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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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er sich hier in ein größeres Feld gewagt hat. Der Vorwurf seines Gemäldes
ist folgender. , Eine östreichische Judenfamilie benutzt das Edict des Kaisers
Franz Joseph, welches allen Unterthanen die Erwerbung von Grundstücken
freistellt, um sich auf dem Lande anzusiedeln. Sie hat zuerst theils mit den
Vorurtheilen der Landleute zu kämpfen, theils mit der eingebornen Abneigung
ihres eignen Standes, sich auf eine folgerichtige, zusammenhängende und an¬
strengende Thätigkeit einzulassen; allein es gelingt ihr zuletzt, diese Uebelstände
glücklich zu überwinden. Wir sind mit der Tendenz des Werks vollkommen
einverstanden. Der Romandichter wird nur dann uns wirkliches Leben dar¬
stellen können, wenn er von bestimmten Zuständen ausgeht, die er genau
kennt und für die er warme Theilnahme hegt. Durch seine Ghettogeschichten
hat uns Kompert ein neues Gebiet der Poesie aufgeschlossen, für welches wir
ihm auch dann dankbar sein wollen, wenn uns in diesem Gebiete nicht recht
wohl zu Muthe wird; allein seine künstlerische Methode ist dazu geeignet, diese
Befriedigung sehr stark zu verkümmern. Er geht, wie die meisten Dichter
unsrer Zeit, nicht darauf aus, normale, sondern excentrische Persönlichkeiten
darzustellen. Seit Tieck und Hoffmann sind wir freilich daran schon gewöhnt,
aber es ist doch immer ein Abweg der Poesie und das zeigt sich namentlich
in einem größern Kunstwerke. Die wahre Kunst des Dichters besteht darin,
den Leser mit dem lebendigen Gefühl der innern Nothwendigkeit zu durchdringen:
wo uns Räthsel aufgegeben werden, über die wir je nach Laune oder Stim¬
mung entscheiden mögen, hört die Gewalt der Dichtung über uns auf.
Wenigstens muß uns der Dichter längere Zeit vorbereiten; er muß uns zuerst
in bekannte Zustände einführen und das Jrrationelle und Wunderliche allmälig
daraus entwickeln. Kompert dagegen fällt mit der Thür ins Haus; er stellt
uns gleich zu Anfang soviel Wunderlichkeiten dar, daß wir uns in seiner Welt
nicht zu Hause fühlen und daß wir uns ihr gegenüber kritisch verhalten und
da werden wir denn freilich bald gewahr, daß so manches unhaltbar und un¬
berechtigt ist. Das Judenthum bildet eine Welt im Kleinen und da wir in
dem gewöhnlichen Handelsverkehr fast ausschließlich Gelegenheit haben, die
schlechten Seiten desselben wahrzunehmen, so verdient es allen Dank, wenn ein
. Mann mit Sachkenntniß und Interesse uns auch das Positive desselben eröffnet;
nur muß das in der ruhigen epischen Methode geschehen, nicht durch lyrische
Erclamationen, denn diesen schenken wir keinen Glauben. -- Das Vorbild
des Dichters sind offenbar Auerbachs Dorfgeschichten gewesen, ein Werk, wel¬
ches trotz seines glänzenden Erfolgs wol am wenigsten zur Nachahmung zu
empfehlen sein würde, da die Art und Weise seiner Darstellung zu sehr mit
der bestimmten Individualität des Verfassers verwebt ist und sich zu direct auf
eine bestimmte Geschmacksrichtung, wenn auch oppositionell, bezieht, um mit
Glück auf ein andres Gebiet angewendet werden zu können. --


Grenzboten. III. t8t>6. 22

er sich hier in ein größeres Feld gewagt hat. Der Vorwurf seines Gemäldes
ist folgender. , Eine östreichische Judenfamilie benutzt das Edict des Kaisers
Franz Joseph, welches allen Unterthanen die Erwerbung von Grundstücken
freistellt, um sich auf dem Lande anzusiedeln. Sie hat zuerst theils mit den
Vorurtheilen der Landleute zu kämpfen, theils mit der eingebornen Abneigung
ihres eignen Standes, sich auf eine folgerichtige, zusammenhängende und an¬
strengende Thätigkeit einzulassen; allein es gelingt ihr zuletzt, diese Uebelstände
glücklich zu überwinden. Wir sind mit der Tendenz des Werks vollkommen
einverstanden. Der Romandichter wird nur dann uns wirkliches Leben dar¬
stellen können, wenn er von bestimmten Zuständen ausgeht, die er genau
kennt und für die er warme Theilnahme hegt. Durch seine Ghettogeschichten
hat uns Kompert ein neues Gebiet der Poesie aufgeschlossen, für welches wir
ihm auch dann dankbar sein wollen, wenn uns in diesem Gebiete nicht recht
wohl zu Muthe wird; allein seine künstlerische Methode ist dazu geeignet, diese
Befriedigung sehr stark zu verkümmern. Er geht, wie die meisten Dichter
unsrer Zeit, nicht darauf aus, normale, sondern excentrische Persönlichkeiten
darzustellen. Seit Tieck und Hoffmann sind wir freilich daran schon gewöhnt,
aber es ist doch immer ein Abweg der Poesie und das zeigt sich namentlich
in einem größern Kunstwerke. Die wahre Kunst des Dichters besteht darin,
den Leser mit dem lebendigen Gefühl der innern Nothwendigkeit zu durchdringen:
wo uns Räthsel aufgegeben werden, über die wir je nach Laune oder Stim¬
mung entscheiden mögen, hört die Gewalt der Dichtung über uns auf.
Wenigstens muß uns der Dichter längere Zeit vorbereiten; er muß uns zuerst
in bekannte Zustände einführen und das Jrrationelle und Wunderliche allmälig
daraus entwickeln. Kompert dagegen fällt mit der Thür ins Haus; er stellt
uns gleich zu Anfang soviel Wunderlichkeiten dar, daß wir uns in seiner Welt
nicht zu Hause fühlen und daß wir uns ihr gegenüber kritisch verhalten und
da werden wir denn freilich bald gewahr, daß so manches unhaltbar und un¬
berechtigt ist. Das Judenthum bildet eine Welt im Kleinen und da wir in
dem gewöhnlichen Handelsverkehr fast ausschließlich Gelegenheit haben, die
schlechten Seiten desselben wahrzunehmen, so verdient es allen Dank, wenn ein
. Mann mit Sachkenntniß und Interesse uns auch das Positive desselben eröffnet;
nur muß das in der ruhigen epischen Methode geschehen, nicht durch lyrische
Erclamationen, denn diesen schenken wir keinen Glauben. — Das Vorbild
des Dichters sind offenbar Auerbachs Dorfgeschichten gewesen, ein Werk, wel¬
ches trotz seines glänzenden Erfolgs wol am wenigsten zur Nachahmung zu
empfehlen sein würde, da die Art und Weise seiner Darstellung zu sehr mit
der bestimmten Individualität des Verfassers verwebt ist und sich zu direct auf
eine bestimmte Geschmacksrichtung, wenn auch oppositionell, bezieht, um mit
Glück auf ein andres Gebiet angewendet werden zu können. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/177>, abgerufen am 22.12.2024.