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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Worten: die Operationslinie einer Angriffsarmee ist zugleich ihre eventuelle
RückzugSstraße. Es leuchtet ein, daß um dieser Umstände willen im Angriffs¬
kriege für einen Feldherrn nichts einen so hohen Werth hat, wie die Sicherung
seiner rückwärtigen Operationslinie. Gelänge es dem Gegner, sie zu durch¬
schneiden und aus ihr festen Fuß zu sassen, so würden dadurch alle jene oben
genannten Functionen ins Stocken gebracht werden; die Armee erhielte keine
weiteren Zufuhren an Proviant und Munition, keine Verstärkungen, vermöchte
nicht ihre Verwundeten und Kranken zurückzusenden und würde selbst außer
Stande sein, sich in Nachrichtverbindung mit der Basis, von der sie ausge¬
gangen wäre, zu erhalten. Käme eine Niederlage in der Fronte dazu, so möchte
die Lage gradezu verzweifelt werden und eine große Katastrophe in den meisten
Fällen unvermeidlich sein.

Alle Verhältnisse, welche dem Feinde eine Durchschneidung der rückwärti¬
gen Operationslinie zu ermöglichen im Stande sind, oder ihm bei diesem Un¬
ternehmen Vorschub leisten können, verdienen also an und für sich die vollste
Berücksichtigung der Angriffskriegleitung. Hierhin gehören alle Hindernisse, als
da sind große Sumpf- oder Strom- oder Gebirgslinien; weil alles, was im
Allgemeinen den Vormarsch erschwert, auch dem Bestreben förderlich sein wird,
seine Verbindungen zu unterbrechen. Mehr noch wie die Hindernißlinien ge¬
hören aber die Festungen in diese Kategorie, und zwar ganz besonders dann,
wenn sie mit den die Operationslinie durchschneidenden Hindernissen in Verbindung
treten. Denkt man sich eine in der Nähe der rückwärtigen Marschstraße eines
Angriffsheeres gelegene Festung unberücksichtigt gelassen d. h. nicht belagert,
nicht eingeschlossen, selbst nicht beobachtet, so ist zunächst klar, daß die Be¬
satzung derselben je nach Umständen die Opemtionslinie dann und wann be¬
unruhigen, Transporte wegnehmen, Couriere auffangen und in dieser Weise
großen Schaden bringen könnte. Derselbe würde sich vermehren, wenn der
Gegner ein Corps in den Rücken des Angriffs sendete, indem dasselbe in
der Festung ein festes Pivot für seine Operationen finden, mithin viel dreister,
als unter anderen Umständen denkbar wäre, auftreten würde. Ja das Vor¬
handensein der Festung könnte die Hauptmasse der feindlichen Armee bestimmen,
sich in den Rücken des Angriffs zu manövriren, wonach eine allgemeine Front¬
wendung, jedenfalls aber der Krieg in ungünstigere räumliche Verhältnisse für
den Angriff eintreten würde.

Bei der Frage, ob eine Festung belagert, eingeschlossen oder beobachtet
werden muß, ist es also entscheidend, ob dieselbe in der Nähe der Operations¬
linie, entweder aus dieser selbst oder in der Flanke des Vormarsches gelegen ist.
Liegt sie an einem Strome, an einer Sumpf- oder Gebirgslinie, so steigert sich
damit die Bedrohung, welche von ihr ausgeht. Wenn sie in einer entlegenen
Gegend des Kriegstheaters liegt und von welcher aus sie nicht auf die


Worten: die Operationslinie einer Angriffsarmee ist zugleich ihre eventuelle
RückzugSstraße. Es leuchtet ein, daß um dieser Umstände willen im Angriffs¬
kriege für einen Feldherrn nichts einen so hohen Werth hat, wie die Sicherung
seiner rückwärtigen Operationslinie. Gelänge es dem Gegner, sie zu durch¬
schneiden und aus ihr festen Fuß zu sassen, so würden dadurch alle jene oben
genannten Functionen ins Stocken gebracht werden; die Armee erhielte keine
weiteren Zufuhren an Proviant und Munition, keine Verstärkungen, vermöchte
nicht ihre Verwundeten und Kranken zurückzusenden und würde selbst außer
Stande sein, sich in Nachrichtverbindung mit der Basis, von der sie ausge¬
gangen wäre, zu erhalten. Käme eine Niederlage in der Fronte dazu, so möchte
die Lage gradezu verzweifelt werden und eine große Katastrophe in den meisten
Fällen unvermeidlich sein.

Alle Verhältnisse, welche dem Feinde eine Durchschneidung der rückwärti¬
gen Operationslinie zu ermöglichen im Stande sind, oder ihm bei diesem Un¬
ternehmen Vorschub leisten können, verdienen also an und für sich die vollste
Berücksichtigung der Angriffskriegleitung. Hierhin gehören alle Hindernisse, als
da sind große Sumpf- oder Strom- oder Gebirgslinien; weil alles, was im
Allgemeinen den Vormarsch erschwert, auch dem Bestreben förderlich sein wird,
seine Verbindungen zu unterbrechen. Mehr noch wie die Hindernißlinien ge¬
hören aber die Festungen in diese Kategorie, und zwar ganz besonders dann,
wenn sie mit den die Operationslinie durchschneidenden Hindernissen in Verbindung
treten. Denkt man sich eine in der Nähe der rückwärtigen Marschstraße eines
Angriffsheeres gelegene Festung unberücksichtigt gelassen d. h. nicht belagert,
nicht eingeschlossen, selbst nicht beobachtet, so ist zunächst klar, daß die Be¬
satzung derselben je nach Umständen die Opemtionslinie dann und wann be¬
unruhigen, Transporte wegnehmen, Couriere auffangen und in dieser Weise
großen Schaden bringen könnte. Derselbe würde sich vermehren, wenn der
Gegner ein Corps in den Rücken des Angriffs sendete, indem dasselbe in
der Festung ein festes Pivot für seine Operationen finden, mithin viel dreister,
als unter anderen Umständen denkbar wäre, auftreten würde. Ja das Vor¬
handensein der Festung könnte die Hauptmasse der feindlichen Armee bestimmen,
sich in den Rücken des Angriffs zu manövriren, wonach eine allgemeine Front¬
wendung, jedenfalls aber der Krieg in ungünstigere räumliche Verhältnisse für
den Angriff eintreten würde.

Bei der Frage, ob eine Festung belagert, eingeschlossen oder beobachtet
werden muß, ist es also entscheidend, ob dieselbe in der Nähe der Operations¬
linie, entweder aus dieser selbst oder in der Flanke des Vormarsches gelegen ist.
Liegt sie an einem Strome, an einer Sumpf- oder Gebirgslinie, so steigert sich
damit die Bedrohung, welche von ihr ausgeht. Wenn sie in einer entlegenen
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[0224] Worten: die Operationslinie einer Angriffsarmee ist zugleich ihre eventuelle RückzugSstraße. Es leuchtet ein, daß um dieser Umstände willen im Angriffs¬ kriege für einen Feldherrn nichts einen so hohen Werth hat, wie die Sicherung seiner rückwärtigen Operationslinie. Gelänge es dem Gegner, sie zu durch¬ schneiden und aus ihr festen Fuß zu sassen, so würden dadurch alle jene oben genannten Functionen ins Stocken gebracht werden; die Armee erhielte keine weiteren Zufuhren an Proviant und Munition, keine Verstärkungen, vermöchte nicht ihre Verwundeten und Kranken zurückzusenden und würde selbst außer Stande sein, sich in Nachrichtverbindung mit der Basis, von der sie ausge¬ gangen wäre, zu erhalten. Käme eine Niederlage in der Fronte dazu, so möchte die Lage gradezu verzweifelt werden und eine große Katastrophe in den meisten Fällen unvermeidlich sein. Alle Verhältnisse, welche dem Feinde eine Durchschneidung der rückwärti¬ gen Operationslinie zu ermöglichen im Stande sind, oder ihm bei diesem Un¬ ternehmen Vorschub leisten können, verdienen also an und für sich die vollste Berücksichtigung der Angriffskriegleitung. Hierhin gehören alle Hindernisse, als da sind große Sumpf- oder Strom- oder Gebirgslinien; weil alles, was im Allgemeinen den Vormarsch erschwert, auch dem Bestreben förderlich sein wird, seine Verbindungen zu unterbrechen. Mehr noch wie die Hindernißlinien ge¬ hören aber die Festungen in diese Kategorie, und zwar ganz besonders dann, wenn sie mit den die Operationslinie durchschneidenden Hindernissen in Verbindung treten. Denkt man sich eine in der Nähe der rückwärtigen Marschstraße eines Angriffsheeres gelegene Festung unberücksichtigt gelassen d. h. nicht belagert, nicht eingeschlossen, selbst nicht beobachtet, so ist zunächst klar, daß die Be¬ satzung derselben je nach Umständen die Opemtionslinie dann und wann be¬ unruhigen, Transporte wegnehmen, Couriere auffangen und in dieser Weise großen Schaden bringen könnte. Derselbe würde sich vermehren, wenn der Gegner ein Corps in den Rücken des Angriffs sendete, indem dasselbe in der Festung ein festes Pivot für seine Operationen finden, mithin viel dreister, als unter anderen Umständen denkbar wäre, auftreten würde. Ja das Vor¬ handensein der Festung könnte die Hauptmasse der feindlichen Armee bestimmen, sich in den Rücken des Angriffs zu manövriren, wonach eine allgemeine Front¬ wendung, jedenfalls aber der Krieg in ungünstigere räumliche Verhältnisse für den Angriff eintreten würde. Bei der Frage, ob eine Festung belagert, eingeschlossen oder beobachtet werden muß, ist es also entscheidend, ob dieselbe in der Nähe der Operations¬ linie, entweder aus dieser selbst oder in der Flanke des Vormarsches gelegen ist. Liegt sie an einem Strome, an einer Sumpf- oder Gebirgslinie, so steigert sich damit die Bedrohung, welche von ihr ausgeht. Wenn sie in einer entlegenen Gegend des Kriegstheaters liegt und von welcher aus sie nicht auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/224>, abgerufen am 22.07.2024.