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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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die gebräunten Wangen des alten Kriegers rinnen sehen, als ihn bei seiner
Ankunft an der Brücke von Ueb el Koma, wo mein kleines Detaschement auf¬
gestellt war, Trompetenschall und Hörnerklang empfing und die Mannschaft
präsentirte. Er dankte mir mit den kräftigsten Worten, indem er meine Hände
ergriff. Als er von mir Abschied nahm, sagte er zu mir: ,,,,Auf Wiedersehen,
Capiiän, wir sehen uns gewiß wieder."" Wenn die militärische Behörde mit
mir unzufrieden ist, wenn der Parteigeist meine Absichten entstellt, so werde
ich um eine Antwort nicht verlegen sein." Se. Arnaud konnte sich beruhigen;
die Regierung und die Kammern schwiegen, und er konnte dem Zuge seines
Herzens straflos folgen.

Die letzten Briefe sind aus dem Orient und zeigen uns die peinliche Lage,
in der sich der ehrgeizige und thatendurstige Marschall befand, als ihm wie
seinem Heere Siechthum und Seuchen Stillstand geboten', wo er Lorbeeren zu
ernten gehofft hatte. "Ich befinde mich mitten in einem ungeheuern Grabe,
schreibt er aus Varna am 9. August 4834, biete der Geißel die Spitze, die
mein Heer decimirt und sehe meine tapfersten Soldaten in dem Augenblicke
hinsterben, wo ich sie am nothwendigsten brauche. . . . Findet man in der
Geschichte viele Lagen, die der meinigen ähnlich sind? . . . Den Tod im
Herzen, die Ruhe aus der Stirn, so lebe ich. ." "Nichts hat mir gefehlt,
Bruder: Cholera, Feuersbrunst, und ich erwarte blos noch einen Sturm, um
auch ihm zu trotzen (23. August). Die Cholera macht mir am meisten Kum¬
mer. Wenn sie fortdauert, kann sie mich in diesem Leichenhause Varna fest¬
nageln. Auch die Flotte ist angesteckt, einzelne Linienschiffe haben den zehnten
Theil ihrer Mannschaft verloren." Endlich in einem Briefe vom 30. August,
ebenfalls aus Rama an seine Gemahlin, gießt er seinen ganzen Schmerz aus
und läßt uns einen tiefen Blick in seine fast verzweifelnde Seele thun: "Liebe
Louise, ich stehe im traurigsten Zustande von der Welt auf: eine schreckliche
Nacht, Schwäche, Schmerzen, ein Windstoß auf der Rhede, mit einem Worte,
alle denkbaren physischen und moralischen Widerwärtigkeiten. Trotzdem schiffe
ich mich um 2 Uhr ein . . . ich enthalte mich jeder Bemerkung; die ich machen
könnte, wären so bitter, daß sie nicht mehr eines Christen würdig wären. Habe
ich genug von dem bittern Kelche getrunken? Es gibt Augenblicke, wo meine
ganze Seele sich auflehnt und empört. Das Gebet hat keine andre Wirkung
mehr auf mich, als ein Sturm. Seine Ohnmacht wirst mich zuweilen dem
Zweifel in die Arme und ich leide so sehr, daß mein Glaube wankend wird.
Ich frage mich, warum sich auf ein armes Menschenkind soviele Qualen
und Leiden der Seele und des Körpers häufen? Wenn noch der physische
Schmerz mir alle meine Kräfte ließe, so würde ich fortkämpfen; aber die Kräfte
ermatten im Kampfe, er dauert zu lange. .. "

Er fand noch einen Trost. Er durste noch einmal siegen und sein


Grenzboten. III. 18dis. 49

die gebräunten Wangen des alten Kriegers rinnen sehen, als ihn bei seiner
Ankunft an der Brücke von Ueb el Koma, wo mein kleines Detaschement auf¬
gestellt war, Trompetenschall und Hörnerklang empfing und die Mannschaft
präsentirte. Er dankte mir mit den kräftigsten Worten, indem er meine Hände
ergriff. Als er von mir Abschied nahm, sagte er zu mir: ,,,,Auf Wiedersehen,
Capiiän, wir sehen uns gewiß wieder."" Wenn die militärische Behörde mit
mir unzufrieden ist, wenn der Parteigeist meine Absichten entstellt, so werde
ich um eine Antwort nicht verlegen sein." Se. Arnaud konnte sich beruhigen;
die Regierung und die Kammern schwiegen, und er konnte dem Zuge seines
Herzens straflos folgen.

Die letzten Briefe sind aus dem Orient und zeigen uns die peinliche Lage,
in der sich der ehrgeizige und thatendurstige Marschall befand, als ihm wie
seinem Heere Siechthum und Seuchen Stillstand geboten', wo er Lorbeeren zu
ernten gehofft hatte. „Ich befinde mich mitten in einem ungeheuern Grabe,
schreibt er aus Varna am 9. August 4834, biete der Geißel die Spitze, die
mein Heer decimirt und sehe meine tapfersten Soldaten in dem Augenblicke
hinsterben, wo ich sie am nothwendigsten brauche. . . . Findet man in der
Geschichte viele Lagen, die der meinigen ähnlich sind? . . . Den Tod im
Herzen, die Ruhe aus der Stirn, so lebe ich. ." „Nichts hat mir gefehlt,
Bruder: Cholera, Feuersbrunst, und ich erwarte blos noch einen Sturm, um
auch ihm zu trotzen (23. August). Die Cholera macht mir am meisten Kum¬
mer. Wenn sie fortdauert, kann sie mich in diesem Leichenhause Varna fest¬
nageln. Auch die Flotte ist angesteckt, einzelne Linienschiffe haben den zehnten
Theil ihrer Mannschaft verloren." Endlich in einem Briefe vom 30. August,
ebenfalls aus Rama an seine Gemahlin, gießt er seinen ganzen Schmerz aus
und läßt uns einen tiefen Blick in seine fast verzweifelnde Seele thun: „Liebe
Louise, ich stehe im traurigsten Zustande von der Welt auf: eine schreckliche
Nacht, Schwäche, Schmerzen, ein Windstoß auf der Rhede, mit einem Worte,
alle denkbaren physischen und moralischen Widerwärtigkeiten. Trotzdem schiffe
ich mich um 2 Uhr ein . . . ich enthalte mich jeder Bemerkung; die ich machen
könnte, wären so bitter, daß sie nicht mehr eines Christen würdig wären. Habe
ich genug von dem bittern Kelche getrunken? Es gibt Augenblicke, wo meine
ganze Seele sich auflehnt und empört. Das Gebet hat keine andre Wirkung
mehr auf mich, als ein Sturm. Seine Ohnmacht wirst mich zuweilen dem
Zweifel in die Arme und ich leide so sehr, daß mein Glaube wankend wird.
Ich frage mich, warum sich auf ein armes Menschenkind soviele Qualen
und Leiden der Seele und des Körpers häufen? Wenn noch der physische
Schmerz mir alle meine Kräfte ließe, so würde ich fortkämpfen; aber die Kräfte
ermatten im Kampfe, er dauert zu lange. .. "

Er fand noch einen Trost. Er durste noch einmal siegen und sein


Grenzboten. III. 18dis. 49
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[0393] die gebräunten Wangen des alten Kriegers rinnen sehen, als ihn bei seiner Ankunft an der Brücke von Ueb el Koma, wo mein kleines Detaschement auf¬ gestellt war, Trompetenschall und Hörnerklang empfing und die Mannschaft präsentirte. Er dankte mir mit den kräftigsten Worten, indem er meine Hände ergriff. Als er von mir Abschied nahm, sagte er zu mir: ,,,,Auf Wiedersehen, Capiiän, wir sehen uns gewiß wieder."" Wenn die militärische Behörde mit mir unzufrieden ist, wenn der Parteigeist meine Absichten entstellt, so werde ich um eine Antwort nicht verlegen sein." Se. Arnaud konnte sich beruhigen; die Regierung und die Kammern schwiegen, und er konnte dem Zuge seines Herzens straflos folgen. Die letzten Briefe sind aus dem Orient und zeigen uns die peinliche Lage, in der sich der ehrgeizige und thatendurstige Marschall befand, als ihm wie seinem Heere Siechthum und Seuchen Stillstand geboten', wo er Lorbeeren zu ernten gehofft hatte. „Ich befinde mich mitten in einem ungeheuern Grabe, schreibt er aus Varna am 9. August 4834, biete der Geißel die Spitze, die mein Heer decimirt und sehe meine tapfersten Soldaten in dem Augenblicke hinsterben, wo ich sie am nothwendigsten brauche. . . . Findet man in der Geschichte viele Lagen, die der meinigen ähnlich sind? . . . Den Tod im Herzen, die Ruhe aus der Stirn, so lebe ich. ." „Nichts hat mir gefehlt, Bruder: Cholera, Feuersbrunst, und ich erwarte blos noch einen Sturm, um auch ihm zu trotzen (23. August). Die Cholera macht mir am meisten Kum¬ mer. Wenn sie fortdauert, kann sie mich in diesem Leichenhause Varna fest¬ nageln. Auch die Flotte ist angesteckt, einzelne Linienschiffe haben den zehnten Theil ihrer Mannschaft verloren." Endlich in einem Briefe vom 30. August, ebenfalls aus Rama an seine Gemahlin, gießt er seinen ganzen Schmerz aus und läßt uns einen tiefen Blick in seine fast verzweifelnde Seele thun: „Liebe Louise, ich stehe im traurigsten Zustande von der Welt auf: eine schreckliche Nacht, Schwäche, Schmerzen, ein Windstoß auf der Rhede, mit einem Worte, alle denkbaren physischen und moralischen Widerwärtigkeiten. Trotzdem schiffe ich mich um 2 Uhr ein . . . ich enthalte mich jeder Bemerkung; die ich machen könnte, wären so bitter, daß sie nicht mehr eines Christen würdig wären. Habe ich genug von dem bittern Kelche getrunken? Es gibt Augenblicke, wo meine ganze Seele sich auflehnt und empört. Das Gebet hat keine andre Wirkung mehr auf mich, als ein Sturm. Seine Ohnmacht wirst mich zuweilen dem Zweifel in die Arme und ich leide so sehr, daß mein Glaube wankend wird. Ich frage mich, warum sich auf ein armes Menschenkind soviele Qualen und Leiden der Seele und des Körpers häufen? Wenn noch der physische Schmerz mir alle meine Kräfte ließe, so würde ich fortkämpfen; aber die Kräfte ermatten im Kampfe, er dauert zu lange. .. " Er fand noch einen Trost. Er durste noch einmal siegen und sein Grenzboten. III. 18dis. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/393>, abgerufen am 22.07.2024.