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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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für die Armee requirirt, was auf 1300 Seelen 600 Pud macht; aber der
Gutsbesitzer erbot sich zu 1000 Pud, die innerhalb drei Wochen geliefert wer¬
den mußten. Während der Schiffszwieback gebacken wurde, kam eine neue
Requisition von 10 bespannten und von einem Kutscher begleiteten Wagen, die
binnen 10 Tagen gestellt werden mußten. Dies war unmittelbar bevor die
Nachricht von der Landung der Verbündeten in der Krim zu uns gelangte.
Alle diese Requisitionen fanden grade während der Erntezeit, Ende August
statt, wo fast kein Arbeiter entbehrt werden konnte, um das Getreide einzu¬
bringen , bevor die herbstlichen Regengüsse die Wege ungangbar machten. Zum
Fortschaffen des Schiffszwiebacks waren 20 Paar Ochsen nothwendig, die fast
i Monate wegblieben, da zur Zeit der Ablieferung die Landstraßen bereits in
knietiefen Morast verwandelt waren. Etwas später im Jahre wurden abermals
Ochsen requirirt. Ich weiß nicht mehr, wie viel es waren, aber da der Be¬
sitzer bereits soviele zum Transport geliefert hatte und außerdem grade ein
Sterben unter dem Vieh war, so fand er sich bei den Behörden mit baarem
Gelde ab.

Im April des laufenden Jahres forderte man doppelt soviel Schiffs-
zwieback als vergangenes Jahr und wie ich im Monat Mai das Land durch¬
reiste, sah ich vor den Städten viele tausende von Centnern aufgespeichert, ge¬
wärtig der Weiterschaffung bis zur Armee, die natürlich von den Gutsbesitzern
und den Kronbauern besorgt werden mußte. Unterwegs traf ich lange Reihen
von Wagen, welche Zwieback laden sollten und sprach oft mit den Fuhrleuten,
die meistens aus Kronbauern bestanden. Sie klagten bitterlich über ihr hartes
Schicksal, da sie grade mit Beginn der Heuernte ihre Heimath hatten verlassen
müssen; und da sie eine Reise von ungefähr 1300 Werst hin und zurück zu
machen hatten, so konnten sie erst spät im Herbst wieder zu Hause sein, was
sie ganz außer Stand setzte, Vorsorge für den Winter zu treffen. Viele von
ihnen sagten zu mir: "Batuschka! Wir werden wol den Winter verhungern
sollen; schon vorigen Winter hatten wir genug von dem Durchzug der Truppen
zu leiden, aber dies Mal werden wir nicht einmal etwas für uns zu leben
haben, denn nur die alten Weiber sind zu Hause geblieben und was können die
thun?"

Die Kronbauern haben fast dieselben Lieferungen zu machen, wie die
Gutsbesitzer und brauchen höchstens keine Wagen zu stellen, obgleich ich auch
dies nicht sicher weiß. Ich weiß, daß sie ebenso wie die Edelleute Schiffszwie-
back und Ochsen zur Verproviantirung der Armee zu liefern haben. Es hält
jedoch ausnehmend schwer, die Höhe der diesen sogenannten freien Bauern ab¬
gepreßten Beiträge zu erfahren; denn die Beamten requniren unter der Firma
der Negierung soviel für sich, daß es ganz unmöglich wird zu unterscheiden,
was der Staat eigentlich fordert. Der Krieg ist für die Beamten eine schöne


für die Armee requirirt, was auf 1300 Seelen 600 Pud macht; aber der
Gutsbesitzer erbot sich zu 1000 Pud, die innerhalb drei Wochen geliefert wer¬
den mußten. Während der Schiffszwieback gebacken wurde, kam eine neue
Requisition von 10 bespannten und von einem Kutscher begleiteten Wagen, die
binnen 10 Tagen gestellt werden mußten. Dies war unmittelbar bevor die
Nachricht von der Landung der Verbündeten in der Krim zu uns gelangte.
Alle diese Requisitionen fanden grade während der Erntezeit, Ende August
statt, wo fast kein Arbeiter entbehrt werden konnte, um das Getreide einzu¬
bringen , bevor die herbstlichen Regengüsse die Wege ungangbar machten. Zum
Fortschaffen des Schiffszwiebacks waren 20 Paar Ochsen nothwendig, die fast
i Monate wegblieben, da zur Zeit der Ablieferung die Landstraßen bereits in
knietiefen Morast verwandelt waren. Etwas später im Jahre wurden abermals
Ochsen requirirt. Ich weiß nicht mehr, wie viel es waren, aber da der Be¬
sitzer bereits soviele zum Transport geliefert hatte und außerdem grade ein
Sterben unter dem Vieh war, so fand er sich bei den Behörden mit baarem
Gelde ab.

Im April des laufenden Jahres forderte man doppelt soviel Schiffs-
zwieback als vergangenes Jahr und wie ich im Monat Mai das Land durch¬
reiste, sah ich vor den Städten viele tausende von Centnern aufgespeichert, ge¬
wärtig der Weiterschaffung bis zur Armee, die natürlich von den Gutsbesitzern
und den Kronbauern besorgt werden mußte. Unterwegs traf ich lange Reihen
von Wagen, welche Zwieback laden sollten und sprach oft mit den Fuhrleuten,
die meistens aus Kronbauern bestanden. Sie klagten bitterlich über ihr hartes
Schicksal, da sie grade mit Beginn der Heuernte ihre Heimath hatten verlassen
müssen; und da sie eine Reise von ungefähr 1300 Werst hin und zurück zu
machen hatten, so konnten sie erst spät im Herbst wieder zu Hause sein, was
sie ganz außer Stand setzte, Vorsorge für den Winter zu treffen. Viele von
ihnen sagten zu mir: „Batuschka! Wir werden wol den Winter verhungern
sollen; schon vorigen Winter hatten wir genug von dem Durchzug der Truppen
zu leiden, aber dies Mal werden wir nicht einmal etwas für uns zu leben
haben, denn nur die alten Weiber sind zu Hause geblieben und was können die
thun?"

Die Kronbauern haben fast dieselben Lieferungen zu machen, wie die
Gutsbesitzer und brauchen höchstens keine Wagen zu stellen, obgleich ich auch
dies nicht sicher weiß. Ich weiß, daß sie ebenso wie die Edelleute Schiffszwie-
back und Ochsen zur Verproviantirung der Armee zu liefern haben. Es hält
jedoch ausnehmend schwer, die Höhe der diesen sogenannten freien Bauern ab¬
gepreßten Beiträge zu erfahren; denn die Beamten requniren unter der Firma
der Negierung soviel für sich, daß es ganz unmöglich wird zu unterscheiden,
was der Staat eigentlich fordert. Der Krieg ist für die Beamten eine schöne


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[0292] für die Armee requirirt, was auf 1300 Seelen 600 Pud macht; aber der Gutsbesitzer erbot sich zu 1000 Pud, die innerhalb drei Wochen geliefert wer¬ den mußten. Während der Schiffszwieback gebacken wurde, kam eine neue Requisition von 10 bespannten und von einem Kutscher begleiteten Wagen, die binnen 10 Tagen gestellt werden mußten. Dies war unmittelbar bevor die Nachricht von der Landung der Verbündeten in der Krim zu uns gelangte. Alle diese Requisitionen fanden grade während der Erntezeit, Ende August statt, wo fast kein Arbeiter entbehrt werden konnte, um das Getreide einzu¬ bringen , bevor die herbstlichen Regengüsse die Wege ungangbar machten. Zum Fortschaffen des Schiffszwiebacks waren 20 Paar Ochsen nothwendig, die fast i Monate wegblieben, da zur Zeit der Ablieferung die Landstraßen bereits in knietiefen Morast verwandelt waren. Etwas später im Jahre wurden abermals Ochsen requirirt. Ich weiß nicht mehr, wie viel es waren, aber da der Be¬ sitzer bereits soviele zum Transport geliefert hatte und außerdem grade ein Sterben unter dem Vieh war, so fand er sich bei den Behörden mit baarem Gelde ab. Im April des laufenden Jahres forderte man doppelt soviel Schiffs- zwieback als vergangenes Jahr und wie ich im Monat Mai das Land durch¬ reiste, sah ich vor den Städten viele tausende von Centnern aufgespeichert, ge¬ wärtig der Weiterschaffung bis zur Armee, die natürlich von den Gutsbesitzern und den Kronbauern besorgt werden mußte. Unterwegs traf ich lange Reihen von Wagen, welche Zwieback laden sollten und sprach oft mit den Fuhrleuten, die meistens aus Kronbauern bestanden. Sie klagten bitterlich über ihr hartes Schicksal, da sie grade mit Beginn der Heuernte ihre Heimath hatten verlassen müssen; und da sie eine Reise von ungefähr 1300 Werst hin und zurück zu machen hatten, so konnten sie erst spät im Herbst wieder zu Hause sein, was sie ganz außer Stand setzte, Vorsorge für den Winter zu treffen. Viele von ihnen sagten zu mir: „Batuschka! Wir werden wol den Winter verhungern sollen; schon vorigen Winter hatten wir genug von dem Durchzug der Truppen zu leiden, aber dies Mal werden wir nicht einmal etwas für uns zu leben haben, denn nur die alten Weiber sind zu Hause geblieben und was können die thun?" Die Kronbauern haben fast dieselben Lieferungen zu machen, wie die Gutsbesitzer und brauchen höchstens keine Wagen zu stellen, obgleich ich auch dies nicht sicher weiß. Ich weiß, daß sie ebenso wie die Edelleute Schiffszwie- back und Ochsen zur Verproviantirung der Armee zu liefern haben. Es hält jedoch ausnehmend schwer, die Höhe der diesen sogenannten freien Bauern ab¬ gepreßten Beiträge zu erfahren; denn die Beamten requniren unter der Firma der Negierung soviel für sich, daß es ganz unmöglich wird zu unterscheiden, was der Staat eigentlich fordert. Der Krieg ist für die Beamten eine schöne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/292>, abgerufen am 21.06.2024.