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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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meinestheils bin zum Soldaten geboren, mit einigen der Schwächen und
einigen der guten Eigenschaften des Handwerks." Noch unverhüllter zeigt uns
der Briefsteller in einem andern Schreiben seine Privatverhältnisse. "Schickt
mir neulich ein lyoner Schneider," schreibt er aus setis im Juni 1830, "nach
Konstantine einen Wechsel von mir von 330 Franken, zahlbar den 13. Juni
1820 in Paris! Ich kann mich weder auf den Wechsel, noch aus den Schnei¬
der besinnen! Allerdings war die dreißigjährige Verjährung eingetreten, aber
solche Mittel sind nicht für uns. Ich habe Befehl gegeben, ihn zu bezahlen.
Dieser Schwanz aus der Jugend ist länger als der des Herrn Considvrant^),
aber was für ein Auge hat auch er! Ach mein Sohn! was wird er alles
von mir lernen!"

Einzelnes mit Einzelnem zusammengestellt, erfahren wir, daß der spätere
Marschall sich in seiner Jugend durch Schönheit und Eleganz des Benehmens
und durch Lebhaftigkeit des Geistes auszeichnete, daß er aber seinen Leiden¬
schaften oft mehr die Zügel schießen ließ, als weltliche Klugheit gut heißen
konnte; daß er sein Regiment verließ, vielleicht von Gläubigern bedrängt, viel¬
leicht auch um in jener thatenloser Zeit anderswo Befriedigung für seinen
Hang zu Abenteuern zu suchen; daß er den Griechen zu Hilfe eilte, ohne von
dem Vaterland des Miltiades und Themistokles begeistert zu werden, sondern
daß er sehr bald von allen Illusionen zurückkam und sich die Dinge unbe¬
fangener ansah, als die meisten andern Philhellenen, daß er endlich beim
Ausbruch der Julirevolution sich in England befand. Daß er, so in der Welt
herumgeworfen, nicht unterging, ist ein Beweis, daß in seinem Charakter ein
tüchtiger Kern war und so rauschend und stürmisch er auch gelebt haben mag,
so hat er doch seine Bildung keineswegs vernachlässigt, sondern auf seinen
Reisen nachgeholt, was er in frühern Jahren versäumt hat. Er sprach und
schrieb correct zwei bis drei fremde Sprachen, das Lateinische ungerechnet, das
er mit Geschmack und Belesenheit zu citiren weiß. Er widmete sich mit Nei¬
gung der Musik. "Die Herzogin" schrieb er von Blave 1833 (wo er Ge-
fangenwärter der Herzogin von Berry war) "hört mich gern singen. Sie hat
mir befohlen, heute Abend meine Guitarre mitzubringen." Er liebt eS auch,
schöne Verse vortragen zu hören und spricht mit Begeisterung von der Reichel
"Ich war gestern mit Pajol im Polyeucte. Die Rachel übertrifft alles, was
Du mir von ihr gesagt hast. Sie sprach das oroigl.. auf eine Weise, die alle,
die es hörten, beim Herausgehen aus der Kirche hätte in die Beichte schicken
müssen." Er machte sogar selbst Verse, von denen sich im Briefwechsel mehr
als ein Beispiel findet, unter andern eins von 18. October 1833, als General



Der Socialist Considürant stellte die Meinung auf, daß den Menschen nach Eintritt
des socialistischen Milleniums lauge Schwänze mit einem Auge ans der Spitze wachsen wür¬
D. Red. den, so daß sie nach allen Seiten hin zugleich sehen köunten.

meinestheils bin zum Soldaten geboren, mit einigen der Schwächen und
einigen der guten Eigenschaften des Handwerks." Noch unverhüllter zeigt uns
der Briefsteller in einem andern Schreiben seine Privatverhältnisse. „Schickt
mir neulich ein lyoner Schneider," schreibt er aus setis im Juni 1830, „nach
Konstantine einen Wechsel von mir von 330 Franken, zahlbar den 13. Juni
1820 in Paris! Ich kann mich weder auf den Wechsel, noch aus den Schnei¬
der besinnen! Allerdings war die dreißigjährige Verjährung eingetreten, aber
solche Mittel sind nicht für uns. Ich habe Befehl gegeben, ihn zu bezahlen.
Dieser Schwanz aus der Jugend ist länger als der des Herrn Considvrant^),
aber was für ein Auge hat auch er! Ach mein Sohn! was wird er alles
von mir lernen!"

Einzelnes mit Einzelnem zusammengestellt, erfahren wir, daß der spätere
Marschall sich in seiner Jugend durch Schönheit und Eleganz des Benehmens
und durch Lebhaftigkeit des Geistes auszeichnete, daß er aber seinen Leiden¬
schaften oft mehr die Zügel schießen ließ, als weltliche Klugheit gut heißen
konnte; daß er sein Regiment verließ, vielleicht von Gläubigern bedrängt, viel¬
leicht auch um in jener thatenloser Zeit anderswo Befriedigung für seinen
Hang zu Abenteuern zu suchen; daß er den Griechen zu Hilfe eilte, ohne von
dem Vaterland des Miltiades und Themistokles begeistert zu werden, sondern
daß er sehr bald von allen Illusionen zurückkam und sich die Dinge unbe¬
fangener ansah, als die meisten andern Philhellenen, daß er endlich beim
Ausbruch der Julirevolution sich in England befand. Daß er, so in der Welt
herumgeworfen, nicht unterging, ist ein Beweis, daß in seinem Charakter ein
tüchtiger Kern war und so rauschend und stürmisch er auch gelebt haben mag,
so hat er doch seine Bildung keineswegs vernachlässigt, sondern auf seinen
Reisen nachgeholt, was er in frühern Jahren versäumt hat. Er sprach und
schrieb correct zwei bis drei fremde Sprachen, das Lateinische ungerechnet, das
er mit Geschmack und Belesenheit zu citiren weiß. Er widmete sich mit Nei¬
gung der Musik. „Die Herzogin" schrieb er von Blave 1833 (wo er Ge-
fangenwärter der Herzogin von Berry war) „hört mich gern singen. Sie hat
mir befohlen, heute Abend meine Guitarre mitzubringen." Er liebt eS auch,
schöne Verse vortragen zu hören und spricht mit Begeisterung von der Reichel
„Ich war gestern mit Pajol im Polyeucte. Die Rachel übertrifft alles, was
Du mir von ihr gesagt hast. Sie sprach das oroigl.. auf eine Weise, die alle,
die es hörten, beim Herausgehen aus der Kirche hätte in die Beichte schicken
müssen." Er machte sogar selbst Verse, von denen sich im Briefwechsel mehr
als ein Beispiel findet, unter andern eins von 18. October 1833, als General



Der Socialist Considürant stellte die Meinung auf, daß den Menschen nach Eintritt
des socialistischen Milleniums lauge Schwänze mit einem Auge ans der Spitze wachsen wür¬
D. Red. den, so daß sie nach allen Seiten hin zugleich sehen köunten.
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[0384] meinestheils bin zum Soldaten geboren, mit einigen der Schwächen und einigen der guten Eigenschaften des Handwerks." Noch unverhüllter zeigt uns der Briefsteller in einem andern Schreiben seine Privatverhältnisse. „Schickt mir neulich ein lyoner Schneider," schreibt er aus setis im Juni 1830, „nach Konstantine einen Wechsel von mir von 330 Franken, zahlbar den 13. Juni 1820 in Paris! Ich kann mich weder auf den Wechsel, noch aus den Schnei¬ der besinnen! Allerdings war die dreißigjährige Verjährung eingetreten, aber solche Mittel sind nicht für uns. Ich habe Befehl gegeben, ihn zu bezahlen. Dieser Schwanz aus der Jugend ist länger als der des Herrn Considvrant^), aber was für ein Auge hat auch er! Ach mein Sohn! was wird er alles von mir lernen!" Einzelnes mit Einzelnem zusammengestellt, erfahren wir, daß der spätere Marschall sich in seiner Jugend durch Schönheit und Eleganz des Benehmens und durch Lebhaftigkeit des Geistes auszeichnete, daß er aber seinen Leiden¬ schaften oft mehr die Zügel schießen ließ, als weltliche Klugheit gut heißen konnte; daß er sein Regiment verließ, vielleicht von Gläubigern bedrängt, viel¬ leicht auch um in jener thatenloser Zeit anderswo Befriedigung für seinen Hang zu Abenteuern zu suchen; daß er den Griechen zu Hilfe eilte, ohne von dem Vaterland des Miltiades und Themistokles begeistert zu werden, sondern daß er sehr bald von allen Illusionen zurückkam und sich die Dinge unbe¬ fangener ansah, als die meisten andern Philhellenen, daß er endlich beim Ausbruch der Julirevolution sich in England befand. Daß er, so in der Welt herumgeworfen, nicht unterging, ist ein Beweis, daß in seinem Charakter ein tüchtiger Kern war und so rauschend und stürmisch er auch gelebt haben mag, so hat er doch seine Bildung keineswegs vernachlässigt, sondern auf seinen Reisen nachgeholt, was er in frühern Jahren versäumt hat. Er sprach und schrieb correct zwei bis drei fremde Sprachen, das Lateinische ungerechnet, das er mit Geschmack und Belesenheit zu citiren weiß. Er widmete sich mit Nei¬ gung der Musik. „Die Herzogin" schrieb er von Blave 1833 (wo er Ge- fangenwärter der Herzogin von Berry war) „hört mich gern singen. Sie hat mir befohlen, heute Abend meine Guitarre mitzubringen." Er liebt eS auch, schöne Verse vortragen zu hören und spricht mit Begeisterung von der Reichel „Ich war gestern mit Pajol im Polyeucte. Die Rachel übertrifft alles, was Du mir von ihr gesagt hast. Sie sprach das oroigl.. auf eine Weise, die alle, die es hörten, beim Herausgehen aus der Kirche hätte in die Beichte schicken müssen." Er machte sogar selbst Verse, von denen sich im Briefwechsel mehr als ein Beispiel findet, unter andern eins von 18. October 1833, als General Der Socialist Considürant stellte die Meinung auf, daß den Menschen nach Eintritt des socialistischen Milleniums lauge Schwänze mit einem Auge ans der Spitze wachsen wür¬ D. Red. den, so daß sie nach allen Seiten hin zugleich sehen köunten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/384>, abgerufen am 26.06.2024.