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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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schollenen Späße und nur die Costüme und die Schauspieler, die sie tragen,
haben einen gewissen Geruch des drie a brav> der den größern Theatern eini¬
gen Vorzug vor ihnen gibt.

Zunächst haben wir da einige tapfre Todte jenseits der Welt d. h. der
Seine zu begrüßen, Das Pantheontheater, das Thecure Se. Marcel und das
Theater du gros caillou gingen unter an der unverzeihlicher Theilnamlosigkeit
des zu geschäftigen und zu prosaischen Publicums der outre Seine. Nur das
kleine Vobinotheatcr in der Rue madame erhält sich durch eigensinnigen
Trotz und durch das Mitleid der Studenten, für welche diese wohlfeilen Abend-
unterhaltungen denselben Reiz haben, den die Collegia früher auf einigen deutschen
Universitäten hatten, den nämlich, daß man ihnen im Schlafrocke beiwohnen und
seinen Pudel mitnehmen sonnte. Die Erlauniß im Negligee zu erscheinen
bringen die pariser Studiosi, die hart an der Thüre dieses Theaters wohnen,
mit hinein und statt der Hunde bringen sie ihre Grisetten mit und unterhalten
sich aus die ungezwungenste Weise untereinander und mit den Schauspielern,
wie die hvcharistokratische Welt Londons während einer musikalischen Abend-
unterhaltung. Dieses Theater hat überdies auch das Verdienst, die Debüts des
später so fruchtbar und jetzt so furchtbar gewordenen Clairville auf die Scene
gebracht zu haben.

Lenken wir unsern Schritt vom jenseitigen Ufer wieder auf das rechte
und begeben uns nach den belebten Regionen des Boulevard du temple, wo es
wieder ebenso lebendig einhergeht als in den vielen Theatern, welche rechts
und links mit ihren illuminirten Affichen uns anlocken, so befinden wir uns
auf dem nationalen Boden des pariser Volkstheaterö. Madame Sagin tanzt
zwar nicht mehr, Nicolet, Antinoe, Bvbeche, Jvcrisse und Galimafri sind ver¬
schwunden und auch der erlauchte Böhme, der, weil er nicht französisch genug
gewußt, sich auf die kosmopolitische Pantomime warf, auch Debureau, der
König des Funambuletheaters, ist ins Grab gestiegen. Dieser unnach¬
ahmliche Pierrot, von dem Georges Sand sagte, er sei der letzte vom Stand¬
punkte der Geschichte ans und der erste vom Gesichtspunkte der Kunst und
der Literatur aus betrachtet, hat uns zwar einen Sohn vermacht -- aber
es ist kein Alexander, den dieser mehlbcstrichene Philipp hinterlassen; welche
Andacht herrschte nicht, sowie er auftrat, welche Stille folgte nicht der stummen
Beredtsamkeit von Monsieur Debureau -- wehe dem, der es wagte, dieses geliebte
Schauspiel durch einen Laut zu unterbrechen, er wäre zerfleischt worden, wie
der römische Sklave, den man in einen Löwenzwinger geworfen. Jetzt sind die
Funambules nicht mehr dieselben. Pierrot trägt nur noch den Namen seines
unsterblichen Vorgängers.

Wir finden da noch die Fvlies dramatiques, die zwischen den Theatern
des zweiten und dritten Ranges schweben wie die Verdammten Dantes im


schollenen Späße und nur die Costüme und die Schauspieler, die sie tragen,
haben einen gewissen Geruch des drie a brav> der den größern Theatern eini¬
gen Vorzug vor ihnen gibt.

Zunächst haben wir da einige tapfre Todte jenseits der Welt d. h. der
Seine zu begrüßen, Das Pantheontheater, das Thecure Se. Marcel und das
Theater du gros caillou gingen unter an der unverzeihlicher Theilnamlosigkeit
des zu geschäftigen und zu prosaischen Publicums der outre Seine. Nur das
kleine Vobinotheatcr in der Rue madame erhält sich durch eigensinnigen
Trotz und durch das Mitleid der Studenten, für welche diese wohlfeilen Abend-
unterhaltungen denselben Reiz haben, den die Collegia früher auf einigen deutschen
Universitäten hatten, den nämlich, daß man ihnen im Schlafrocke beiwohnen und
seinen Pudel mitnehmen sonnte. Die Erlauniß im Negligee zu erscheinen
bringen die pariser Studiosi, die hart an der Thüre dieses Theaters wohnen,
mit hinein und statt der Hunde bringen sie ihre Grisetten mit und unterhalten
sich aus die ungezwungenste Weise untereinander und mit den Schauspielern,
wie die hvcharistokratische Welt Londons während einer musikalischen Abend-
unterhaltung. Dieses Theater hat überdies auch das Verdienst, die Debüts des
später so fruchtbar und jetzt so furchtbar gewordenen Clairville auf die Scene
gebracht zu haben.

Lenken wir unsern Schritt vom jenseitigen Ufer wieder auf das rechte
und begeben uns nach den belebten Regionen des Boulevard du temple, wo es
wieder ebenso lebendig einhergeht als in den vielen Theatern, welche rechts
und links mit ihren illuminirten Affichen uns anlocken, so befinden wir uns
auf dem nationalen Boden des pariser Volkstheaterö. Madame Sagin tanzt
zwar nicht mehr, Nicolet, Antinoe, Bvbeche, Jvcrisse und Galimafri sind ver¬
schwunden und auch der erlauchte Böhme, der, weil er nicht französisch genug
gewußt, sich auf die kosmopolitische Pantomime warf, auch Debureau, der
König des Funambuletheaters, ist ins Grab gestiegen. Dieser unnach¬
ahmliche Pierrot, von dem Georges Sand sagte, er sei der letzte vom Stand¬
punkte der Geschichte ans und der erste vom Gesichtspunkte der Kunst und
der Literatur aus betrachtet, hat uns zwar einen Sohn vermacht — aber
es ist kein Alexander, den dieser mehlbcstrichene Philipp hinterlassen; welche
Andacht herrschte nicht, sowie er auftrat, welche Stille folgte nicht der stummen
Beredtsamkeit von Monsieur Debureau — wehe dem, der es wagte, dieses geliebte
Schauspiel durch einen Laut zu unterbrechen, er wäre zerfleischt worden, wie
der römische Sklave, den man in einen Löwenzwinger geworfen. Jetzt sind die
Funambules nicht mehr dieselben. Pierrot trägt nur noch den Namen seines
unsterblichen Vorgängers.

Wir finden da noch die Fvlies dramatiques, die zwischen den Theatern
des zweiten und dritten Ranges schweben wie die Verdammten Dantes im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/38>, abgerufen am 21.06.2024.