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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Mit den Theatern, deren Paris einige zwanzig besitzt, ist.es ebenso. ---
Man braucht nicht überall gewesen zu sein, und in gewissen Theatern müßte
man sich mehr vom Publicum amüsiren lassen als von den Schauspielern.
Die dramatische Kunst ist in Paris jetzt ohnehin herunter und mit Ausnahme
einiger weniger Lustspielaufführer gibr es nichts zu sehen, was den großen
Ruf rechtfertigte, den die Pariser im Auslande haben.

Kein einziges Theater wäre im Stande, eine Tragödie von Shakespeare
oder von Schiller so auszuführen wie die deutschen, wenn man, wie hier,
die vorzüglichsten Kräfte auf einem Punkte versammelte, lind von der Oper,
wenn nicht die komische gemeint ist, kann dasselbe gesagt werden.

Wir wollen es versuchen, zum Frommen der Fremden, welche die pariser
Weltausstellung hierherlocken sollte, einen Blick auf den gegenwärtigen Zustand
der Theater zu werfen und kurz angeben, was jedes derselben zu leisten im Stande
ist, damit jeder nach individuellem Geschmacke wählen könne.

Wir beginnen mit den zwei großen dramatischen Bühnen von Paris, mit
den sogenannten französischen Theatern, dem Theatre frau^iis und dem Odeon.
Beide werden vom Staate reichlich subventionirt und beide bedürfen dieser
Unterstützung, da man sich nicht dazu entschließen kann, sie ganz den Händen
eines tüchtigen Privatfpeculanten anzuvertrauen. Das größte Unglück dieser
Bühne ist zunächst Fräulein Rachel, die durch ihren persönlichen Erfolg das
Repertoir derselben in den engen Kreis längst veralteter Stücke bannt. Nun
ist sie fort und an die Stelle der unzähligen Launen dieser verhätschelten
Person sind die unverständigen Capricen des Staatsministers getreten, welche
alle jüngern Kräfte dem Gymnase zuscheuchen. Mit Ausnahme einiger Stücke
von Alfred de Musset, Mad. de Girardin und Emile Angler und der gefälli¬
gen Vaudevilles ohne Couplet von Scribe hat diese Bühne nichts aufzuweisen,
was der ausgezeichneten Kräfte, über welche sie verfügt, würdig wäre. Mit
gerechtem Unmuthe sehen die ^oniöäiLns orciirmlrös cke 8a IVI^Lsle die ordi¬
näre Vorliebe von LalVl^'este Is public den kleineren Bühnen sich zuwenden.
Eine Fliege, die im Netze der Spinne Staatsraison gefangen ist, suchen sie
vergebens aus ihren Fesseln zu entwischen und müssen vor einem gelangweil¬
ten Publicum spielen und unerhörte Anstrengungen machen, wie eben jetzt in
Legouve's "l'irr etroit, 6s conciuetL", um diese Miseren zu erhalten. Madame
Allan, Prevost, Regnier, Brehaut leisten das Unniögliche und vom Standpunkte
des Spiels und des Ensembles aus kann diese Bühne, wie übrigens die mei¬
sten Theater von Paris, nicht genug empfohlen werden. Für den Fremden
wird die Aufführung der alten Lustspiele von Molisre und Beaumarchais auch
keine unangenehme Bekanntschaft sein, doch muß er den Muth haben, einer
Sonntagspartie auf dem Lande zu entsagen, da diese Stücke meist am Sonn¬
tage gegeben werden. Sowie nämlich in Deutschland das Drama von Schiller


Mit den Theatern, deren Paris einige zwanzig besitzt, ist.es ebenso. -—
Man braucht nicht überall gewesen zu sein, und in gewissen Theatern müßte
man sich mehr vom Publicum amüsiren lassen als von den Schauspielern.
Die dramatische Kunst ist in Paris jetzt ohnehin herunter und mit Ausnahme
einiger weniger Lustspielaufführer gibr es nichts zu sehen, was den großen
Ruf rechtfertigte, den die Pariser im Auslande haben.

Kein einziges Theater wäre im Stande, eine Tragödie von Shakespeare
oder von Schiller so auszuführen wie die deutschen, wenn man, wie hier,
die vorzüglichsten Kräfte auf einem Punkte versammelte, lind von der Oper,
wenn nicht die komische gemeint ist, kann dasselbe gesagt werden.

Wir wollen es versuchen, zum Frommen der Fremden, welche die pariser
Weltausstellung hierherlocken sollte, einen Blick auf den gegenwärtigen Zustand
der Theater zu werfen und kurz angeben, was jedes derselben zu leisten im Stande
ist, damit jeder nach individuellem Geschmacke wählen könne.

Wir beginnen mit den zwei großen dramatischen Bühnen von Paris, mit
den sogenannten französischen Theatern, dem Theatre frau^iis und dem Odeon.
Beide werden vom Staate reichlich subventionirt und beide bedürfen dieser
Unterstützung, da man sich nicht dazu entschließen kann, sie ganz den Händen
eines tüchtigen Privatfpeculanten anzuvertrauen. Das größte Unglück dieser
Bühne ist zunächst Fräulein Rachel, die durch ihren persönlichen Erfolg das
Repertoir derselben in den engen Kreis längst veralteter Stücke bannt. Nun
ist sie fort und an die Stelle der unzähligen Launen dieser verhätschelten
Person sind die unverständigen Capricen des Staatsministers getreten, welche
alle jüngern Kräfte dem Gymnase zuscheuchen. Mit Ausnahme einiger Stücke
von Alfred de Musset, Mad. de Girardin und Emile Angler und der gefälli¬
gen Vaudevilles ohne Couplet von Scribe hat diese Bühne nichts aufzuweisen,
was der ausgezeichneten Kräfte, über welche sie verfügt, würdig wäre. Mit
gerechtem Unmuthe sehen die ^oniöäiLns orciirmlrös cke 8a IVI^Lsle die ordi¬
näre Vorliebe von LalVl^'este Is public den kleineren Bühnen sich zuwenden.
Eine Fliege, die im Netze der Spinne Staatsraison gefangen ist, suchen sie
vergebens aus ihren Fesseln zu entwischen und müssen vor einem gelangweil¬
ten Publicum spielen und unerhörte Anstrengungen machen, wie eben jetzt in
Legouve's „l'irr etroit, 6s conciuetL", um diese Miseren zu erhalten. Madame
Allan, Prevost, Regnier, Brehaut leisten das Unniögliche und vom Standpunkte
des Spiels und des Ensembles aus kann diese Bühne, wie übrigens die mei¬
sten Theater von Paris, nicht genug empfohlen werden. Für den Fremden
wird die Aufführung der alten Lustspiele von Molisre und Beaumarchais auch
keine unangenehme Bekanntschaft sein, doch muß er den Muth haben, einer
Sonntagspartie auf dem Lande zu entsagen, da diese Stücke meist am Sonn¬
tage gegeben werden. Sowie nämlich in Deutschland das Drama von Schiller


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[0034] Mit den Theatern, deren Paris einige zwanzig besitzt, ist.es ebenso. -— Man braucht nicht überall gewesen zu sein, und in gewissen Theatern müßte man sich mehr vom Publicum amüsiren lassen als von den Schauspielern. Die dramatische Kunst ist in Paris jetzt ohnehin herunter und mit Ausnahme einiger weniger Lustspielaufführer gibr es nichts zu sehen, was den großen Ruf rechtfertigte, den die Pariser im Auslande haben. Kein einziges Theater wäre im Stande, eine Tragödie von Shakespeare oder von Schiller so auszuführen wie die deutschen, wenn man, wie hier, die vorzüglichsten Kräfte auf einem Punkte versammelte, lind von der Oper, wenn nicht die komische gemeint ist, kann dasselbe gesagt werden. Wir wollen es versuchen, zum Frommen der Fremden, welche die pariser Weltausstellung hierherlocken sollte, einen Blick auf den gegenwärtigen Zustand der Theater zu werfen und kurz angeben, was jedes derselben zu leisten im Stande ist, damit jeder nach individuellem Geschmacke wählen könne. Wir beginnen mit den zwei großen dramatischen Bühnen von Paris, mit den sogenannten französischen Theatern, dem Theatre frau^iis und dem Odeon. Beide werden vom Staate reichlich subventionirt und beide bedürfen dieser Unterstützung, da man sich nicht dazu entschließen kann, sie ganz den Händen eines tüchtigen Privatfpeculanten anzuvertrauen. Das größte Unglück dieser Bühne ist zunächst Fräulein Rachel, die durch ihren persönlichen Erfolg das Repertoir derselben in den engen Kreis längst veralteter Stücke bannt. Nun ist sie fort und an die Stelle der unzähligen Launen dieser verhätschelten Person sind die unverständigen Capricen des Staatsministers getreten, welche alle jüngern Kräfte dem Gymnase zuscheuchen. Mit Ausnahme einiger Stücke von Alfred de Musset, Mad. de Girardin und Emile Angler und der gefälli¬ gen Vaudevilles ohne Couplet von Scribe hat diese Bühne nichts aufzuweisen, was der ausgezeichneten Kräfte, über welche sie verfügt, würdig wäre. Mit gerechtem Unmuthe sehen die ^oniöäiLns orciirmlrös cke 8a IVI^Lsle die ordi¬ näre Vorliebe von LalVl^'este Is public den kleineren Bühnen sich zuwenden. Eine Fliege, die im Netze der Spinne Staatsraison gefangen ist, suchen sie vergebens aus ihren Fesseln zu entwischen und müssen vor einem gelangweil¬ ten Publicum spielen und unerhörte Anstrengungen machen, wie eben jetzt in Legouve's „l'irr etroit, 6s conciuetL", um diese Miseren zu erhalten. Madame Allan, Prevost, Regnier, Brehaut leisten das Unniögliche und vom Standpunkte des Spiels und des Ensembles aus kann diese Bühne, wie übrigens die mei¬ sten Theater von Paris, nicht genug empfohlen werden. Für den Fremden wird die Aufführung der alten Lustspiele von Molisre und Beaumarchais auch keine unangenehme Bekanntschaft sein, doch muß er den Muth haben, einer Sonntagspartie auf dem Lande zu entsagen, da diese Stücke meist am Sonn¬ tage gegeben werden. Sowie nämlich in Deutschland das Drama von Schiller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/34>, abgerufen am 22.12.2024.