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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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schlug -- und dergleichen Erzählungen und Geschichten hatten a priori das
Zutrittsrecht zu ihm." --

Es kommen nun in der Erzählung einzelne recht munter dargestellte Ge¬
schichten vor, die ihre Wirkung nicht verfehlen werden, aber fast überall wird
das Behagen durch irgendeinen geschmacklosen Ausdruck gestört. Sehr wunder¬
lich ist es, wie der Verfasser zuweilen über seine Figuren ein vollkommen
richtiges Urtheil hat und dann doch wieder durch irgendeine unklare Sympathie
sich verführen läßt, dies Urtheil halb wieder zurückzunehmen. -- Man lese
folgende Charakteristik seines Helden, mit welcher dieser sogleich eingeführt wird.

"Der junge Mann repräsentirte in sich die geistige Halbbildung unsres
jetzigen Jahrhunderts, vertrat die weit und breit künstlich auf Stelzen herauf¬
geschraubte unwahre Intelligenz desselben, die in ihrem Grund und Boden
nur Oberflächlichkeit, mit einer qualisicirenden Unverschämtheit gepaart, aus¬
weisen kann....... Gründliche Studien hatte er nie gemacht, aber tausend
und tausend polypenartige Arme hatten sich aus seinem Geiste herabgesenkt
und hatten hier und hatten dort die blühende Blume der Wissenschaft, die der
Kunst schmarotzend umfangen und den lieblich schmeckenden und offen daliegen¬
den Thau der Allgemeinheit in sich aufgesogen und dem Geiste zugeführt. Bei
der Elasticität und überraschenden Schärfe seines Verstandes, die durch eine
seltene Dialektik unterstützt wurde, täuschte er oft Geweihte ihres Berufes.
Mit einigen Schlagwörtern zog er die Aufmerksamkeit auf sich, mit der ihm,
wenn er wollte, zu Gebote stehenden Bescheidenheit reizte er und führte seine
Gegner durch Hin- und Herzüge auf einem ihm nur oberflächlich bekannten
Terrain doch an die Stelle, wo er entweder mit widerrechtlichen Waffen siegte
oder doch einen ehrenvollen Frieden in der durch seine Kenntnisse gewonnenen
Achtung des Gegners abschloß. Wurde er wirklich zuweilen, was aber selten
geschah, in die Enge getrieben, so wußte er mit einer unglaublichen Schlauheit
das Terrain, auf dem gekämpft wurde, sichtlich unter seiner Rede wie weichen
Thon umzuarbeiten, und, ehe es sich jener versah, hatte er eine glänzende
Waffenthat im neuen Felde gethan, und des alten Kampfplatzes war bald ver¬
gessen. Er hatte manches und vieles in sich aufgenommen, aber in keiner
Wissenschaft, in keiner Kunst hatte er etwas Gründliches erlernt, hatte er
etwas zu Lobendes geleistet, dagegen war ihm ein Urtheil eigen, das einem
zweischneidigen Schwerte glich, wenn er es, wie er oft that, in Ironie und
Malice über dem Haupte mancher schwirren ließ u. f. w. --"

Für den Helden eines Romans ist das eine seltsame Beschreibung, und
man könnte sie eigentlich nur dann verstehen, wenn derselbe im Lauf der Ge¬
schichte ernsthaft durchgerüttelt und zu einer bessern Bildung geführt würde;
aber das geschieht gar nicht oder nur ganz oberflächlich, er bleibt im Grunde
wie er ist und trotzdem gilt er sämmtlichen Personen des Romans als ein vor-


schlug — und dergleichen Erzählungen und Geschichten hatten a priori das
Zutrittsrecht zu ihm." —

Es kommen nun in der Erzählung einzelne recht munter dargestellte Ge¬
schichten vor, die ihre Wirkung nicht verfehlen werden, aber fast überall wird
das Behagen durch irgendeinen geschmacklosen Ausdruck gestört. Sehr wunder¬
lich ist es, wie der Verfasser zuweilen über seine Figuren ein vollkommen
richtiges Urtheil hat und dann doch wieder durch irgendeine unklare Sympathie
sich verführen läßt, dies Urtheil halb wieder zurückzunehmen. — Man lese
folgende Charakteristik seines Helden, mit welcher dieser sogleich eingeführt wird.

„Der junge Mann repräsentirte in sich die geistige Halbbildung unsres
jetzigen Jahrhunderts, vertrat die weit und breit künstlich auf Stelzen herauf¬
geschraubte unwahre Intelligenz desselben, die in ihrem Grund und Boden
nur Oberflächlichkeit, mit einer qualisicirenden Unverschämtheit gepaart, aus¬
weisen kann....... Gründliche Studien hatte er nie gemacht, aber tausend
und tausend polypenartige Arme hatten sich aus seinem Geiste herabgesenkt
und hatten hier und hatten dort die blühende Blume der Wissenschaft, die der
Kunst schmarotzend umfangen und den lieblich schmeckenden und offen daliegen¬
den Thau der Allgemeinheit in sich aufgesogen und dem Geiste zugeführt. Bei
der Elasticität und überraschenden Schärfe seines Verstandes, die durch eine
seltene Dialektik unterstützt wurde, täuschte er oft Geweihte ihres Berufes.
Mit einigen Schlagwörtern zog er die Aufmerksamkeit auf sich, mit der ihm,
wenn er wollte, zu Gebote stehenden Bescheidenheit reizte er und führte seine
Gegner durch Hin- und Herzüge auf einem ihm nur oberflächlich bekannten
Terrain doch an die Stelle, wo er entweder mit widerrechtlichen Waffen siegte
oder doch einen ehrenvollen Frieden in der durch seine Kenntnisse gewonnenen
Achtung des Gegners abschloß. Wurde er wirklich zuweilen, was aber selten
geschah, in die Enge getrieben, so wußte er mit einer unglaublichen Schlauheit
das Terrain, auf dem gekämpft wurde, sichtlich unter seiner Rede wie weichen
Thon umzuarbeiten, und, ehe es sich jener versah, hatte er eine glänzende
Waffenthat im neuen Felde gethan, und des alten Kampfplatzes war bald ver¬
gessen. Er hatte manches und vieles in sich aufgenommen, aber in keiner
Wissenschaft, in keiner Kunst hatte er etwas Gründliches erlernt, hatte er
etwas zu Lobendes geleistet, dagegen war ihm ein Urtheil eigen, das einem
zweischneidigen Schwerte glich, wenn er es, wie er oft that, in Ironie und
Malice über dem Haupte mancher schwirren ließ u. f. w. —"

Für den Helden eines Romans ist das eine seltsame Beschreibung, und
man könnte sie eigentlich nur dann verstehen, wenn derselbe im Lauf der Ge¬
schichte ernsthaft durchgerüttelt und zu einer bessern Bildung geführt würde;
aber das geschieht gar nicht oder nur ganz oberflächlich, er bleibt im Grunde
wie er ist und trotzdem gilt er sämmtlichen Personen des Romans als ein vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/175>, abgerufen am 22.07.2024.