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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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deten Griechen Mynas Mynoideö auf die literarischen Schätze des Athosklosters
aufmerksam geworden. Wer kennt nicht den Athos, an dem des Darius erste
Flotte scheiterte, den dann Xerres fruchtlos umgraben ließ, ohne daß seine Ti¬
tanenhände die Schutzgötter Griechenlands besiegen konnten? Allen, welche die
Levante oder Konstantinopel besucht haben, wird der wunderbare Berg noch in
der besten Erinnerung sein, das eine von den drei Vorgebirgen, durch welche
Makedonien in das griechische Meer hinaufspringt, trotzig seine Felsenmassen
der Meeresflut entgegenstemmend, das majestätische Haupt in das ewige Blau
des schönen griechischen Himmels erhebend. Es ist diese Höhe aber auch in¬
sofern eine Insel, als sie griechisches Wesen (nach Fallmerayer) am längsten
und treuesten aus der slawischen Sündflut emporgehalten hat. Und wenn diese
Reste der alten Helenen jetzt zur Buße für die fröhlichen Sünden des heidnischen
Griechenlands das Mönchsgewand angelegt haben, so haben sie doch noch so¬
viel altgriechisches Wesen bewahrt, daß sie mit Faust und Speer, später auch
mit Flinten und Kanonen, ihre Unabhängigkeit gegen die Osmanen stegreich
vertheidigt haben; sie geben zwar einen Tribut, sind aber sonst ganz selbst¬
herrlich geblieben. Ihr Hauptnahrungözweig besteht in einem angeblich vom
Evangelisten Lucas gemalten, durch Engel ihnen überbrachten Bildniß der hei¬
ligen Jungfrau, der Panagia, einem Palladium für die ganze orientalische
Kirche, zu dem fortwährend reichlich spendende Waller von allen Seiten strömen.
Für den Occident aber birgt dies Kloster oder vielmehr dieser Compler von
Klöstern in seiner Unberührtheit von türkischem Fanatismus einen weit kost¬
barern Schatz, eine Hanbschriftsammlung, welche die Mönche mit Argusaugen,
zwar nicht lesen, aber doch hüten. Doch französischer Einfluß drang durch,
Mynas Mono'ides wurde ins Allerheiligste nach dem gebührenden Kuß auf den
Nahmen der Panagia zugelassen. Hier fand er eine Reihe ihm unbekannter
griechischer Autoren, so insbesondere die Fabeln des kaum dem Namen nach
bekannt gewesenen Babrius, die soviel Aufsehen gemacht haben. Die in einem
eigenthümlichen semitischen Griechisch verfaßten ausgewählten Handschriften
wurden ihm käuflich überlassen. Auch jenes Manuscript Mpioi- coton
nahm Mynas mit, weil der Inhalt ihm völlig neu schien. Doch ist es in
Paris wiederum beinahe vergraben geblieben, da das Fragment mit chaldäischer
Astrologie beginnt, die keinen einlud, weiter zu lesen, bis ein deutscher Phi¬
lolog Immanuel Miller wirklich weiter las und eine ganze Reihe Fragmente
griechischer Dichter und Philosophen, des Pindar, des Heraklit, des Sertus
Empiricus u. s. s. fand, die uns großentheils neu waren, alsbald auch von
der deutschen Philologie in ihr Licht gesetzt worden sind. Als aber Miller bis
ZUM "9. Buche" vordrang, welche Merkwürdigkeiten fand er! Da wurde maßlos
auf einen Bischof in Rom, Callistus, aus dem dritten Jahrhundert, der doch
nach allem kein andrer als der Papst CallMuö sein konnte, losgezogen: cien-


deten Griechen Mynas Mynoideö auf die literarischen Schätze des Athosklosters
aufmerksam geworden. Wer kennt nicht den Athos, an dem des Darius erste
Flotte scheiterte, den dann Xerres fruchtlos umgraben ließ, ohne daß seine Ti¬
tanenhände die Schutzgötter Griechenlands besiegen konnten? Allen, welche die
Levante oder Konstantinopel besucht haben, wird der wunderbare Berg noch in
der besten Erinnerung sein, das eine von den drei Vorgebirgen, durch welche
Makedonien in das griechische Meer hinaufspringt, trotzig seine Felsenmassen
der Meeresflut entgegenstemmend, das majestätische Haupt in das ewige Blau
des schönen griechischen Himmels erhebend. Es ist diese Höhe aber auch in¬
sofern eine Insel, als sie griechisches Wesen (nach Fallmerayer) am längsten
und treuesten aus der slawischen Sündflut emporgehalten hat. Und wenn diese
Reste der alten Helenen jetzt zur Buße für die fröhlichen Sünden des heidnischen
Griechenlands das Mönchsgewand angelegt haben, so haben sie doch noch so¬
viel altgriechisches Wesen bewahrt, daß sie mit Faust und Speer, später auch
mit Flinten und Kanonen, ihre Unabhängigkeit gegen die Osmanen stegreich
vertheidigt haben; sie geben zwar einen Tribut, sind aber sonst ganz selbst¬
herrlich geblieben. Ihr Hauptnahrungözweig besteht in einem angeblich vom
Evangelisten Lucas gemalten, durch Engel ihnen überbrachten Bildniß der hei¬
ligen Jungfrau, der Panagia, einem Palladium für die ganze orientalische
Kirche, zu dem fortwährend reichlich spendende Waller von allen Seiten strömen.
Für den Occident aber birgt dies Kloster oder vielmehr dieser Compler von
Klöstern in seiner Unberührtheit von türkischem Fanatismus einen weit kost¬
barern Schatz, eine Hanbschriftsammlung, welche die Mönche mit Argusaugen,
zwar nicht lesen, aber doch hüten. Doch französischer Einfluß drang durch,
Mynas Mono'ides wurde ins Allerheiligste nach dem gebührenden Kuß auf den
Nahmen der Panagia zugelassen. Hier fand er eine Reihe ihm unbekannter
griechischer Autoren, so insbesondere die Fabeln des kaum dem Namen nach
bekannt gewesenen Babrius, die soviel Aufsehen gemacht haben. Die in einem
eigenthümlichen semitischen Griechisch verfaßten ausgewählten Handschriften
wurden ihm käuflich überlassen. Auch jenes Manuscript Mpioi- coton
nahm Mynas mit, weil der Inhalt ihm völlig neu schien. Doch ist es in
Paris wiederum beinahe vergraben geblieben, da das Fragment mit chaldäischer
Astrologie beginnt, die keinen einlud, weiter zu lesen, bis ein deutscher Phi¬
lolog Immanuel Miller wirklich weiter las und eine ganze Reihe Fragmente
griechischer Dichter und Philosophen, des Pindar, des Heraklit, des Sertus
Empiricus u. s. s. fand, die uns großentheils neu waren, alsbald auch von
der deutschen Philologie in ihr Licht gesetzt worden sind. Als aber Miller bis
ZUM „9. Buche" vordrang, welche Merkwürdigkeiten fand er! Da wurde maßlos
auf einen Bischof in Rom, Callistus, aus dem dritten Jahrhundert, der doch
nach allem kein andrer als der Papst CallMuö sein konnte, losgezogen: cien-


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[0255] deten Griechen Mynas Mynoideö auf die literarischen Schätze des Athosklosters aufmerksam geworden. Wer kennt nicht den Athos, an dem des Darius erste Flotte scheiterte, den dann Xerres fruchtlos umgraben ließ, ohne daß seine Ti¬ tanenhände die Schutzgötter Griechenlands besiegen konnten? Allen, welche die Levante oder Konstantinopel besucht haben, wird der wunderbare Berg noch in der besten Erinnerung sein, das eine von den drei Vorgebirgen, durch welche Makedonien in das griechische Meer hinaufspringt, trotzig seine Felsenmassen der Meeresflut entgegenstemmend, das majestätische Haupt in das ewige Blau des schönen griechischen Himmels erhebend. Es ist diese Höhe aber auch in¬ sofern eine Insel, als sie griechisches Wesen (nach Fallmerayer) am längsten und treuesten aus der slawischen Sündflut emporgehalten hat. Und wenn diese Reste der alten Helenen jetzt zur Buße für die fröhlichen Sünden des heidnischen Griechenlands das Mönchsgewand angelegt haben, so haben sie doch noch so¬ viel altgriechisches Wesen bewahrt, daß sie mit Faust und Speer, später auch mit Flinten und Kanonen, ihre Unabhängigkeit gegen die Osmanen stegreich vertheidigt haben; sie geben zwar einen Tribut, sind aber sonst ganz selbst¬ herrlich geblieben. Ihr Hauptnahrungözweig besteht in einem angeblich vom Evangelisten Lucas gemalten, durch Engel ihnen überbrachten Bildniß der hei¬ ligen Jungfrau, der Panagia, einem Palladium für die ganze orientalische Kirche, zu dem fortwährend reichlich spendende Waller von allen Seiten strömen. Für den Occident aber birgt dies Kloster oder vielmehr dieser Compler von Klöstern in seiner Unberührtheit von türkischem Fanatismus einen weit kost¬ barern Schatz, eine Hanbschriftsammlung, welche die Mönche mit Argusaugen, zwar nicht lesen, aber doch hüten. Doch französischer Einfluß drang durch, Mynas Mono'ides wurde ins Allerheiligste nach dem gebührenden Kuß auf den Nahmen der Panagia zugelassen. Hier fand er eine Reihe ihm unbekannter griechischer Autoren, so insbesondere die Fabeln des kaum dem Namen nach bekannt gewesenen Babrius, die soviel Aufsehen gemacht haben. Die in einem eigenthümlichen semitischen Griechisch verfaßten ausgewählten Handschriften wurden ihm käuflich überlassen. Auch jenes Manuscript Mpioi- coton nahm Mynas mit, weil der Inhalt ihm völlig neu schien. Doch ist es in Paris wiederum beinahe vergraben geblieben, da das Fragment mit chaldäischer Astrologie beginnt, die keinen einlud, weiter zu lesen, bis ein deutscher Phi¬ lolog Immanuel Miller wirklich weiter las und eine ganze Reihe Fragmente griechischer Dichter und Philosophen, des Pindar, des Heraklit, des Sertus Empiricus u. s. s. fand, die uns großentheils neu waren, alsbald auch von der deutschen Philologie in ihr Licht gesetzt worden sind. Als aber Miller bis ZUM „9. Buche" vordrang, welche Merkwürdigkeiten fand er! Da wurde maßlos auf einen Bischof in Rom, Callistus, aus dem dritten Jahrhundert, der doch nach allem kein andrer als der Papst CallMuö sein konnte, losgezogen: cien-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/255>, abgerufen am 22.07.2024.