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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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wechslung wegen auch einmal den gestiefelten Kater über die Breter führte.
Als Tieck aber die Volksmärchen dramatisirte, hat er schwerlich ihre Ausführ¬
barkeit in Erwägung gezogen, was schon die in Worten ausgedrückte Ouver¬
türe in der ^verkehrten Welt", die redenden Instrumente und die singenden
Blumen im "Zerbino" beweisen. Dies ist der zunächstliegende Gegensatz zu
Aristophanes; ein zweiter ist aber ungleich wichtiger.

Aristophanes geißelt solche Verirrungen seines Zeitalters, die sehr ernst
in die politischen und religiösen Zustände seines Vaterlandes eingriffen. Er
sprach zu einem Publicum, welches durch das Zusammendrängen aller höhern
nationalen Thätigkeit in einen kleinen Raum befähigt war, sich über Dinge
ein Urtheil zu bilden, die sonst nur von der feinsten Bildung verstanden werden.
Unsre modernen Aristophanesse dagegen beschäftigen sich ausschließlich mit dem
Gegenstand, den sie allein verstehen, mit der Literatur; sie lenken die Phan¬
tasie von den Gegenständen der wirklichen Welt auf die Reflexe derselben und
untergraben dadurch allen realistischen Sinn. Nebenbei ist die völlig unkünst¬
lerische phantastische Form nicht blos aus dem Vorbild des Aristophanes her¬
vorgegangen, sondern aus den Reminiscenzen der wiener Zauberposse, der
Zauberflöte, des Donauweibchens u. s. w. ES ist ein nicht ungewöhnliches
Vorurtheil, man könne die naiven Formen der Volkslustbarkeit durch Einfüh¬
rung eines höhern Grades von Bildung veredeln. Zu gewissen Späßen gehört
aber Unmittelbarkeit, ja selbst Rohheit, wenn nicht ihre Spitze abbrechen soll.
Die Loealposse benutzt das Märchen, weil sie dreistere Schwänke, überraschen¬
dere Verwandlungen darin anbringen kann. Schon darin tritt sie aus der
Naivetät heraus, der Schwank wird zur Zote, das freie Spiel der Phantasie,
die sich an die Grenzen des Möglichen und Wahrscheinlichen darum nicht
bindet, weil sie dieselben nicht kennt, zur reflectirten Albernheit. Noch mi߬
licher ist der Versuch, auf dem künstlichen Umwege der Reflexion wieder zur Un¬
mittelbarkeit zurückzukehren. Wenn der gebildete Dichter sich auch noch so fest
vornimmt, aus den Voraussetzungen seiner Bildung herauszutreten und sie völ¬
lig zu vergessen, so gelingt es ihm doch nicht ganz; er muß motiviren, näher
ausführen, muß Streiflichter werfen auf die Cultur, der er entflieht, ironischer
oder sentimentaler Art. Aus dem Wunder wird ein unheimliches Herenwerk,
aus der Willkür haarsträubende Barbarei. Eine unsrer Bildungsstufe fremde
Moral wird für unsern Geschmack zugerichtet und dadurch verdreht. Die
lustigen Gestalten der kindlichen Phantasie verwandeln sich in Fieberspuk; die
zusammenhanglosen, aber anmuthigen Geschichten in pseudophilosophische
Symbole.

Unter diesen Versuchen verdient der gestiefelte Kater (1797) ent¬
schieden den Vorzug. Das Stück sprudelt von treffenden Witzen, liebens¬
würdig tollen Einfällen und guter Laune, es hat dabei einen ziemlich abgeschlofse-


wechslung wegen auch einmal den gestiefelten Kater über die Breter führte.
Als Tieck aber die Volksmärchen dramatisirte, hat er schwerlich ihre Ausführ¬
barkeit in Erwägung gezogen, was schon die in Worten ausgedrückte Ouver¬
türe in der ^verkehrten Welt", die redenden Instrumente und die singenden
Blumen im „Zerbino" beweisen. Dies ist der zunächstliegende Gegensatz zu
Aristophanes; ein zweiter ist aber ungleich wichtiger.

Aristophanes geißelt solche Verirrungen seines Zeitalters, die sehr ernst
in die politischen und religiösen Zustände seines Vaterlandes eingriffen. Er
sprach zu einem Publicum, welches durch das Zusammendrängen aller höhern
nationalen Thätigkeit in einen kleinen Raum befähigt war, sich über Dinge
ein Urtheil zu bilden, die sonst nur von der feinsten Bildung verstanden werden.
Unsre modernen Aristophanesse dagegen beschäftigen sich ausschließlich mit dem
Gegenstand, den sie allein verstehen, mit der Literatur; sie lenken die Phan¬
tasie von den Gegenständen der wirklichen Welt auf die Reflexe derselben und
untergraben dadurch allen realistischen Sinn. Nebenbei ist die völlig unkünst¬
lerische phantastische Form nicht blos aus dem Vorbild des Aristophanes her¬
vorgegangen, sondern aus den Reminiscenzen der wiener Zauberposse, der
Zauberflöte, des Donauweibchens u. s. w. ES ist ein nicht ungewöhnliches
Vorurtheil, man könne die naiven Formen der Volkslustbarkeit durch Einfüh¬
rung eines höhern Grades von Bildung veredeln. Zu gewissen Späßen gehört
aber Unmittelbarkeit, ja selbst Rohheit, wenn nicht ihre Spitze abbrechen soll.
Die Loealposse benutzt das Märchen, weil sie dreistere Schwänke, überraschen¬
dere Verwandlungen darin anbringen kann. Schon darin tritt sie aus der
Naivetät heraus, der Schwank wird zur Zote, das freie Spiel der Phantasie,
die sich an die Grenzen des Möglichen und Wahrscheinlichen darum nicht
bindet, weil sie dieselben nicht kennt, zur reflectirten Albernheit. Noch mi߬
licher ist der Versuch, auf dem künstlichen Umwege der Reflexion wieder zur Un¬
mittelbarkeit zurückzukehren. Wenn der gebildete Dichter sich auch noch so fest
vornimmt, aus den Voraussetzungen seiner Bildung herauszutreten und sie völ¬
lig zu vergessen, so gelingt es ihm doch nicht ganz; er muß motiviren, näher
ausführen, muß Streiflichter werfen auf die Cultur, der er entflieht, ironischer
oder sentimentaler Art. Aus dem Wunder wird ein unheimliches Herenwerk,
aus der Willkür haarsträubende Barbarei. Eine unsrer Bildungsstufe fremde
Moral wird für unsern Geschmack zugerichtet und dadurch verdreht. Die
lustigen Gestalten der kindlichen Phantasie verwandeln sich in Fieberspuk; die
zusammenhanglosen, aber anmuthigen Geschichten in pseudophilosophische
Symbole.

Unter diesen Versuchen verdient der gestiefelte Kater (1797) ent¬
schieden den Vorzug. Das Stück sprudelt von treffenden Witzen, liebens¬
würdig tollen Einfällen und guter Laune, es hat dabei einen ziemlich abgeschlofse-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/344>, abgerufen am 22.07.2024.