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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Naturgewalt auf die Seele, und wenn man singen will, hört man von selbst im ersten
Verse wieder auf und versinkt wieder in das dumpfe Schweigen der Natur. Auch
die Matrosen singen nur, wenn sie sich wieder dem fröhlichen Lande und den
Stätten der Menschen nähern. Wie ans dem Meere die heitern Gebilde, welche im
Geiste keimen, unaufgeblüht in das endlose Wellen und Wogen versinken, so ver¬
wehen in dem endlosen dumpfen Rauschen und Rollen des Urwaldes die lebhaften
Gedanken. Zuletzt Hort man nur noch auf das verhaltene Brausen und Wallen in
den Waldcstiesen, die Ideen werden trübe und verfließen ins Unendliche und Un¬
bestimmte. Damit man sein Ich nicht ganz an das mächtige Wogen der Natur
verliere, fliegt dann und wann ein greller Lichtschein durch die Seele, man weiß
nicht woher es kommt, vielleicht stürzte sich ein Flug Waldvögel kreischend ins
Dickicht, oder man sah die scharfen Augen von ein paar Eichhörnchen hinter den
Aesten lugen, oder es öffnet sich plötzlich eine Schlucht, in der tief unten Wasser
braust. Wird man auch einen Augenblick durch dergleichen aus seiner Träumerei ge¬
rissen, bald darauf ist der Geist wieder wie umweht und umhüllt von grauen Schleiern.
Der Ocean und der Urwald sind noch ein Stück wüster Urweltsgröße, unter deren
schwerem Hauche der Mensch mit seinen leichten freundlichen Ideen nicht gedeihen
kann. Aus den bahnloscn ewig gleichen Prairien, Steppen und Sandwüsten macht
man eine ähnliche Erfahrung, jedoch ist sie nicht so trübe, weil auf jenen Ebenen
frische Lust ist und weite lichte Himmelsbläue, man ist dort nicht besangen von dem
Wellendu-use des Meeres und von dem Modergeruch des Urwalds." --


Vermischte Literatur.

-- Brocchis Briefe über Dantes Göttliche Ko¬
mödie. Aus dem Italienischen von B. K. S. Bonn, Henry u. Cohen. --
Die Briefe sind aus dem Jahre 1797. Sie haben keinen gelehrten Zweck, sondern
sollen nur dazu dienen, diejenigen Laien, die empfänglichen Sinn für das Schöne
haben, aber die Mühe scheuen, einen so schwierigen Dichter gründlich zu studiren,
auf eine leichte und bequeme Weise zum Verständniß desselben anzuleiten. Diesen
Zweck erfüllen sie vollkommen, und die Uebersetzung ist daher eine dankenswerthe
Arbeit. --

Schillers Gedichte erläutert und aus ihre Veranlassungen und Quellen
zurückgeführt, nebst Variantcusammlung und Nachlese von Heinrich Viehofs,
Professor u. Director der höhern Bürger- und Provinzial-Gewerbeschule zu Trier.
Neue, größtentheils umgearbeitete Auslage in drei Bänden. Zweiter Theil. Stutt¬
gart, Ad. Becher. -- Die Gründlichkeit der Erklärung haben wir schon bei Ge¬
legenheit des ersten Bandes rühmend anerkannt; sie läßt sich auch bei dem gegen¬
wärtigen nicht vermissen und macht sich im Ganzen auf eine erfreulichere Weise
geltend, da die didaktischen Gedichte, welche in demselben behandelt sind, einer
Erklärung in der That mehr bedürfen, als die leichten lyrischen Versuche aus
Schillers Jugendzeit. --




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verantwort!. Redacteur legitimirt: F. W. Grunow.-- Verlag von L. F. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

Naturgewalt auf die Seele, und wenn man singen will, hört man von selbst im ersten
Verse wieder auf und versinkt wieder in das dumpfe Schweigen der Natur. Auch
die Matrosen singen nur, wenn sie sich wieder dem fröhlichen Lande und den
Stätten der Menschen nähern. Wie ans dem Meere die heitern Gebilde, welche im
Geiste keimen, unaufgeblüht in das endlose Wellen und Wogen versinken, so ver¬
wehen in dem endlosen dumpfen Rauschen und Rollen des Urwaldes die lebhaften
Gedanken. Zuletzt Hort man nur noch auf das verhaltene Brausen und Wallen in
den Waldcstiesen, die Ideen werden trübe und verfließen ins Unendliche und Un¬
bestimmte. Damit man sein Ich nicht ganz an das mächtige Wogen der Natur
verliere, fliegt dann und wann ein greller Lichtschein durch die Seele, man weiß
nicht woher es kommt, vielleicht stürzte sich ein Flug Waldvögel kreischend ins
Dickicht, oder man sah die scharfen Augen von ein paar Eichhörnchen hinter den
Aesten lugen, oder es öffnet sich plötzlich eine Schlucht, in der tief unten Wasser
braust. Wird man auch einen Augenblick durch dergleichen aus seiner Träumerei ge¬
rissen, bald darauf ist der Geist wieder wie umweht und umhüllt von grauen Schleiern.
Der Ocean und der Urwald sind noch ein Stück wüster Urweltsgröße, unter deren
schwerem Hauche der Mensch mit seinen leichten freundlichen Ideen nicht gedeihen
kann. Aus den bahnloscn ewig gleichen Prairien, Steppen und Sandwüsten macht
man eine ähnliche Erfahrung, jedoch ist sie nicht so trübe, weil auf jenen Ebenen
frische Lust ist und weite lichte Himmelsbläue, man ist dort nicht besangen von dem
Wellendu-use des Meeres und von dem Modergeruch des Urwalds." —


Vermischte Literatur.

— Brocchis Briefe über Dantes Göttliche Ko¬
mödie. Aus dem Italienischen von B. K. S. Bonn, Henry u. Cohen. —
Die Briefe sind aus dem Jahre 1797. Sie haben keinen gelehrten Zweck, sondern
sollen nur dazu dienen, diejenigen Laien, die empfänglichen Sinn für das Schöne
haben, aber die Mühe scheuen, einen so schwierigen Dichter gründlich zu studiren,
auf eine leichte und bequeme Weise zum Verständniß desselben anzuleiten. Diesen
Zweck erfüllen sie vollkommen, und die Uebersetzung ist daher eine dankenswerthe
Arbeit. —

Schillers Gedichte erläutert und aus ihre Veranlassungen und Quellen
zurückgeführt, nebst Variantcusammlung und Nachlese von Heinrich Viehofs,
Professor u. Director der höhern Bürger- und Provinzial-Gewerbeschule zu Trier.
Neue, größtentheils umgearbeitete Auslage in drei Bänden. Zweiter Theil. Stutt¬
gart, Ad. Becher. — Die Gründlichkeit der Erklärung haben wir schon bei Ge¬
legenheit des ersten Bandes rühmend anerkannt; sie läßt sich auch bei dem gegen¬
wärtigen nicht vermissen und macht sich im Ganzen auf eine erfreulichere Weise
geltend, da die didaktischen Gedichte, welche in demselben behandelt sind, einer
Erklärung in der That mehr bedürfen, als die leichten lyrischen Versuche aus
Schillers Jugendzeit. —




Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Als verantwort!. Redacteur legitimirt: F. W. Grunow.— Verlag von L. F. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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[0328] Naturgewalt auf die Seele, und wenn man singen will, hört man von selbst im ersten Verse wieder auf und versinkt wieder in das dumpfe Schweigen der Natur. Auch die Matrosen singen nur, wenn sie sich wieder dem fröhlichen Lande und den Stätten der Menschen nähern. Wie ans dem Meere die heitern Gebilde, welche im Geiste keimen, unaufgeblüht in das endlose Wellen und Wogen versinken, so ver¬ wehen in dem endlosen dumpfen Rauschen und Rollen des Urwaldes die lebhaften Gedanken. Zuletzt Hort man nur noch auf das verhaltene Brausen und Wallen in den Waldcstiesen, die Ideen werden trübe und verfließen ins Unendliche und Un¬ bestimmte. Damit man sein Ich nicht ganz an das mächtige Wogen der Natur verliere, fliegt dann und wann ein greller Lichtschein durch die Seele, man weiß nicht woher es kommt, vielleicht stürzte sich ein Flug Waldvögel kreischend ins Dickicht, oder man sah die scharfen Augen von ein paar Eichhörnchen hinter den Aesten lugen, oder es öffnet sich plötzlich eine Schlucht, in der tief unten Wasser braust. Wird man auch einen Augenblick durch dergleichen aus seiner Träumerei ge¬ rissen, bald darauf ist der Geist wieder wie umweht und umhüllt von grauen Schleiern. Der Ocean und der Urwald sind noch ein Stück wüster Urweltsgröße, unter deren schwerem Hauche der Mensch mit seinen leichten freundlichen Ideen nicht gedeihen kann. Aus den bahnloscn ewig gleichen Prairien, Steppen und Sandwüsten macht man eine ähnliche Erfahrung, jedoch ist sie nicht so trübe, weil auf jenen Ebenen frische Lust ist und weite lichte Himmelsbläue, man ist dort nicht besangen von dem Wellendu-use des Meeres und von dem Modergeruch des Urwalds." — Vermischte Literatur. — Brocchis Briefe über Dantes Göttliche Ko¬ mödie. Aus dem Italienischen von B. K. S. Bonn, Henry u. Cohen. — Die Briefe sind aus dem Jahre 1797. Sie haben keinen gelehrten Zweck, sondern sollen nur dazu dienen, diejenigen Laien, die empfänglichen Sinn für das Schöne haben, aber die Mühe scheuen, einen so schwierigen Dichter gründlich zu studiren, auf eine leichte und bequeme Weise zum Verständniß desselben anzuleiten. Diesen Zweck erfüllen sie vollkommen, und die Uebersetzung ist daher eine dankenswerthe Arbeit. — Schillers Gedichte erläutert und aus ihre Veranlassungen und Quellen zurückgeführt, nebst Variantcusammlung und Nachlese von Heinrich Viehofs, Professor u. Director der höhern Bürger- und Provinzial-Gewerbeschule zu Trier. Neue, größtentheils umgearbeitete Auslage in drei Bänden. Zweiter Theil. Stutt¬ gart, Ad. Becher. — Die Gründlichkeit der Erklärung haben wir schon bei Ge¬ legenheit des ersten Bandes rühmend anerkannt; sie läßt sich auch bei dem gegen¬ wärtigen nicht vermissen und macht sich im Ganzen auf eine erfreulichere Weise geltend, da die didaktischen Gedichte, welche in demselben behandelt sind, einer Erklärung in der That mehr bedürfen, als die leichten lyrischen Versuche aus Schillers Jugendzeit. — Herausgegeben von Gustav Freytag und Julian Schmidt. Als verantwort!. Redacteur legitimirt: F. W. Grunow.— Verlag von L. F. Herbig in Leipzig. Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/328>, abgerufen am 22.07.2024.