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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Einkleidung absehen, der dämonische Sinn der Liebe zum Golde dargestellt.
Der Held des Märchens hat in einem Walde die schreckliche Königin des
Goldes gesehen, er ist ihrem Zauber entflohen und hat sich in bürgerliche Ver¬
hältnisse eingelebt; aber wie dem blonden Eckbert, tauchen ihm bei jedem
fremden Gesicht die dämonischen Züge des Waldweibes auf; eine Zauber-
tasel, die er mit sich genommen, dringt mit ihren geheimnißvollen Zeichen mit
magischer Kraft in sein Gemüth; einige bei ihm zurückgebliebene Goldstücke er¬
regen ihn zum Wahnsinn. Er stürzt in blinder Leidenschaft wie der Tann¬
häuser in seinen Wald zurück. Nach einigen Jahren zeigt er sich wieder als
zerlumpter Bettler, von einem langen struppigen Bart entstellt, er trägt einen
Sack mit Kieselsteinen, die er für Diamanten hält, und an deren Funkeln er
eine wilde Lust hat. Nachdem er seine ehemalige Frau traurig angesehen, zieht
ihn das schreckliche Waldweib wieder mit sich fort, und er verschwindet für immer.
Auch hier tritt uns also der Wahnsinn entgegen, oder vielmehr die träumerische
Bestimmungslosigkeit der Menschen; denn der unglückselige Liebhaber des
Waldweibes ist nicht der einzige, dessen Bewegungen wie ertödtete Nerven bei
einem galvanischen Experiment dem blos physikalischen Reiz gehorchen. -- Die
Schilderung von der Bereitung des Liebeszaubers ist die Vollendung des
Gräßlichen. Selten wird man einen Fiebertraum erlebt haben, der die Seele
aus eine so sinnlose Weise beängstigt, und dabei haben diese wahnsinnigen
Phantasien noch einen gewissen Anstrich vom Possenhaften. -- Auch im Pokal,
trotz des versöhnenden Schlusses, zerfließen die Gestalten ineinander, die Ein¬
bildungen gehen in Erinnerungen über, und umgekehrt, und es sind wieder
sinnliche, physikalische Einwirkungen nöthig, um die Seele zurecht zu stellen.
"Der Alte mochte nicht sagen, daß er jenen gekannt hatte, denn sein Dasein
war ihm zu sehr zum seltsamen Traum verwirrt, um auch nur aus der Ferne
die Uebrigen in sein Gemüth schauen zu lassen."

Diese Ueberreizungen des Nervensystems sind ästhetisch verwerflich, denn
sie wirken nicht tragisch, nicht erschütternd, sondern im besten Fall nur quälend
und beängstigend; sie verweichlichen die Phantasie, statt sie zu stählen. Im
Wahnsinn des König Lear, in den Visionen Macbeths, in dem Nachtwandeln
der Lady, empfinden wir nicht den gemeinen Sinnenkitzel des Grauens, weil
nicht blos unsre Einbildungskraft, sondern Geist und Gemüth thätig und er¬
griffen ist. Wir werden von der Größe des Verhängnisses durchbebt, und das
sinnliche Mittel drängt sich uns nicht als die Hauptsache auf. Lösen wir
aber dieses Mittel von dem tragischen Inhalt ab, so erniedrigen wir unsre
Phantasie zur Knechtschaft der Sinne und freveln an unserm tiefsten Selbst.
Wie bedenklich diese Spiele der Phantasie auch noch in anderer Beziehung
sind, zeigt sich schon in den Gesprächen im "Phantasus", wo bei Gelegenheit
dieser Märchen auf die Seltsamkeit der Träume, das Ahnungsvermögen und


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Einkleidung absehen, der dämonische Sinn der Liebe zum Golde dargestellt.
Der Held des Märchens hat in einem Walde die schreckliche Königin des
Goldes gesehen, er ist ihrem Zauber entflohen und hat sich in bürgerliche Ver¬
hältnisse eingelebt; aber wie dem blonden Eckbert, tauchen ihm bei jedem
fremden Gesicht die dämonischen Züge des Waldweibes auf; eine Zauber-
tasel, die er mit sich genommen, dringt mit ihren geheimnißvollen Zeichen mit
magischer Kraft in sein Gemüth; einige bei ihm zurückgebliebene Goldstücke er¬
regen ihn zum Wahnsinn. Er stürzt in blinder Leidenschaft wie der Tann¬
häuser in seinen Wald zurück. Nach einigen Jahren zeigt er sich wieder als
zerlumpter Bettler, von einem langen struppigen Bart entstellt, er trägt einen
Sack mit Kieselsteinen, die er für Diamanten hält, und an deren Funkeln er
eine wilde Lust hat. Nachdem er seine ehemalige Frau traurig angesehen, zieht
ihn das schreckliche Waldweib wieder mit sich fort, und er verschwindet für immer.
Auch hier tritt uns also der Wahnsinn entgegen, oder vielmehr die träumerische
Bestimmungslosigkeit der Menschen; denn der unglückselige Liebhaber des
Waldweibes ist nicht der einzige, dessen Bewegungen wie ertödtete Nerven bei
einem galvanischen Experiment dem blos physikalischen Reiz gehorchen. — Die
Schilderung von der Bereitung des Liebeszaubers ist die Vollendung des
Gräßlichen. Selten wird man einen Fiebertraum erlebt haben, der die Seele
aus eine so sinnlose Weise beängstigt, und dabei haben diese wahnsinnigen
Phantasien noch einen gewissen Anstrich vom Possenhaften. — Auch im Pokal,
trotz des versöhnenden Schlusses, zerfließen die Gestalten ineinander, die Ein¬
bildungen gehen in Erinnerungen über, und umgekehrt, und es sind wieder
sinnliche, physikalische Einwirkungen nöthig, um die Seele zurecht zu stellen.
„Der Alte mochte nicht sagen, daß er jenen gekannt hatte, denn sein Dasein
war ihm zu sehr zum seltsamen Traum verwirrt, um auch nur aus der Ferne
die Uebrigen in sein Gemüth schauen zu lassen."

Diese Ueberreizungen des Nervensystems sind ästhetisch verwerflich, denn
sie wirken nicht tragisch, nicht erschütternd, sondern im besten Fall nur quälend
und beängstigend; sie verweichlichen die Phantasie, statt sie zu stählen. Im
Wahnsinn des König Lear, in den Visionen Macbeths, in dem Nachtwandeln
der Lady, empfinden wir nicht den gemeinen Sinnenkitzel des Grauens, weil
nicht blos unsre Einbildungskraft, sondern Geist und Gemüth thätig und er¬
griffen ist. Wir werden von der Größe des Verhängnisses durchbebt, und das
sinnliche Mittel drängt sich uns nicht als die Hauptsache auf. Lösen wir
aber dieses Mittel von dem tragischen Inhalt ab, so erniedrigen wir unsre
Phantasie zur Knechtschaft der Sinne und freveln an unserm tiefsten Selbst.
Wie bedenklich diese Spiele der Phantasie auch noch in anderer Beziehung
sind, zeigt sich schon in den Gesprächen im „Phantasus", wo bei Gelegenheit
dieser Märchen auf die Seltsamkeit der Träume, das Ahnungsvermögen und


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[0339] Einkleidung absehen, der dämonische Sinn der Liebe zum Golde dargestellt. Der Held des Märchens hat in einem Walde die schreckliche Königin des Goldes gesehen, er ist ihrem Zauber entflohen und hat sich in bürgerliche Ver¬ hältnisse eingelebt; aber wie dem blonden Eckbert, tauchen ihm bei jedem fremden Gesicht die dämonischen Züge des Waldweibes auf; eine Zauber- tasel, die er mit sich genommen, dringt mit ihren geheimnißvollen Zeichen mit magischer Kraft in sein Gemüth; einige bei ihm zurückgebliebene Goldstücke er¬ regen ihn zum Wahnsinn. Er stürzt in blinder Leidenschaft wie der Tann¬ häuser in seinen Wald zurück. Nach einigen Jahren zeigt er sich wieder als zerlumpter Bettler, von einem langen struppigen Bart entstellt, er trägt einen Sack mit Kieselsteinen, die er für Diamanten hält, und an deren Funkeln er eine wilde Lust hat. Nachdem er seine ehemalige Frau traurig angesehen, zieht ihn das schreckliche Waldweib wieder mit sich fort, und er verschwindet für immer. Auch hier tritt uns also der Wahnsinn entgegen, oder vielmehr die träumerische Bestimmungslosigkeit der Menschen; denn der unglückselige Liebhaber des Waldweibes ist nicht der einzige, dessen Bewegungen wie ertödtete Nerven bei einem galvanischen Experiment dem blos physikalischen Reiz gehorchen. — Die Schilderung von der Bereitung des Liebeszaubers ist die Vollendung des Gräßlichen. Selten wird man einen Fiebertraum erlebt haben, der die Seele aus eine so sinnlose Weise beängstigt, und dabei haben diese wahnsinnigen Phantasien noch einen gewissen Anstrich vom Possenhaften. — Auch im Pokal, trotz des versöhnenden Schlusses, zerfließen die Gestalten ineinander, die Ein¬ bildungen gehen in Erinnerungen über, und umgekehrt, und es sind wieder sinnliche, physikalische Einwirkungen nöthig, um die Seele zurecht zu stellen. „Der Alte mochte nicht sagen, daß er jenen gekannt hatte, denn sein Dasein war ihm zu sehr zum seltsamen Traum verwirrt, um auch nur aus der Ferne die Uebrigen in sein Gemüth schauen zu lassen." Diese Ueberreizungen des Nervensystems sind ästhetisch verwerflich, denn sie wirken nicht tragisch, nicht erschütternd, sondern im besten Fall nur quälend und beängstigend; sie verweichlichen die Phantasie, statt sie zu stählen. Im Wahnsinn des König Lear, in den Visionen Macbeths, in dem Nachtwandeln der Lady, empfinden wir nicht den gemeinen Sinnenkitzel des Grauens, weil nicht blos unsre Einbildungskraft, sondern Geist und Gemüth thätig und er¬ griffen ist. Wir werden von der Größe des Verhängnisses durchbebt, und das sinnliche Mittel drängt sich uns nicht als die Hauptsache auf. Lösen wir aber dieses Mittel von dem tragischen Inhalt ab, so erniedrigen wir unsre Phantasie zur Knechtschaft der Sinne und freveln an unserm tiefsten Selbst. Wie bedenklich diese Spiele der Phantasie auch noch in anderer Beziehung sind, zeigt sich schon in den Gesprächen im „Phantasus", wo bei Gelegenheit dieser Märchen auf die Seltsamkeit der Träume, das Ahnungsvermögen und 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/339>, abgerufen am 22.07.2024.