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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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ab und gibt sich nicht zur Ruhe, als >bis er an allen Orten, die ihm der
officielle Wegsührer als Merkwürdigkeiten anrühml, seine Visitenkarte abgege¬
ben hat. Obgleich er sich dann zuweilen in einem Augenblicke unbewachter
Aufrichtigkeit gesteht, daß die Reclame zu oft ein wohlwollendes Auge besitze
und daß daheim in Schilva oder in Hoppelpoppel dieselben Sachen zu sehen
seien, wenn sie auch weniger glänzende Namen bei der Taufe allzugefalliger
Journalisten erhalten haben, so fängt er doch schon am nächsten Morgen die
undankbare Arbeit wieder von vorn an. Muß er doch daheim den Basen
und Vettern über alles berichten und sowie von Paris die Rede ist, stets
ausrufen können: Ach, wie schön! Erinnerst du dich, Lotte, da waren wir auch,
das ist reizend, das ist wundervoll! Die Frau und die Tochter nicken vergnügt
Beifall zu und der Herr Oberstetlereinnehmer hebt das Haupt stolz empor und
gewinnt keine geringe Consideration in den Augen seiner verwunderten Mit¬
bürger. Sie staunen den Mann an, der das Talent halte, sich in einen
Eisenbahnwagen zu setzen und sich im Schlafe nach Paris bringen zu lassen.
Sie bewundern das Genie, das sich, einmal in dieser Stadt so mancher Cvn-
voilisc angekommen, wie ein Schaf von einem Schäferhunde von seinem ge¬
druckten oder lebendigen Wegführer auf alle Weideplätze herkömmlicher Merkwür¬
digkeiten führen ließ und überall vergnügt blökte und sich glücklich schätzte, sein
Geld auf so dumme Weise zu vergeuden. Die Naivetät dieser Krähwinklec ist so
groß, daß sie sich immer dann am meisten verwundern, wenn sie etwas finden,
was daheim auch so ist. ,,Sieh Mutter, das ist grade wie bei uns!" und
die ganze Familie staunt mit Andacht an, was sie zu Hause nie eines Blickes
würd igl e.

Die Wenigsten bringen Verstand genug mit, sich von der Tyrannei ihrer
Lohnbedienten oder ihrer Handbücher zu befreien und sich mit unbefangener
Heiterkeit in den Strudel des pariser Lebens zu stürzen und zu genießen,
was ihrem Geschmacke, ihrer Bildung, ihrer Anschauung entspricht, sich in
dem Kreise zu bewegen, der ihrem Wesen zusagt.

Während meines Aufenthaltes in Paris sind mir kaum ein halb Dutzend
von Fremden erinnerlich, welche meinen Rath befolgten, mehr auf den Stra¬
ßen herumzugehen, als in zwanzig Etablissements dasselbe zu sehen, in zehn
Theatern dieselbe Geschichte in anderer Weise hinunterzuwürgen. Die pariser
Gesellschaft kennen zu lernen ist einem Fremden, der ohne Verbindung hier
herkommt oder wenn er auch welche hat, nur wenige Wochen hier bleibt, nicht
zuzumuthen -- aber das öffentliche Leben, wie es sich in den Straßen kund¬
gibt und auf öffentlichen Belustigungöorten, das kann er studiren, wenn er
den Muth hat, zuweilen mehr auf die Kundgebungen um sich her, als aus
das eigentliche Schauspiel zu achten, von dem er ohnehin kaum die Hälste
versteht.


Grenzdvleii. III. -I86S. i

ab und gibt sich nicht zur Ruhe, als >bis er an allen Orten, die ihm der
officielle Wegsührer als Merkwürdigkeiten anrühml, seine Visitenkarte abgege¬
ben hat. Obgleich er sich dann zuweilen in einem Augenblicke unbewachter
Aufrichtigkeit gesteht, daß die Reclame zu oft ein wohlwollendes Auge besitze
und daß daheim in Schilva oder in Hoppelpoppel dieselben Sachen zu sehen
seien, wenn sie auch weniger glänzende Namen bei der Taufe allzugefalliger
Journalisten erhalten haben, so fängt er doch schon am nächsten Morgen die
undankbare Arbeit wieder von vorn an. Muß er doch daheim den Basen
und Vettern über alles berichten und sowie von Paris die Rede ist, stets
ausrufen können: Ach, wie schön! Erinnerst du dich, Lotte, da waren wir auch,
das ist reizend, das ist wundervoll! Die Frau und die Tochter nicken vergnügt
Beifall zu und der Herr Oberstetlereinnehmer hebt das Haupt stolz empor und
gewinnt keine geringe Consideration in den Augen seiner verwunderten Mit¬
bürger. Sie staunen den Mann an, der das Talent halte, sich in einen
Eisenbahnwagen zu setzen und sich im Schlafe nach Paris bringen zu lassen.
Sie bewundern das Genie, das sich, einmal in dieser Stadt so mancher Cvn-
voilisc angekommen, wie ein Schaf von einem Schäferhunde von seinem ge¬
druckten oder lebendigen Wegführer auf alle Weideplätze herkömmlicher Merkwür¬
digkeiten führen ließ und überall vergnügt blökte und sich glücklich schätzte, sein
Geld auf so dumme Weise zu vergeuden. Die Naivetät dieser Krähwinklec ist so
groß, daß sie sich immer dann am meisten verwundern, wenn sie etwas finden,
was daheim auch so ist. ,,Sieh Mutter, das ist grade wie bei uns!" und
die ganze Familie staunt mit Andacht an, was sie zu Hause nie eines Blickes
würd igl e.

Die Wenigsten bringen Verstand genug mit, sich von der Tyrannei ihrer
Lohnbedienten oder ihrer Handbücher zu befreien und sich mit unbefangener
Heiterkeit in den Strudel des pariser Lebens zu stürzen und zu genießen,
was ihrem Geschmacke, ihrer Bildung, ihrer Anschauung entspricht, sich in
dem Kreise zu bewegen, der ihrem Wesen zusagt.

Während meines Aufenthaltes in Paris sind mir kaum ein halb Dutzend
von Fremden erinnerlich, welche meinen Rath befolgten, mehr auf den Stra¬
ßen herumzugehen, als in zwanzig Etablissements dasselbe zu sehen, in zehn
Theatern dieselbe Geschichte in anderer Weise hinunterzuwürgen. Die pariser
Gesellschaft kennen zu lernen ist einem Fremden, der ohne Verbindung hier
herkommt oder wenn er auch welche hat, nur wenige Wochen hier bleibt, nicht
zuzumuthen — aber das öffentliche Leben, wie es sich in den Straßen kund¬
gibt und auf öffentlichen Belustigungöorten, das kann er studiren, wenn er
den Muth hat, zuweilen mehr auf die Kundgebungen um sich her, als aus
das eigentliche Schauspiel zu achten, von dem er ohnehin kaum die Hälste
versteht.


Grenzdvleii. III. -I86S. i
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/33>, abgerufen am 22.07.2024.