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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Theiles der ganzen Armee bedürfen, mithin eine Massentheilung nothwendig
werden wird, die man heure ebensosehr wie vor hundert Jahren zu vermeiden
Gründe hat.

Mit dem allen sind die eigentlichen strategischen Beziehungen zwischen der
feindlichen Festung und der Angriffsarmee, aus welchen sich die Nothwendig¬
keit erstere zu beobachten, zu cerniren oder zu belagern ergibt, noch nicht be¬
rührt worden. Es entsteht nämlich zunächst die Frage: worin denn im Grunde
genommen das Zwingende oder die Anziehungskraft besteht, welche die letztere
aus die Offenstvoperationen ausübt, und vermöge welcher ein Theil oder die
ganze Masse der Angriffsstreitkrüste in den Kreis ihrer Schlagweite hineinge¬
bannt werden. Ich vermag dieses Verhältniß dem Leser nicht klar zu machen,
ohne auf die Hauptlineamente des großen Krieges mindestens ein Streiflicht
fallen zu lassen.

Krieg ist im Allgemeinen eine Action im Raume; dieser Raum, welcher
gewöhnlich ganze Provinzen und Länder umfaßt, heißt das Kriegstheater.
Eine vormarschirende Armee will durch den Angriff allerdings zunächst des
Feindes Streitmittel vernichten -- aber in letzter Instanz wird es doch immer
dieses Kriegstheater sein, welches sie mittelst des Sieges in Besitz nehmen will.
Diese Besitznahme kann nun nicht auf die Weise geschehen, daß die Offensive
>n der ausgedehntesten Fronte, beide Flügel an die Grenzen des fraglichen
Raumes anlehnend, vorgeht, bis sie das ganze Theater überzogen hat; an und
für sich würde keine Armee zur Formirung einer solchen Fronte ausreichen,
und dann würde dieses Arrangement den Nachtheil haben, daß die Vertheidi¬
gung irgendwo mit gesammelter Macht gegen die dünne Angriffslinie anrennen
und sie durchbrechen könnte. Im Gegentheil bewegen sich die Angriffskräfte
meistens auf einer oder mehren nebeneinander parallellaufenden und nicht zu
weit voneinander entlegenen Straßen. Letztere sind das, was man in der Kunst¬
sprache des Krieges die Operationslinie nennt. In Anbetracht, daß die Heeres-
wassen auf diesen Straßen meistens dicht beisammen gehalten werden, um,
wenn die Vertheidigung eine Schlacht bietet, schnell concentrirt werden zu
können, könnte man annehmen, daß im Kriege nur der von der marschirenden
Armee jeweilig occupirte und zwischen ihr und ven Gegner gelegene enge Raum
von Interesse sei, daß aber die bereits durchmessenen Strecken durchaus nicht
in Betracht kämen. Es wäre dies ein großer Irrthum; denn die bereits durch-
wesftne Operationslinie ist es eben, auf welcher alle jene Functionen sich
vollziehen, vermöge welcher die Existenz der Armee gesichert wird; auf diesen
Strecken geht die Nachfuhr alles Bedarfs an Lebens- wie an Kriegsmitteln
vor sich; desgleichen die Nachführung der Verstärkungen, und außerdem sind sie
der natürliche Weg, den man in, entgegengesetzter Richtung einzuschlagen hat,
wenn man im Felde eine entscheidende Niederlage erleiden sollte. Mit andern


Theiles der ganzen Armee bedürfen, mithin eine Massentheilung nothwendig
werden wird, die man heure ebensosehr wie vor hundert Jahren zu vermeiden
Gründe hat.

Mit dem allen sind die eigentlichen strategischen Beziehungen zwischen der
feindlichen Festung und der Angriffsarmee, aus welchen sich die Nothwendig¬
keit erstere zu beobachten, zu cerniren oder zu belagern ergibt, noch nicht be¬
rührt worden. Es entsteht nämlich zunächst die Frage: worin denn im Grunde
genommen das Zwingende oder die Anziehungskraft besteht, welche die letztere
aus die Offenstvoperationen ausübt, und vermöge welcher ein Theil oder die
ganze Masse der Angriffsstreitkrüste in den Kreis ihrer Schlagweite hineinge¬
bannt werden. Ich vermag dieses Verhältniß dem Leser nicht klar zu machen,
ohne auf die Hauptlineamente des großen Krieges mindestens ein Streiflicht
fallen zu lassen.

Krieg ist im Allgemeinen eine Action im Raume; dieser Raum, welcher
gewöhnlich ganze Provinzen und Länder umfaßt, heißt das Kriegstheater.
Eine vormarschirende Armee will durch den Angriff allerdings zunächst des
Feindes Streitmittel vernichten — aber in letzter Instanz wird es doch immer
dieses Kriegstheater sein, welches sie mittelst des Sieges in Besitz nehmen will.
Diese Besitznahme kann nun nicht auf die Weise geschehen, daß die Offensive
>n der ausgedehntesten Fronte, beide Flügel an die Grenzen des fraglichen
Raumes anlehnend, vorgeht, bis sie das ganze Theater überzogen hat; an und
für sich würde keine Armee zur Formirung einer solchen Fronte ausreichen,
und dann würde dieses Arrangement den Nachtheil haben, daß die Vertheidi¬
gung irgendwo mit gesammelter Macht gegen die dünne Angriffslinie anrennen
und sie durchbrechen könnte. Im Gegentheil bewegen sich die Angriffskräfte
meistens auf einer oder mehren nebeneinander parallellaufenden und nicht zu
weit voneinander entlegenen Straßen. Letztere sind das, was man in der Kunst¬
sprache des Krieges die Operationslinie nennt. In Anbetracht, daß die Heeres-
wassen auf diesen Straßen meistens dicht beisammen gehalten werden, um,
wenn die Vertheidigung eine Schlacht bietet, schnell concentrirt werden zu
können, könnte man annehmen, daß im Kriege nur der von der marschirenden
Armee jeweilig occupirte und zwischen ihr und ven Gegner gelegene enge Raum
von Interesse sei, daß aber die bereits durchmessenen Strecken durchaus nicht
in Betracht kämen. Es wäre dies ein großer Irrthum; denn die bereits durch-
wesftne Operationslinie ist es eben, auf welcher alle jene Functionen sich
vollziehen, vermöge welcher die Existenz der Armee gesichert wird; auf diesen
Strecken geht die Nachfuhr alles Bedarfs an Lebens- wie an Kriegsmitteln
vor sich; desgleichen die Nachführung der Verstärkungen, und außerdem sind sie
der natürliche Weg, den man in, entgegengesetzter Richtung einzuschlagen hat,
wenn man im Felde eine entscheidende Niederlage erleiden sollte. Mit andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/223>, abgerufen am 22.07.2024.