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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Während uns das erste Tableau beinahe zwei Jahrtausende vom Prologe
zurückführt, bringt uns das zweite vier Jahrhunderte vom ersten vorwärts.
Es ist die Zeit des inmitten von Orgien und Hungersnot!) vererdenden Kaiser¬
reichs. Gallien findet im Merowinger einen Rächer. Julius Marcius fühlt
sein Ende nahe und er will im Schoße einer Orgie zu Ehren Jmperias
seinen Tod finden. -- Das römische Heidenthum will an dem schonen Busen
von Venus entschlafen. Es hat auch Attila zum Todesfeste geladen, um die¬
sem in seinem Haß gegen den Merowinger die Erbschaft der römischen Macht
zu hinterlassen. Aber die heilige Genoveva, Frankreichs Seele, beschützt den
Merowinger. "Wie wirst du arme Schäferin die Geißel Gottes abzuhalten ver¬
mögen?" fragt das erstaunte Volk. "5s lui pu-Jerf,',," antwortet die Schutz¬
patronin von Paris. Das kann nicht naiver charakteristrt werden. -- Die
Seele Frankreichs verläßt sich auf ihre schönen Worte. -- Glaubt man nicht
Lamartine vor sich zu sehen, der das Vaterland gerettet, die Republik besei¬
tigt zu haben wähnt, wenn er aus dem Platze vor dem Hotel de Ville eine
Rede an das Volk von Paris hält? Dieses 1e lui pariert ist kostbar. Wie
gesagt gethan. -- Das Bachanale ist im Zuge: die Courtisane Jmperia
liegt in verführerischer Stellung, wie es auf dem Bilde von Couture zu sehen.
Attila und der Merowinger erscheinen. -- Julius Marcius trinkt ihm zu, er
trinkt aus einer vergifteten Schale und Attila macht sich bereit, wie ein echter
Engländer den römischen Palast der Thermen sammt dessen Schätzen und Be¬
wohnern mit sich zu nehmen. Da spricht die heilige Genoveva: Attila habe
einen Traum gehabt, in welchem ihm geheißen wird, vorwärts zu marschiren
und alles vor sich niederzumachen, wie der apokalyptische Reiter in Cornelius
herrlichem Carton. Aber die Wiegen müsse er verschonen und Paris ist
keine Stadt, Paris ist eine Wiege. Die Seele Frankreichs muß in Calem-
bourgs reden und der Calembourg hat gesiegt. "Du bist eine Walkyre", ruft
Attila, "du bist eine Gattin", lispelt sterbend der Römer, "du bist ein Erz¬
engel", sagt der fromme Merowinger. -- Tableau. Der Vorhang fällt.

Nach diesem Anfange weiß der Zuschauer gleich, was ihm bevorsteht, er
steigt hinaus, um frische Luft zu schöpfen und vom Balkone der Foyers sieht
er erfreut dem schönen Treiben auf den Boulevards zu. -- Das ist ein er¬
quickenderes Schauspiel als dieser dramatische Alp -- wie das durcheinander¬
flirrt, wie das eilt und heiter durcheinanderwogt -- und diese großen Kinder
alle sie werden sich an dieser Ironie erfreuen und vergnügt in die Hände
klatschen beim Anblick dieser schönen Dekorationen, die doch soweit hinter den
Boulevards zurückbleibeNj bei Nachtbeleuchtung, mit diesem bunten Treiben,
wie sie sich jetzt vor uns ausdehnen.

Wir hatten kaum Zeit, unsre Lungen mit frischer Luft anzupumpen, und
schon sind wieder sechs Jahrhunderte den schnellen Strom der Zeiten hinab-


Während uns das erste Tableau beinahe zwei Jahrtausende vom Prologe
zurückführt, bringt uns das zweite vier Jahrhunderte vom ersten vorwärts.
Es ist die Zeit des inmitten von Orgien und Hungersnot!) vererdenden Kaiser¬
reichs. Gallien findet im Merowinger einen Rächer. Julius Marcius fühlt
sein Ende nahe und er will im Schoße einer Orgie zu Ehren Jmperias
seinen Tod finden. — Das römische Heidenthum will an dem schonen Busen
von Venus entschlafen. Es hat auch Attila zum Todesfeste geladen, um die¬
sem in seinem Haß gegen den Merowinger die Erbschaft der römischen Macht
zu hinterlassen. Aber die heilige Genoveva, Frankreichs Seele, beschützt den
Merowinger. „Wie wirst du arme Schäferin die Geißel Gottes abzuhalten ver¬
mögen?" fragt das erstaunte Volk. „5s lui pu-Jerf,',," antwortet die Schutz¬
patronin von Paris. Das kann nicht naiver charakteristrt werden. — Die
Seele Frankreichs verläßt sich auf ihre schönen Worte. — Glaubt man nicht
Lamartine vor sich zu sehen, der das Vaterland gerettet, die Republik besei¬
tigt zu haben wähnt, wenn er aus dem Platze vor dem Hotel de Ville eine
Rede an das Volk von Paris hält? Dieses 1e lui pariert ist kostbar. Wie
gesagt gethan. — Das Bachanale ist im Zuge: die Courtisane Jmperia
liegt in verführerischer Stellung, wie es auf dem Bilde von Couture zu sehen.
Attila und der Merowinger erscheinen. — Julius Marcius trinkt ihm zu, er
trinkt aus einer vergifteten Schale und Attila macht sich bereit, wie ein echter
Engländer den römischen Palast der Thermen sammt dessen Schätzen und Be¬
wohnern mit sich zu nehmen. Da spricht die heilige Genoveva: Attila habe
einen Traum gehabt, in welchem ihm geheißen wird, vorwärts zu marschiren
und alles vor sich niederzumachen, wie der apokalyptische Reiter in Cornelius
herrlichem Carton. Aber die Wiegen müsse er verschonen und Paris ist
keine Stadt, Paris ist eine Wiege. Die Seele Frankreichs muß in Calem-
bourgs reden und der Calembourg hat gesiegt. „Du bist eine Walkyre", ruft
Attila, „du bist eine Gattin", lispelt sterbend der Römer, „du bist ein Erz¬
engel", sagt der fromme Merowinger. — Tableau. Der Vorhang fällt.

Nach diesem Anfange weiß der Zuschauer gleich, was ihm bevorsteht, er
steigt hinaus, um frische Luft zu schöpfen und vom Balkone der Foyers sieht
er erfreut dem schönen Treiben auf den Boulevards zu. — Das ist ein er¬
quickenderes Schauspiel als dieser dramatische Alp — wie das durcheinander¬
flirrt, wie das eilt und heiter durcheinanderwogt — und diese großen Kinder
alle sie werden sich an dieser Ironie erfreuen und vergnügt in die Hände
klatschen beim Anblick dieser schönen Dekorationen, die doch soweit hinter den
Boulevards zurückbleibeNj bei Nachtbeleuchtung, mit diesem bunten Treiben,
wie sie sich jetzt vor uns ausdehnen.

Wir hatten kaum Zeit, unsre Lungen mit frischer Luft anzupumpen, und
schon sind wieder sechs Jahrhunderte den schnellen Strom der Zeiten hinab-


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[0316] Während uns das erste Tableau beinahe zwei Jahrtausende vom Prologe zurückführt, bringt uns das zweite vier Jahrhunderte vom ersten vorwärts. Es ist die Zeit des inmitten von Orgien und Hungersnot!) vererdenden Kaiser¬ reichs. Gallien findet im Merowinger einen Rächer. Julius Marcius fühlt sein Ende nahe und er will im Schoße einer Orgie zu Ehren Jmperias seinen Tod finden. — Das römische Heidenthum will an dem schonen Busen von Venus entschlafen. Es hat auch Attila zum Todesfeste geladen, um die¬ sem in seinem Haß gegen den Merowinger die Erbschaft der römischen Macht zu hinterlassen. Aber die heilige Genoveva, Frankreichs Seele, beschützt den Merowinger. „Wie wirst du arme Schäferin die Geißel Gottes abzuhalten ver¬ mögen?" fragt das erstaunte Volk. „5s lui pu-Jerf,',," antwortet die Schutz¬ patronin von Paris. Das kann nicht naiver charakteristrt werden. — Die Seele Frankreichs verläßt sich auf ihre schönen Worte. — Glaubt man nicht Lamartine vor sich zu sehen, der das Vaterland gerettet, die Republik besei¬ tigt zu haben wähnt, wenn er aus dem Platze vor dem Hotel de Ville eine Rede an das Volk von Paris hält? Dieses 1e lui pariert ist kostbar. Wie gesagt gethan. — Das Bachanale ist im Zuge: die Courtisane Jmperia liegt in verführerischer Stellung, wie es auf dem Bilde von Couture zu sehen. Attila und der Merowinger erscheinen. — Julius Marcius trinkt ihm zu, er trinkt aus einer vergifteten Schale und Attila macht sich bereit, wie ein echter Engländer den römischen Palast der Thermen sammt dessen Schätzen und Be¬ wohnern mit sich zu nehmen. Da spricht die heilige Genoveva: Attila habe einen Traum gehabt, in welchem ihm geheißen wird, vorwärts zu marschiren und alles vor sich niederzumachen, wie der apokalyptische Reiter in Cornelius herrlichem Carton. Aber die Wiegen müsse er verschonen und Paris ist keine Stadt, Paris ist eine Wiege. Die Seele Frankreichs muß in Calem- bourgs reden und der Calembourg hat gesiegt. „Du bist eine Walkyre", ruft Attila, „du bist eine Gattin", lispelt sterbend der Römer, „du bist ein Erz¬ engel", sagt der fromme Merowinger. — Tableau. Der Vorhang fällt. Nach diesem Anfange weiß der Zuschauer gleich, was ihm bevorsteht, er steigt hinaus, um frische Luft zu schöpfen und vom Balkone der Foyers sieht er erfreut dem schönen Treiben auf den Boulevards zu. — Das ist ein er¬ quickenderes Schauspiel als dieser dramatische Alp — wie das durcheinander¬ flirrt, wie das eilt und heiter durcheinanderwogt — und diese großen Kinder alle sie werden sich an dieser Ironie erfreuen und vergnügt in die Hände klatschen beim Anblick dieser schönen Dekorationen, die doch soweit hinter den Boulevards zurückbleibeNj bei Nachtbeleuchtung, mit diesem bunten Treiben, wie sie sich jetzt vor uns ausdehnen. Wir hatten kaum Zeit, unsre Lungen mit frischer Luft anzupumpen, und schon sind wieder sechs Jahrhunderte den schnellen Strom der Zeiten hinab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/316>, abgerufen am 22.07.2024.