Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.und ruinirt haben, ehe es vielleicht -- denn die Sache ist noch nicht sicher -- Es gibt auch bei uns wunderliche Leute, welche allen bequemen Reise¬ und ruinirt haben, ehe es vielleicht — denn die Sache ist noch nicht sicher — Es gibt auch bei uns wunderliche Leute, welche allen bequemen Reise¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100194"/> <p xml:id="ID_805" prev="#ID_804"> und ruinirt haben, ehe es vielleicht — denn die Sache ist noch nicht sicher —<lb/> die Gefälligkeit hat, aus einem Gebüsch hervorzutreten und uns in einen hohlen<lb/> Baum oder in ein Erdloch zu führen, dort erhalten wir irgendetwas Namenloses<lb/> zu essen, vielleicht eine tausend Jahr alte Wurst und sind zuletzt glücklich,<lb/> wenn wir ebendaselbst auf trocknen Blättern schlafen dürfen. Was thut da¬<lb/> gegen Herr Bädeker? Er ist immer bei uns. Er geht nie von unsrer Seite,<lb/> er ruft uns auf jedem Wege zu: Hier rechts, dort links — noch hundert<lb/> Schritt bis zu dem alten Tannenbaum, dann fünf Minuten bis zu einer ver¬<lb/> fallenen Hütte, dann nicht links, sondern rechts; und nicht über den Zaun,<lb/> sondern daran herunter u. s. w. und das thut er nicht auf einem Wege,<lb/> nein, auf allen Wegen, nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch alle<lb/> Nachbarländer; überall raunt er uns zu: hier gehe vorüber, dort stehe still;<lb/> hier setze dich, dort sieh dich um; in diesem Wirthshaus ist der Wirth ein<lb/> Schlingel und die Betten sind dürftig (20 Stück) und wenn die Rechnung<lb/> kommt sei ein Mann und mäßige dich in Trinkgeldern. In dieser Stadt ists<lb/> gut Pfefferkuchen kaufen, in diesem Lande wünscht die Polizei so und so be¬<lb/> handelt zu werden und wenn du fette Alpemnilch trinkst, so sei ein gutes<lb/> Kerlchen und denke daran, etwas Kirschwasser daraufzusetzen. Wer die Merk¬<lb/> würdigkeiten einer Stadt nach seiner Anweisung betrachtet, der hat sicher mehr<lb/> davon gesehen, als neunundneunzig Procent der Menschen, welche ihr Leben<lb/> darin zubringen. Alte verstorbene Maler erleben in ihrem Grabe die Freude,<lb/> daß jetzt Tausende von Fremden aus aller Herren Ländern mit sicherem Schritt<lb/> hundert Meilen weit bis an die Wand reisen, auf welche die Kunst der Todten<lb/> irgend einmal ein Bild aufgemalt hat. Kein Eseltreiber in dem allerverborgen-<lb/> sten Thale der Erde ist jetzt noch im Stande, einen unerfahrenen Reisenden<lb/> zu schnellen, er merkt mit Erstaunen, daß der stockfremde Mann die Preise der<lb/> Esel ebensogut kennt, wie die Nachbarn im Thale. Alles, was der Reisende<lb/> irgend braucht, findet er in dem rothen Buch, Vergangenheit und Gegenwart,<lb/> Kunstwerke und Berühmtheiten, Fiaker, Restaurationen und Conditoreien, Trink¬<lb/> gelder und Sesselträger, das Kleinste wie das Größte ist darin aufgezeichnet;<lb/> und es ist ein wahres Glück, daß Herr Bädeker unter seinen vielen Zaubereien<lb/> nicht auch die übt, den Reisenden mit Sonnenschein und mit Geld zu ver¬<lb/> sehen; denn sonst würde alle Häuslichkeit aus der Welt verschwinden, das<lb/> ganze Menschengeschlecht würde in einen unabsehbaren Strom von Reisenden<lb/> zusammenlaufen und nur zwei Classen von Mitmenschen würden auf der Erde<lb/> bleiben, Touristen und Gastwirthe.</p><lb/> <p xml:id="ID_806" next="#ID_807"> Es gibt auch bei uns wunderliche Leute, welche allen bequemen Reise¬<lb/> büchern und ihrem Rathe abhold sind, weil diese die Poesie des Reifens ver¬<lb/> kümmern und ein triviales Genießen befördern sollen. Es wird schwer zu be¬<lb/> weisen sein, daß in solcher Behauptung Vernunft ist. Wird das Schöne des-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0274]
und ruinirt haben, ehe es vielleicht — denn die Sache ist noch nicht sicher —
die Gefälligkeit hat, aus einem Gebüsch hervorzutreten und uns in einen hohlen
Baum oder in ein Erdloch zu führen, dort erhalten wir irgendetwas Namenloses
zu essen, vielleicht eine tausend Jahr alte Wurst und sind zuletzt glücklich,
wenn wir ebendaselbst auf trocknen Blättern schlafen dürfen. Was thut da¬
gegen Herr Bädeker? Er ist immer bei uns. Er geht nie von unsrer Seite,
er ruft uns auf jedem Wege zu: Hier rechts, dort links — noch hundert
Schritt bis zu dem alten Tannenbaum, dann fünf Minuten bis zu einer ver¬
fallenen Hütte, dann nicht links, sondern rechts; und nicht über den Zaun,
sondern daran herunter u. s. w. und das thut er nicht auf einem Wege,
nein, auf allen Wegen, nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch alle
Nachbarländer; überall raunt er uns zu: hier gehe vorüber, dort stehe still;
hier setze dich, dort sieh dich um; in diesem Wirthshaus ist der Wirth ein
Schlingel und die Betten sind dürftig (20 Stück) und wenn die Rechnung
kommt sei ein Mann und mäßige dich in Trinkgeldern. In dieser Stadt ists
gut Pfefferkuchen kaufen, in diesem Lande wünscht die Polizei so und so be¬
handelt zu werden und wenn du fette Alpemnilch trinkst, so sei ein gutes
Kerlchen und denke daran, etwas Kirschwasser daraufzusetzen. Wer die Merk¬
würdigkeiten einer Stadt nach seiner Anweisung betrachtet, der hat sicher mehr
davon gesehen, als neunundneunzig Procent der Menschen, welche ihr Leben
darin zubringen. Alte verstorbene Maler erleben in ihrem Grabe die Freude,
daß jetzt Tausende von Fremden aus aller Herren Ländern mit sicherem Schritt
hundert Meilen weit bis an die Wand reisen, auf welche die Kunst der Todten
irgend einmal ein Bild aufgemalt hat. Kein Eseltreiber in dem allerverborgen-
sten Thale der Erde ist jetzt noch im Stande, einen unerfahrenen Reisenden
zu schnellen, er merkt mit Erstaunen, daß der stockfremde Mann die Preise der
Esel ebensogut kennt, wie die Nachbarn im Thale. Alles, was der Reisende
irgend braucht, findet er in dem rothen Buch, Vergangenheit und Gegenwart,
Kunstwerke und Berühmtheiten, Fiaker, Restaurationen und Conditoreien, Trink¬
gelder und Sesselträger, das Kleinste wie das Größte ist darin aufgezeichnet;
und es ist ein wahres Glück, daß Herr Bädeker unter seinen vielen Zaubereien
nicht auch die übt, den Reisenden mit Sonnenschein und mit Geld zu ver¬
sehen; denn sonst würde alle Häuslichkeit aus der Welt verschwinden, das
ganze Menschengeschlecht würde in einen unabsehbaren Strom von Reisenden
zusammenlaufen und nur zwei Classen von Mitmenschen würden auf der Erde
bleiben, Touristen und Gastwirthe.
Es gibt auch bei uns wunderliche Leute, welche allen bequemen Reise¬
büchern und ihrem Rathe abhold sind, weil diese die Poesie des Reifens ver¬
kümmern und ein triviales Genießen befördern sollen. Es wird schwer zu be¬
weisen sein, daß in solcher Behauptung Vernunft ist. Wird das Schöne des-
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