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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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abgesehen von Mendelssohns oft aufgeführten Oratorien, auf Schumann hin¬
gewiesen. Die Gründe, welche dies Mal insbesondere dafür sprechen, dem
Meister diese Huldigung darzubringen, sind zu schmerzlich, um erörtert zu werden,
man folgte einem natürlichen und ehrenwerthen Gefühle, indem man sich durch
dieselben bestimmen ließ. Und dennoch kann man die Wahl dieses Oratoriums
für ein Musikfest nicht billigen. Die Musikstücke, welche dort zur Aufführung
kommen, müssen von der Art sein, daß sie durch die Massen und auf die Massen
wirken. Es ist nicht genug, daß sie eine allenfalls sehr verstärkte Besetzung
vertragen können, ihre ganze Anlage muß so beschaffen sein, daß die Ein¬
fachheit und Größe der Umrisse und der Ausführung durch eine massenhafte
Besetzung erst zur vollen Geltung kommt. Dem entsprechend müssen sie auch
auf die Zuhörer im Ganzen und Großen wirken. Ein so zahlreiches, aus den
verschiedenartigsten Elementen gemischtes Publicum will fest und sicher gepackt
sein; es ist nicht sähig, unausgesetzt uno mit Anstrengung aus ein im Einzel¬
nen seines und zartes Detail aufmerksam einzugehen und sich aus schönen
Einzelnheiten den Gesammteindruck selbst zu bilden, sondern es will ihn in
mächtiger Fülle sich entgegengebracht haben, davon überwältigt und hingerissen
werden. Durch die offene Erklärung, daß Schumanns Oratorium von dieser
Art nicht sei, ist keineswegs absoluter Tadel gegen dasselbe als Kunstwerk über¬
haupt ausgesprochen. Aber es leuchtet ein, daß dasselbe verhältnißmäßig we¬
nige Momente bietet, wo eine massenhafte Wirkung, namentlich durch den
Chor, möglich ist, wie das Auftreten des Eroberers, der Schiußchor des ersten
und pes letzten Theils. Uebrigens liegt es in der Natur des Stoffes und
des Colorits, welches der Dichter ihm gegeben hat, baß ver Charakter vorherr¬
schend weich, zart und phantastisch ist; dies sage auch Schumanns musikalischen
Charakter zu, und das Werk ist reich an wunderbaren Schönheiten dieser Art.
Die Krone derselben ist gewiß das Schlummerlied, welches den zweiten Theil
beschließt, und schwerlich Hai die neuere Musik etwas auszuweisen, das an
Tiefe der Empfindung, poetischer Auffassung und wahrhaft zauberischem Wohl¬
laut dieses Prachtstück überträfe. Durch den Gesang der Goldschmidt und den
vollen schönen Chor trat es ins glänzendste Licht und machte tiefen Eindruck.
Und zwar steht es keineswegs vereinzelt da, es sind eine Menge schöner Mo¬
mente durch das ganze Oratorium zerstreut, wenn sie gleich nicht alle gleich
abgerundet und plastisch ausgearbeitet sind. Allein sie wirken eben nur als
Einzelnheiten, jede für sich, ja vie Fülle derselben wird nachtheilig, weil eins
das andere verdrängt, ehe es in ver Seele des Zuhörers feste Wurzel geschla¬
gen hat. Wer das Werk kannte, wer mit Hingebung und Liebe dem Einzelnen
zu folgen im Stande war, hat bei dieser mit so reichen Mitteln ausgeführten
Darstellung einen erhöheten Genuß gehabt, allein das' Publicum in Masse
besteht nicht aus Musikern und Musikfreunden der Art. Wenn daher leider


abgesehen von Mendelssohns oft aufgeführten Oratorien, auf Schumann hin¬
gewiesen. Die Gründe, welche dies Mal insbesondere dafür sprechen, dem
Meister diese Huldigung darzubringen, sind zu schmerzlich, um erörtert zu werden,
man folgte einem natürlichen und ehrenwerthen Gefühle, indem man sich durch
dieselben bestimmen ließ. Und dennoch kann man die Wahl dieses Oratoriums
für ein Musikfest nicht billigen. Die Musikstücke, welche dort zur Aufführung
kommen, müssen von der Art sein, daß sie durch die Massen und auf die Massen
wirken. Es ist nicht genug, daß sie eine allenfalls sehr verstärkte Besetzung
vertragen können, ihre ganze Anlage muß so beschaffen sein, daß die Ein¬
fachheit und Größe der Umrisse und der Ausführung durch eine massenhafte
Besetzung erst zur vollen Geltung kommt. Dem entsprechend müssen sie auch
auf die Zuhörer im Ganzen und Großen wirken. Ein so zahlreiches, aus den
verschiedenartigsten Elementen gemischtes Publicum will fest und sicher gepackt
sein; es ist nicht sähig, unausgesetzt uno mit Anstrengung aus ein im Einzel¬
nen seines und zartes Detail aufmerksam einzugehen und sich aus schönen
Einzelnheiten den Gesammteindruck selbst zu bilden, sondern es will ihn in
mächtiger Fülle sich entgegengebracht haben, davon überwältigt und hingerissen
werden. Durch die offene Erklärung, daß Schumanns Oratorium von dieser
Art nicht sei, ist keineswegs absoluter Tadel gegen dasselbe als Kunstwerk über¬
haupt ausgesprochen. Aber es leuchtet ein, daß dasselbe verhältnißmäßig we¬
nige Momente bietet, wo eine massenhafte Wirkung, namentlich durch den
Chor, möglich ist, wie das Auftreten des Eroberers, der Schiußchor des ersten
und pes letzten Theils. Uebrigens liegt es in der Natur des Stoffes und
des Colorits, welches der Dichter ihm gegeben hat, baß ver Charakter vorherr¬
schend weich, zart und phantastisch ist; dies sage auch Schumanns musikalischen
Charakter zu, und das Werk ist reich an wunderbaren Schönheiten dieser Art.
Die Krone derselben ist gewiß das Schlummerlied, welches den zweiten Theil
beschließt, und schwerlich Hai die neuere Musik etwas auszuweisen, das an
Tiefe der Empfindung, poetischer Auffassung und wahrhaft zauberischem Wohl¬
laut dieses Prachtstück überträfe. Durch den Gesang der Goldschmidt und den
vollen schönen Chor trat es ins glänzendste Licht und machte tiefen Eindruck.
Und zwar steht es keineswegs vereinzelt da, es sind eine Menge schöner Mo¬
mente durch das ganze Oratorium zerstreut, wenn sie gleich nicht alle gleich
abgerundet und plastisch ausgearbeitet sind. Allein sie wirken eben nur als
Einzelnheiten, jede für sich, ja vie Fülle derselben wird nachtheilig, weil eins
das andere verdrängt, ehe es in ver Seele des Zuhörers feste Wurzel geschla¬
gen hat. Wer das Werk kannte, wer mit Hingebung und Liebe dem Einzelnen
zu folgen im Stande war, hat bei dieser mit so reichen Mitteln ausgeführten
Darstellung einen erhöheten Genuß gehabt, allein das' Publicum in Masse
besteht nicht aus Musikern und Musikfreunden der Art. Wenn daher leider


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[0026] abgesehen von Mendelssohns oft aufgeführten Oratorien, auf Schumann hin¬ gewiesen. Die Gründe, welche dies Mal insbesondere dafür sprechen, dem Meister diese Huldigung darzubringen, sind zu schmerzlich, um erörtert zu werden, man folgte einem natürlichen und ehrenwerthen Gefühle, indem man sich durch dieselben bestimmen ließ. Und dennoch kann man die Wahl dieses Oratoriums für ein Musikfest nicht billigen. Die Musikstücke, welche dort zur Aufführung kommen, müssen von der Art sein, daß sie durch die Massen und auf die Massen wirken. Es ist nicht genug, daß sie eine allenfalls sehr verstärkte Besetzung vertragen können, ihre ganze Anlage muß so beschaffen sein, daß die Ein¬ fachheit und Größe der Umrisse und der Ausführung durch eine massenhafte Besetzung erst zur vollen Geltung kommt. Dem entsprechend müssen sie auch auf die Zuhörer im Ganzen und Großen wirken. Ein so zahlreiches, aus den verschiedenartigsten Elementen gemischtes Publicum will fest und sicher gepackt sein; es ist nicht sähig, unausgesetzt uno mit Anstrengung aus ein im Einzel¬ nen seines und zartes Detail aufmerksam einzugehen und sich aus schönen Einzelnheiten den Gesammteindruck selbst zu bilden, sondern es will ihn in mächtiger Fülle sich entgegengebracht haben, davon überwältigt und hingerissen werden. Durch die offene Erklärung, daß Schumanns Oratorium von dieser Art nicht sei, ist keineswegs absoluter Tadel gegen dasselbe als Kunstwerk über¬ haupt ausgesprochen. Aber es leuchtet ein, daß dasselbe verhältnißmäßig we¬ nige Momente bietet, wo eine massenhafte Wirkung, namentlich durch den Chor, möglich ist, wie das Auftreten des Eroberers, der Schiußchor des ersten und pes letzten Theils. Uebrigens liegt es in der Natur des Stoffes und des Colorits, welches der Dichter ihm gegeben hat, baß ver Charakter vorherr¬ schend weich, zart und phantastisch ist; dies sage auch Schumanns musikalischen Charakter zu, und das Werk ist reich an wunderbaren Schönheiten dieser Art. Die Krone derselben ist gewiß das Schlummerlied, welches den zweiten Theil beschließt, und schwerlich Hai die neuere Musik etwas auszuweisen, das an Tiefe der Empfindung, poetischer Auffassung und wahrhaft zauberischem Wohl¬ laut dieses Prachtstück überträfe. Durch den Gesang der Goldschmidt und den vollen schönen Chor trat es ins glänzendste Licht und machte tiefen Eindruck. Und zwar steht es keineswegs vereinzelt da, es sind eine Menge schöner Mo¬ mente durch das ganze Oratorium zerstreut, wenn sie gleich nicht alle gleich abgerundet und plastisch ausgearbeitet sind. Allein sie wirken eben nur als Einzelnheiten, jede für sich, ja vie Fülle derselben wird nachtheilig, weil eins das andere verdrängt, ehe es in ver Seele des Zuhörers feste Wurzel geschla¬ gen hat. Wer das Werk kannte, wer mit Hingebung und Liebe dem Einzelnen zu folgen im Stande war, hat bei dieser mit so reichen Mitteln ausgeführten Darstellung einen erhöheten Genuß gehabt, allein das' Publicum in Masse besteht nicht aus Musikern und Musikfreunden der Art. Wenn daher leider

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/26>, abgerufen am 22.07.2024.