung einzu¬<lb/>
leiten, die gegen die Stimmung des Stücks verstößt; ja er läßt auch noch<lb/>
den Papst hinzutreten und die beiden Künstler seiner Protection versichern,<lb/>
was einmal wieder überflüssig ist, außerdem aber auch noch eine starke Ver¬<lb/>
sündigung gegen das Costüm, denn ein Papst mischt sich nicht so ohne weiteres<lb/>
in das Gedränge des Publicums, daß man ihn gar nicht bemerkt, bis er end¬<lb/>
lich zu reden anfängt. &#x2014; Auf dem Theater würde die gar zu einfache Hand¬<lb/>
lung, die wesentlich doch nur als Grundlage zu den ausgesprochenen Ansichten<lb/>
berechnet ist, wol kaum Glück machen. &#x2014; Die übrigen Stücke gehören dem<lb/>
historischen Genre an. Es sind zum Theil bekannte und berühmte Namen,<lb/>
die sich in diesem Felde versucht haben. Als gelungen können wir aber kein<lb/>
einziges bezeichnen. Fast überall liegt der Fehler schon in der Wahl des<lb/>
Stoffs, und auf diesen Punkt wollen wir uns hier ausschließlich beschränken,<lb/>
da im Uebrigen in Beziehung auf die Composition und die Ausführung der<lb/>
einzelnen Scenen sich mehr oder minder Talent bei allen zeigt. &#x2014; Julius<lb/>
Mosen hat Herzog Bernhard von Weimar zum Gegenstand seiner Tragödie<lb/>
gemacht (Leipzig, Brockhaus); gewiß eine interessante Erscheinung für den<lb/>
Historiker wegen des ebenso kurzen als glänzenden Laufs seiner Thaten:<lb/>
allein der dramatische Dichter wird nicht im Stande sein, die Figur zu einem<lb/>
befriedigenden Bilde zu gestalten, weil ihr der sittliche Inhalt fehlt. Trotz<lb/>
aller Sympathie, die wir Protestanten für den jugendlichen Helden haben,<lb/>
können wir uns doch der Einsicht nicht verschließen, daß er im Grunde ein<lb/>
politischer Abenteurer war. Man sucht das Tragische seines Schicksals da¬<lb/>
durch herzustellen, daß man ihm eine großartige patriotische Gesinnung unter¬<lb/>
schiebt, die dann durch die Verbindung mit Frankreich zu einem innern Con¬<lb/>
flict gebracht worden sei; allein dadurch bekommt die ganze Geschichte eine<lb/>
falsche Färbung. Dazu kommt noch die unvermeidliche Convenienz in Liebes¬<lb/>
angelegenheiten, der unsre Dramatiker einmal nicht entgehen können. Als<lb/>
man dem historischen Herzog Bernhard Anträge in Bezug auf die Nichte deS<lb/>
Cardinal Richelieu machte, antwortete er, sie sei ihm zur Frau nicht vornehm,<lb/>
zur Maitresse nicht schön genug. Was soll aber aus diesem reizenden Einfall<lb/>
werden, wenn man die beiden Personen edel und zart halten will? Uebrigens<lb/>
sind einzelne Scenen kräftig und poetisch durchgeführt. &#x2014; Alfred Meißner<lb/>
hat unter dem Titel: Der Prätendent von Aork, das Thema durchgeführt,<lb/>
welches Schiller in seinem Warbeck sich vorgesetzt hatte; allein er hat den Plan<lb/>
Schillers ganz verlassen und einen eignen entworfen, der daran leidet, daß<lb/>
die Intriguen und Verwicklungen zu sehr in die Breite gehen. Dies muß<lb/>
man beim historischen Drama umsomehr vermeiden, wenn die Mehrzahl der<lb/>
darin auftretenden Personen zu Intriguanten des gewöhnlichen Schlages ge¬<lb/>
hört.  Meißner hat in seinen beiden frühern Dramen mit einer gewissen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 49*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0395] weise den Raphael aus die Bühne, um eine sentimentale Umarmung einzu¬ leiten, die gegen die Stimmung des Stücks verstößt; ja er läßt auch noch den Papst hinzutreten und die beiden Künstler seiner Protection versichern, was einmal wieder überflüssig ist, außerdem aber auch noch eine starke Ver¬ sündigung gegen das Costüm, denn ein Papst mischt sich nicht so ohne weiteres in das Gedränge des Publicums, daß man ihn gar nicht bemerkt, bis er end¬ lich zu reden anfängt. — Auf dem Theater würde die gar zu einfache Hand¬ lung, die wesentlich doch nur als Grundlage zu den ausgesprochenen Ansichten berechnet ist, wol kaum Glück machen. — Die übrigen Stücke gehören dem historischen Genre an. Es sind zum Theil bekannte und berühmte Namen, die sich in diesem Felde versucht haben. Als gelungen können wir aber kein einziges bezeichnen. Fast überall liegt der Fehler schon in der Wahl des Stoffs, und auf diesen Punkt wollen wir uns hier ausschließlich beschränken, da im Uebrigen in Beziehung auf die Composition und die Ausführung der einzelnen Scenen sich mehr oder minder Talent bei allen zeigt. — Julius Mosen hat Herzog Bernhard von Weimar zum Gegenstand seiner Tragödie gemacht (Leipzig, Brockhaus); gewiß eine interessante Erscheinung für den Historiker wegen des ebenso kurzen als glänzenden Laufs seiner Thaten: allein der dramatische Dichter wird nicht im Stande sein, die Figur zu einem befriedigenden Bilde zu gestalten, weil ihr der sittliche Inhalt fehlt. Trotz aller Sympathie, die wir Protestanten für den jugendlichen Helden haben, können wir uns doch der Einsicht nicht verschließen, daß er im Grunde ein politischer Abenteurer war. Man sucht das Tragische seines Schicksals da¬ durch herzustellen, daß man ihm eine großartige patriotische Gesinnung unter¬ schiebt, die dann durch die Verbindung mit Frankreich zu einem innern Con¬ flict gebracht worden sei; allein dadurch bekommt die ganze Geschichte eine falsche Färbung. Dazu kommt noch die unvermeidliche Convenienz in Liebes¬ angelegenheiten, der unsre Dramatiker einmal nicht entgehen können. Als man dem historischen Herzog Bernhard Anträge in Bezug auf die Nichte deS Cardinal Richelieu machte, antwortete er, sie sei ihm zur Frau nicht vornehm, zur Maitresse nicht schön genug. Was soll aber aus diesem reizenden Einfall werden, wenn man die beiden Personen edel und zart halten will? Uebrigens sind einzelne Scenen kräftig und poetisch durchgeführt. — Alfred Meißner hat unter dem Titel: Der Prätendent von Aork, das Thema durchgeführt, welches Schiller in seinem Warbeck sich vorgesetzt hatte; allein er hat den Plan Schillers ganz verlassen und einen eignen entworfen, der daran leidet, daß die Intriguen und Verwicklungen zu sehr in die Breite gehen. Dies muß man beim historischen Drama umsomehr vermeiden, wenn die Mehrzahl der darin auftretenden Personen zu Intriguanten des gewöhnlichen Schlages ge¬ hört. Meißner hat in seinen beiden frühern Dramen mit einer gewissen 49*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/395
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/395>, abgerufen am 22.12.2024.