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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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lieb sei, fortzugehen, sobald man sich nicht verbindlich gemacht zu bleiben. Vor¬
läufig konnte jedoch von einer Flucht noch nicht die Rede sein, denn bei dem
Ausmarsch nach Weimar, wo keine Escorte mitgegeben werden konnte, mußte
der alte General Treskow im Namen der übrigen sein Ehrenwort geben, daß
niemand entfliehen würde, und so blieb es, bis der Transport in Erfurt an¬
kam. Hier aber bekamen die Gefangenen wieder Escorte, und nun fing Lede¬
bur ernstlich an an seine Flucht zu denken; um ja keine günstige Gelegenheit
.M versäumen, schlug er trotz großer Ermüdung sogar das Anerbieten aus, auf
dem mitgenommenen Wagen zu fahren, als die Reihe dazu an ihn kam. Ein
Kamerad, H. von Puttkammer, dem er sich anvertraute, wollte mit ihm fliehen.
In dem Gasthaus in Gotha, wo sämmtliche Offiziere einquartirt wurden,
schien sich eine günstige Gelegenheit darzubieten. Ledebur spürte im Hause
herum um die Localität kennen zu lernen, und fragte ein Hausmädchen nach
einem unbewachten Ausgang. Er erhielt hier aber keine befriedigende Aus¬
kunft ; dafür trat eine Dame -- wie er später erfuhr eine Schauspielerinn --
aus einem benachbarten Zimmer. Sie hatte das Gespräch mit angehört, und
erbot sich, ihm behilflich zu sein, wenn er nur nach Dunkelwerden auf ihr
Zimmer kommen wollte. Ledebur.eilte nun zuerst auf den Boden, zog, um weder
von einem Pack beschwert zu sein noch Nothwendiges zurückzulassen, alle seine
Hemden übereinander an, legte die Schnupftücher unter dem sollet auf die Brust,
die Schuhe hinten auf die Schultern und nahm darüber den weiten Mantel.
Dann besprach er sich mit Puttkammer, der die Anfertigung von französischen
Pässen, deren Form ihm genau bekannt war, auf sich nahm, und vorschlug,
die Flucht zunächst nach dem nahen Mechterstedt zu richten, wo er in dem
Prediger einen trefflichen Mann 'kennen gelernt hatte. Unterdessen aber hatten
sich die Kameraden wegen des viel zu beschränkten Raumes des Quartiers
beschwerend an den Commandanten gewandt, und dieser hatte entschieden, daß
die gefangenen Offiziere in mehre Gasthäuser kommen sollten, wenn sie ihr
Ehrenwort geben würden, da die Wachen sonst nicht zulangten. Die Depu¬
tation war gern darauf eingegangen, und nun begann ein fast allgemeines
Ausziehen. Puttkammer und Ledebur blieben jedoch unter dem Vorwande
der Müdigkeit zurück, obgleich alle ihre nähern Bekannten, mit denen sie auf
der Reise gemeinschaftlich^wirthschafteten, das Haus verließen. Bald kehrte aber
einer zurück mit der Meldung, daß auch Ledebur bereits auswärts untergebracht
sei. Einmal ließ er sich abweisen, aber er kam noch einmal, und erklärte, die
Kameraden würden Ledebur mit Gewalt holen, wenn er nicht anginge. So
mußte er sich denn fügen, und sich auch noch das Auslachen der übrigen
gefallen lassen, als er in dem neuen Quartier beim Zubettgehen seinen Hemden¬
panzer abschnallte. Es stellte sich bei dieser Gelegenheit heraus, daß unter
den Kameraden eine förmliche Verschwörung gegen die Fluchtpläne Ledeburs


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lieb sei, fortzugehen, sobald man sich nicht verbindlich gemacht zu bleiben. Vor¬
läufig konnte jedoch von einer Flucht noch nicht die Rede sein, denn bei dem
Ausmarsch nach Weimar, wo keine Escorte mitgegeben werden konnte, mußte
der alte General Treskow im Namen der übrigen sein Ehrenwort geben, daß
niemand entfliehen würde, und so blieb es, bis der Transport in Erfurt an¬
kam. Hier aber bekamen die Gefangenen wieder Escorte, und nun fing Lede¬
bur ernstlich an an seine Flucht zu denken; um ja keine günstige Gelegenheit
.M versäumen, schlug er trotz großer Ermüdung sogar das Anerbieten aus, auf
dem mitgenommenen Wagen zu fahren, als die Reihe dazu an ihn kam. Ein
Kamerad, H. von Puttkammer, dem er sich anvertraute, wollte mit ihm fliehen.
In dem Gasthaus in Gotha, wo sämmtliche Offiziere einquartirt wurden,
schien sich eine günstige Gelegenheit darzubieten. Ledebur spürte im Hause
herum um die Localität kennen zu lernen, und fragte ein Hausmädchen nach
einem unbewachten Ausgang. Er erhielt hier aber keine befriedigende Aus¬
kunft ; dafür trat eine Dame — wie er später erfuhr eine Schauspielerinn —
aus einem benachbarten Zimmer. Sie hatte das Gespräch mit angehört, und
erbot sich, ihm behilflich zu sein, wenn er nur nach Dunkelwerden auf ihr
Zimmer kommen wollte. Ledebur.eilte nun zuerst auf den Boden, zog, um weder
von einem Pack beschwert zu sein noch Nothwendiges zurückzulassen, alle seine
Hemden übereinander an, legte die Schnupftücher unter dem sollet auf die Brust,
die Schuhe hinten auf die Schultern und nahm darüber den weiten Mantel.
Dann besprach er sich mit Puttkammer, der die Anfertigung von französischen
Pässen, deren Form ihm genau bekannt war, auf sich nahm, und vorschlug,
die Flucht zunächst nach dem nahen Mechterstedt zu richten, wo er in dem
Prediger einen trefflichen Mann 'kennen gelernt hatte. Unterdessen aber hatten
sich die Kameraden wegen des viel zu beschränkten Raumes des Quartiers
beschwerend an den Commandanten gewandt, und dieser hatte entschieden, daß
die gefangenen Offiziere in mehre Gasthäuser kommen sollten, wenn sie ihr
Ehrenwort geben würden, da die Wachen sonst nicht zulangten. Die Depu¬
tation war gern darauf eingegangen, und nun begann ein fast allgemeines
Ausziehen. Puttkammer und Ledebur blieben jedoch unter dem Vorwande
der Müdigkeit zurück, obgleich alle ihre nähern Bekannten, mit denen sie auf
der Reise gemeinschaftlich^wirthschafteten, das Haus verließen. Bald kehrte aber
einer zurück mit der Meldung, daß auch Ledebur bereits auswärts untergebracht
sei. Einmal ließ er sich abweisen, aber er kam noch einmal, und erklärte, die
Kameraden würden Ledebur mit Gewalt holen, wenn er nicht anginge. So
mußte er sich denn fügen, und sich auch noch das Auslachen der übrigen
gefallen lassen, als er in dem neuen Quartier beim Zubettgehen seinen Hemden¬
panzer abschnallte. Es stellte sich bei dieser Gelegenheit heraus, daß unter
den Kameraden eine förmliche Verschwörung gegen die Fluchtpläne Ledeburs


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[0187] lieb sei, fortzugehen, sobald man sich nicht verbindlich gemacht zu bleiben. Vor¬ läufig konnte jedoch von einer Flucht noch nicht die Rede sein, denn bei dem Ausmarsch nach Weimar, wo keine Escorte mitgegeben werden konnte, mußte der alte General Treskow im Namen der übrigen sein Ehrenwort geben, daß niemand entfliehen würde, und so blieb es, bis der Transport in Erfurt an¬ kam. Hier aber bekamen die Gefangenen wieder Escorte, und nun fing Lede¬ bur ernstlich an an seine Flucht zu denken; um ja keine günstige Gelegenheit .M versäumen, schlug er trotz großer Ermüdung sogar das Anerbieten aus, auf dem mitgenommenen Wagen zu fahren, als die Reihe dazu an ihn kam. Ein Kamerad, H. von Puttkammer, dem er sich anvertraute, wollte mit ihm fliehen. In dem Gasthaus in Gotha, wo sämmtliche Offiziere einquartirt wurden, schien sich eine günstige Gelegenheit darzubieten. Ledebur spürte im Hause herum um die Localität kennen zu lernen, und fragte ein Hausmädchen nach einem unbewachten Ausgang. Er erhielt hier aber keine befriedigende Aus¬ kunft ; dafür trat eine Dame — wie er später erfuhr eine Schauspielerinn — aus einem benachbarten Zimmer. Sie hatte das Gespräch mit angehört, und erbot sich, ihm behilflich zu sein, wenn er nur nach Dunkelwerden auf ihr Zimmer kommen wollte. Ledebur.eilte nun zuerst auf den Boden, zog, um weder von einem Pack beschwert zu sein noch Nothwendiges zurückzulassen, alle seine Hemden übereinander an, legte die Schnupftücher unter dem sollet auf die Brust, die Schuhe hinten auf die Schultern und nahm darüber den weiten Mantel. Dann besprach er sich mit Puttkammer, der die Anfertigung von französischen Pässen, deren Form ihm genau bekannt war, auf sich nahm, und vorschlug, die Flucht zunächst nach dem nahen Mechterstedt zu richten, wo er in dem Prediger einen trefflichen Mann 'kennen gelernt hatte. Unterdessen aber hatten sich die Kameraden wegen des viel zu beschränkten Raumes des Quartiers beschwerend an den Commandanten gewandt, und dieser hatte entschieden, daß die gefangenen Offiziere in mehre Gasthäuser kommen sollten, wenn sie ihr Ehrenwort geben würden, da die Wachen sonst nicht zulangten. Die Depu¬ tation war gern darauf eingegangen, und nun begann ein fast allgemeines Ausziehen. Puttkammer und Ledebur blieben jedoch unter dem Vorwande der Müdigkeit zurück, obgleich alle ihre nähern Bekannten, mit denen sie auf der Reise gemeinschaftlich^wirthschafteten, das Haus verließen. Bald kehrte aber einer zurück mit der Meldung, daß auch Ledebur bereits auswärts untergebracht sei. Einmal ließ er sich abweisen, aber er kam noch einmal, und erklärte, die Kameraden würden Ledebur mit Gewalt holen, wenn er nicht anginge. So mußte er sich denn fügen, und sich auch noch das Auslachen der übrigen gefallen lassen, als er in dem neuen Quartier beim Zubettgehen seinen Hemden¬ panzer abschnallte. Es stellte sich bei dieser Gelegenheit heraus, daß unter den Kameraden eine förmliche Verschwörung gegen die Fluchtpläne Ledeburs 23 '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/187>, abgerufen am 27.06.2024.