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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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aber ihre Revanche. Fast um dieselbe Zeit wurde ein geschickt verbreitetes Ge¬
rücht von dem Tode der Königin Anna auf dieselbe Weise benutzt. Ein mit
verhängten Zügeln einhersprcngender Courier brachte die Nachricht nach der
Stadt, wo sie sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Es erercirte grade ein Miliz-
regiment, das sofort mit gesenkten Fahnen und umgekehrten Gewehren, zum
Zeichen der Trauer, nach Hause zog. Alle Papiere sanken sofort sehr bedeu¬
tend, aber einige Speculanten hatten Muth genug alles zu kaufen, was man
ihnen anbot, und nächsten Tags wußte alle Welt, daß sich Königin Anna
einer ausgezeichneten Gesundheit erfreute. Der geheimnißvolle Courier aber,
der die Nachricht überbracht hatte, war verschwunden. Diejenigen, welche
während des panischen Schreckens gekauft hatten, wußten wahrscheinlich von ihm
zu erzählen. Aber Beweise gegen sie ließen sich nicht beibringen, und sie behielten
ihren erschwindelten Gewinn.

Allmälig bildete sich dieses Erfinden von falschen Nachrichten zu einem
vollständigen System aus: man erfand Geschichten, die sich ebenso dramatisch
wie eine gutgearbeitete Komödie entwickelten, in welcher die Mithandelnden
oft ebenso zahlreich, ihre Rollen ebenso mannigfach wie in einem Theater¬
stück waren, und deren Autorenrecht "hochgestellte Männer" zuweilen mit sehr
zweideutigen Menschen zu theilen nicht verschmähten. Parlamentsmitglieder
verfertigten manchmal selbst Nachrichten; man gab fabricirte Briefe aus dem
Auslande herum, oder ließ sie in die Zeitung setzen, um irgendeine falsche
Nachricht in Umlauf zu bringen; und jeder Kunstgriff wurde angewendet, um
sich zuerst den Besitz von Neuigkeiten -- mochten sie wahr oder falsch sein --
ZU sichern. Es wird behauptet, daß die Dienerschaft von hohen Staatsbeamten
>in Solde großer Staatspapierspeculanten stand, und selbst Ministersrauen
sagt man nach, für "Werth empfangen" sich zu willigen Werkzeugen für
Männer gemacht zu haben, denen eine neue Nachricht Tausende von Pfunden
werth war.

Während des großen Contmentaltneges zu Anfang dieses Jahrhunderts war
der Tod Bonapartes die Lieblingsbörsenente. Während des Feldzugs in Aegyp-
ten erhielt der Premierminister eine Depesche des Inhalts, daß Napoleon von
einem der Wüstenhäuptlinge ermordet worden sei. Alle Einzelnheiten waren
"Ut einer Umständlichkeit erzählt, die als eine sichere Bürgschaft der Wahrheit
erschien. Der Häuptling, hieß eS, hatte die größte Anhänglichkeit an den
Tag gelegt, bis sich eine günstige Gelegenheit darbot, wo auf ein gegebenes
Zeichen zahlreiche Stämme über Napoleon und sein Gefolge hergefallen wären und
alle niedergemetzelt hätten. Die Sage erhielt sich geraume Zeit, da sie wegen der
großen Entfernung und des durch den Krieg behinderten Verkehrs nicht rasch be¬
stätigt oder widerlegt werden konnte, die Glocken wurden festlich geläutet, niemand
Zweifelte an der Wahrheit der Erzählung, und die Fonds stiegen rasch und be-


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aber ihre Revanche. Fast um dieselbe Zeit wurde ein geschickt verbreitetes Ge¬
rücht von dem Tode der Königin Anna auf dieselbe Weise benutzt. Ein mit
verhängten Zügeln einhersprcngender Courier brachte die Nachricht nach der
Stadt, wo sie sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Es erercirte grade ein Miliz-
regiment, das sofort mit gesenkten Fahnen und umgekehrten Gewehren, zum
Zeichen der Trauer, nach Hause zog. Alle Papiere sanken sofort sehr bedeu¬
tend, aber einige Speculanten hatten Muth genug alles zu kaufen, was man
ihnen anbot, und nächsten Tags wußte alle Welt, daß sich Königin Anna
einer ausgezeichneten Gesundheit erfreute. Der geheimnißvolle Courier aber,
der die Nachricht überbracht hatte, war verschwunden. Diejenigen, welche
während des panischen Schreckens gekauft hatten, wußten wahrscheinlich von ihm
zu erzählen. Aber Beweise gegen sie ließen sich nicht beibringen, und sie behielten
ihren erschwindelten Gewinn.

Allmälig bildete sich dieses Erfinden von falschen Nachrichten zu einem
vollständigen System aus: man erfand Geschichten, die sich ebenso dramatisch
wie eine gutgearbeitete Komödie entwickelten, in welcher die Mithandelnden
oft ebenso zahlreich, ihre Rollen ebenso mannigfach wie in einem Theater¬
stück waren, und deren Autorenrecht „hochgestellte Männer" zuweilen mit sehr
zweideutigen Menschen zu theilen nicht verschmähten. Parlamentsmitglieder
verfertigten manchmal selbst Nachrichten; man gab fabricirte Briefe aus dem
Auslande herum, oder ließ sie in die Zeitung setzen, um irgendeine falsche
Nachricht in Umlauf zu bringen; und jeder Kunstgriff wurde angewendet, um
sich zuerst den Besitz von Neuigkeiten — mochten sie wahr oder falsch sein —
ZU sichern. Es wird behauptet, daß die Dienerschaft von hohen Staatsbeamten
>in Solde großer Staatspapierspeculanten stand, und selbst Ministersrauen
sagt man nach, für „Werth empfangen" sich zu willigen Werkzeugen für
Männer gemacht zu haben, denen eine neue Nachricht Tausende von Pfunden
werth war.

Während des großen Contmentaltneges zu Anfang dieses Jahrhunderts war
der Tod Bonapartes die Lieblingsbörsenente. Während des Feldzugs in Aegyp-
ten erhielt der Premierminister eine Depesche des Inhalts, daß Napoleon von
einem der Wüstenhäuptlinge ermordet worden sei. Alle Einzelnheiten waren
»Ut einer Umständlichkeit erzählt, die als eine sichere Bürgschaft der Wahrheit
erschien. Der Häuptling, hieß eS, hatte die größte Anhänglichkeit an den
Tag gelegt, bis sich eine günstige Gelegenheit darbot, wo auf ein gegebenes
Zeichen zahlreiche Stämme über Napoleon und sein Gefolge hergefallen wären und
alle niedergemetzelt hätten. Die Sage erhielt sich geraume Zeit, da sie wegen der
großen Entfernung und des durch den Krieg behinderten Verkehrs nicht rasch be¬
stätigt oder widerlegt werden konnte, die Glocken wurden festlich geläutet, niemand
Zweifelte an der Wahrheit der Erzählung, und die Fonds stiegen rasch und be-


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[0267] aber ihre Revanche. Fast um dieselbe Zeit wurde ein geschickt verbreitetes Ge¬ rücht von dem Tode der Königin Anna auf dieselbe Weise benutzt. Ein mit verhängten Zügeln einhersprcngender Courier brachte die Nachricht nach der Stadt, wo sie sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Es erercirte grade ein Miliz- regiment, das sofort mit gesenkten Fahnen und umgekehrten Gewehren, zum Zeichen der Trauer, nach Hause zog. Alle Papiere sanken sofort sehr bedeu¬ tend, aber einige Speculanten hatten Muth genug alles zu kaufen, was man ihnen anbot, und nächsten Tags wußte alle Welt, daß sich Königin Anna einer ausgezeichneten Gesundheit erfreute. Der geheimnißvolle Courier aber, der die Nachricht überbracht hatte, war verschwunden. Diejenigen, welche während des panischen Schreckens gekauft hatten, wußten wahrscheinlich von ihm zu erzählen. Aber Beweise gegen sie ließen sich nicht beibringen, und sie behielten ihren erschwindelten Gewinn. Allmälig bildete sich dieses Erfinden von falschen Nachrichten zu einem vollständigen System aus: man erfand Geschichten, die sich ebenso dramatisch wie eine gutgearbeitete Komödie entwickelten, in welcher die Mithandelnden oft ebenso zahlreich, ihre Rollen ebenso mannigfach wie in einem Theater¬ stück waren, und deren Autorenrecht „hochgestellte Männer" zuweilen mit sehr zweideutigen Menschen zu theilen nicht verschmähten. Parlamentsmitglieder verfertigten manchmal selbst Nachrichten; man gab fabricirte Briefe aus dem Auslande herum, oder ließ sie in die Zeitung setzen, um irgendeine falsche Nachricht in Umlauf zu bringen; und jeder Kunstgriff wurde angewendet, um sich zuerst den Besitz von Neuigkeiten — mochten sie wahr oder falsch sein — ZU sichern. Es wird behauptet, daß die Dienerschaft von hohen Staatsbeamten >in Solde großer Staatspapierspeculanten stand, und selbst Ministersrauen sagt man nach, für „Werth empfangen" sich zu willigen Werkzeugen für Männer gemacht zu haben, denen eine neue Nachricht Tausende von Pfunden werth war. Während des großen Contmentaltneges zu Anfang dieses Jahrhunderts war der Tod Bonapartes die Lieblingsbörsenente. Während des Feldzugs in Aegyp- ten erhielt der Premierminister eine Depesche des Inhalts, daß Napoleon von einem der Wüstenhäuptlinge ermordet worden sei. Alle Einzelnheiten waren »Ut einer Umständlichkeit erzählt, die als eine sichere Bürgschaft der Wahrheit erschien. Der Häuptling, hieß eS, hatte die größte Anhänglichkeit an den Tag gelegt, bis sich eine günstige Gelegenheit darbot, wo auf ein gegebenes Zeichen zahlreiche Stämme über Napoleon und sein Gefolge hergefallen wären und alle niedergemetzelt hätten. Die Sage erhielt sich geraume Zeit, da sie wegen der großen Entfernung und des durch den Krieg behinderten Verkehrs nicht rasch be¬ stätigt oder widerlegt werden konnte, die Glocken wurden festlich geläutet, niemand Zweifelte an der Wahrheit der Erzählung, und die Fonds stiegen rasch und be- 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/267>, abgerufen am 22.07.2024.