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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Aussicht, wenigstens auf dem Schlachtfelde zu sterben, zusammenzuhalten schien,
schrieb er an seine Frau: "Ich habe eine traurige Nacht gehabt, trotz der Blut¬
egel, die man mir gestern gesetzt hat. Nach dem Frühstück mußte ich mich
wieder ins Bett legen, und um vier Uhr ließ ich mir eine spanische Fliege
legen, mein letztes Hilfsmittel um meinen Feind zu bekämpfen. . . Ich bin da,
ich kämpfe, ich warte, aber vor allem: ich hoffe... Aber die Krisen werden
häufiger und heftiger. Ich hoffe, daß der lange andauernde Donner!
derKanonen auf meine Nerv en und meine Brust wirken wird. Das
ist eine Möglichkeit, an die ich mich klammere, wie ein Ertrinkender an einen
Weidenzweig. Der Zweig bricht vielleicht. . . Es liegt alles in der Hand
Gottes. . ." Es liegt etwas .Rührendes und zugleich Heroisches in dieser Klage
des kranken Kriegers, der nach der Schlacht lechzt, wie nach einem letzten
Heilmittel. Aber nicht blos in seinen letzten Krankheitswochen finden wir
diese fast fieberhafte Erregtheit. Schon im Juni -185 2 schreibt Se. Arnaud
aus Milianah: "Mein Kopf ist eine Projectenmühle, die beständig
arbeitet; und des Nachts stehe ich auf, um die Ideen aufs Papier zu werfen,
die ich für gur halte, obgleich sie mich nicht schlafen lassen." Dann wieder:
"Die Hölle für mich ist die Ruhe, die Unthätigkeit. Ich will es zu gut machen
und zu viel Dinge auf einmal und nehme mir alles zu sehr zu Herzen; das
ist der Fehler großmüthiger Charaktere; aber diese Art Leute leben nicht lange;
sie nutzen sich zu rasch ab, und ich fühle es; aber es ist nicht mehr Zeit
anders zu werden." In den spätern Briefen aus Konstantinopel und Varna lodert
noch dieselbe wilde Flamme, und es gährt noch ebenso im Kopfe und im
Herzen. "Lieber Bruder" schreibt er von Imi Keile am Bosporus, "ich habe
deine beiden Briefe empfangen. Ich sehe, daß du dich immer noch mit Eifer
mit Feldzugöplänen beschäftigst. Ich habe bereits mit angestrengtem Fleiße
mehr als 20 angefertigt, und werde wahrscheinlich nicht einen ausführen. Die
Leute sagen: Man muß stets über seinen Plan im voraus einig sein; ich
sage: man muß auf alles gefaßt sein." Und endlich, als es gilt den ent¬
scheidenden Entschluß zu fassen, und als viele schwanken (so schreibt der
Marschall selbst), vielleicht mit Klugheit, schwankt er nicht; sein Plan ist dies Mal
gemacht: "Ich habe meine Freunde, meine Waffenbrüder, meine Soldaten, die
meine Kinder sind, wie vom Blitz getroffen scharenweis hinsinken sehen, und ich bin
in diesem Beinhaus leben geblieben," schreibt er am -18. August 18Si aus Varna.
"Es ist, als ob in meinem von Leiden gebrochenen, von der Arbeit und vom
Denken abgenutzten Körper die Kräfte in dem Maße sich steigern, wie sie bei
meiner ganzen Umgebung abnehmen. Welche Probe am Schlüsse meines
Lebens! Ich werde unverletzt daraus hervorgehen, weil ich glaube und weil ich
ein Herz habe, das vor nichts zagt. Wenn ich unterliege, so bin ich mit Ehren
gefallen; das ist das einzige stolze Gefühl, das ich in mir dulde----Welches


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Aussicht, wenigstens auf dem Schlachtfelde zu sterben, zusammenzuhalten schien,
schrieb er an seine Frau: „Ich habe eine traurige Nacht gehabt, trotz der Blut¬
egel, die man mir gestern gesetzt hat. Nach dem Frühstück mußte ich mich
wieder ins Bett legen, und um vier Uhr ließ ich mir eine spanische Fliege
legen, mein letztes Hilfsmittel um meinen Feind zu bekämpfen. . . Ich bin da,
ich kämpfe, ich warte, aber vor allem: ich hoffe... Aber die Krisen werden
häufiger und heftiger. Ich hoffe, daß der lange andauernde Donner!
derKanonen auf meine Nerv en und meine Brust wirken wird. Das
ist eine Möglichkeit, an die ich mich klammere, wie ein Ertrinkender an einen
Weidenzweig. Der Zweig bricht vielleicht. . . Es liegt alles in der Hand
Gottes. . ." Es liegt etwas .Rührendes und zugleich Heroisches in dieser Klage
des kranken Kriegers, der nach der Schlacht lechzt, wie nach einem letzten
Heilmittel. Aber nicht blos in seinen letzten Krankheitswochen finden wir
diese fast fieberhafte Erregtheit. Schon im Juni -185 2 schreibt Se. Arnaud
aus Milianah: „Mein Kopf ist eine Projectenmühle, die beständig
arbeitet; und des Nachts stehe ich auf, um die Ideen aufs Papier zu werfen,
die ich für gur halte, obgleich sie mich nicht schlafen lassen." Dann wieder:
„Die Hölle für mich ist die Ruhe, die Unthätigkeit. Ich will es zu gut machen
und zu viel Dinge auf einmal und nehme mir alles zu sehr zu Herzen; das
ist der Fehler großmüthiger Charaktere; aber diese Art Leute leben nicht lange;
sie nutzen sich zu rasch ab, und ich fühle es; aber es ist nicht mehr Zeit
anders zu werden." In den spätern Briefen aus Konstantinopel und Varna lodert
noch dieselbe wilde Flamme, und es gährt noch ebenso im Kopfe und im
Herzen. „Lieber Bruder" schreibt er von Imi Keile am Bosporus, „ich habe
deine beiden Briefe empfangen. Ich sehe, daß du dich immer noch mit Eifer
mit Feldzugöplänen beschäftigst. Ich habe bereits mit angestrengtem Fleiße
mehr als 20 angefertigt, und werde wahrscheinlich nicht einen ausführen. Die
Leute sagen: Man muß stets über seinen Plan im voraus einig sein; ich
sage: man muß auf alles gefaßt sein." Und endlich, als es gilt den ent¬
scheidenden Entschluß zu fassen, und als viele schwanken (so schreibt der
Marschall selbst), vielleicht mit Klugheit, schwankt er nicht; sein Plan ist dies Mal
gemacht: „Ich habe meine Freunde, meine Waffenbrüder, meine Soldaten, die
meine Kinder sind, wie vom Blitz getroffen scharenweis hinsinken sehen, und ich bin
in diesem Beinhaus leben geblieben," schreibt er am -18. August 18Si aus Varna.
„Es ist, als ob in meinem von Leiden gebrochenen, von der Arbeit und vom
Denken abgenutzten Körper die Kräfte in dem Maße sich steigern, wie sie bei
meiner ganzen Umgebung abnehmen. Welche Probe am Schlüsse meines
Lebens! Ich werde unverletzt daraus hervorgehen, weil ich glaube und weil ich
ein Herz habe, das vor nichts zagt. Wenn ich unterliege, so bin ich mit Ehren
gefallen; das ist das einzige stolze Gefühl, das ich in mir dulde----Welches


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[0387] Aussicht, wenigstens auf dem Schlachtfelde zu sterben, zusammenzuhalten schien, schrieb er an seine Frau: „Ich habe eine traurige Nacht gehabt, trotz der Blut¬ egel, die man mir gestern gesetzt hat. Nach dem Frühstück mußte ich mich wieder ins Bett legen, und um vier Uhr ließ ich mir eine spanische Fliege legen, mein letztes Hilfsmittel um meinen Feind zu bekämpfen. . . Ich bin da, ich kämpfe, ich warte, aber vor allem: ich hoffe... Aber die Krisen werden häufiger und heftiger. Ich hoffe, daß der lange andauernde Donner! derKanonen auf meine Nerv en und meine Brust wirken wird. Das ist eine Möglichkeit, an die ich mich klammere, wie ein Ertrinkender an einen Weidenzweig. Der Zweig bricht vielleicht. . . Es liegt alles in der Hand Gottes. . ." Es liegt etwas .Rührendes und zugleich Heroisches in dieser Klage des kranken Kriegers, der nach der Schlacht lechzt, wie nach einem letzten Heilmittel. Aber nicht blos in seinen letzten Krankheitswochen finden wir diese fast fieberhafte Erregtheit. Schon im Juni -185 2 schreibt Se. Arnaud aus Milianah: „Mein Kopf ist eine Projectenmühle, die beständig arbeitet; und des Nachts stehe ich auf, um die Ideen aufs Papier zu werfen, die ich für gur halte, obgleich sie mich nicht schlafen lassen." Dann wieder: „Die Hölle für mich ist die Ruhe, die Unthätigkeit. Ich will es zu gut machen und zu viel Dinge auf einmal und nehme mir alles zu sehr zu Herzen; das ist der Fehler großmüthiger Charaktere; aber diese Art Leute leben nicht lange; sie nutzen sich zu rasch ab, und ich fühle es; aber es ist nicht mehr Zeit anders zu werden." In den spätern Briefen aus Konstantinopel und Varna lodert noch dieselbe wilde Flamme, und es gährt noch ebenso im Kopfe und im Herzen. „Lieber Bruder" schreibt er von Imi Keile am Bosporus, „ich habe deine beiden Briefe empfangen. Ich sehe, daß du dich immer noch mit Eifer mit Feldzugöplänen beschäftigst. Ich habe bereits mit angestrengtem Fleiße mehr als 20 angefertigt, und werde wahrscheinlich nicht einen ausführen. Die Leute sagen: Man muß stets über seinen Plan im voraus einig sein; ich sage: man muß auf alles gefaßt sein." Und endlich, als es gilt den ent¬ scheidenden Entschluß zu fassen, und als viele schwanken (so schreibt der Marschall selbst), vielleicht mit Klugheit, schwankt er nicht; sein Plan ist dies Mal gemacht: „Ich habe meine Freunde, meine Waffenbrüder, meine Soldaten, die meine Kinder sind, wie vom Blitz getroffen scharenweis hinsinken sehen, und ich bin in diesem Beinhaus leben geblieben," schreibt er am -18. August 18Si aus Varna. „Es ist, als ob in meinem von Leiden gebrochenen, von der Arbeit und vom Denken abgenutzten Körper die Kräfte in dem Maße sich steigern, wie sie bei meiner ganzen Umgebung abnehmen. Welche Probe am Schlüsse meines Lebens! Ich werde unverletzt daraus hervorgehen, weil ich glaube und weil ich ein Herz habe, das vor nichts zagt. Wenn ich unterliege, so bin ich mit Ehren gefallen; das ist das einzige stolze Gefühl, das ich in mir dulde----Welches 48 '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/387>, abgerufen am 22.07.2024.