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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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aufs Spiel zu setzen. Wer das tadeln wollte, müßte nicht recht bei Sinnen
sein. Es bemühte sich aus verschiedenen Wegen, Preußen und das übrige
Deutschland zu seinem System heranzuziehen und es allmälig zu einem Bündniß
mit den Westmächten zu führen, um durch den Abschluß dieses Bündnisses Ru߬
land so einzuschüchtern, daß es auf billige Forderungen einginge. Der Plan war
verständig, zweckmäßig und er war auch durchführbar.

Allein die östreichischen Staatsmänner scheinen sich nicht klar gemacht zu
haben, was zu thun sei, wenn der Plan mißlänge. Einzelne Schritte, die in
dieser Beziehung gethan wurden, z. B. das projectirte Separatbündniß mit
einzelnen deutschen Staaten, die etwa am Kriege gegen Nußland theilnehmen
möchten, sahen mehr nach einer hitzigen Aufwallung, als nach einer ruhigen
und festen Ueberlegung aus. Oestreich scheint sich serner nicht klar gemacht zu
haben, daß die wiener Conferenzen scheitern mußten, 1) weil die Westmächte gar
nicht in der Lage waren, bestimmte, auf den kriegerischen Erfolg basirte Forderun¬
gen zu stellen, 2) weil die Russen noch gar keinen Grund hatten, ernsthafte Forde¬
rungen zuzugestehen, 3) weil die russische Diplomatie fest überzeugt war, Oest¬
reich werde vor dem letzten entscheidenden Schritt zurückschrecken, wenn man es
nur nicht persönlich reizte. -- Und das ist in der That im letzten Augenblick
geschehen und vielleicht grade, weil man sich erst im letzten Augenblick ent¬
schloß; in einer Weise geschehen, die für die Westmächte etwas höchst Ver¬
letzendes haben muß. Durch seine bisherige abwartende Handlung hatte Oest¬
reich doch den Westmächten sehr viel genutzt, denn es hatte die Russen gezwungen,
sehr bedeutende Streitkräfte, die sie sonst in der Krim verwenden konnten, in
den polnischen Provinzen festzuhalten. Jetzt, in einem Augenblick, wo es in
der Krim zur Entscheidung kommen soll, weigert sich Oestreich nicht nur, aus
dieser abwartenden Stellung in die aggressive überzugehen, sondern es gibt
auch jene auf. Es macht Nußland dadurch möglich, alle seine Streitkräfte,
die es acht an der baltischen Küste nöthig hat, in die Krim zu werfen und
bringt dadurch die alliirte Armee in eine Lage, die man als verzweifelt be¬
zeichnen kann. Wenn jemand nach der Note vom 20. Mai noch bezweifeln
könnte, daß Oestreich seine bisherige Stellung ausgegeben hat, so muß ihn
die gleichzeitige Desarmirung eines Bessern belehren. Oestreich steht jetzt den
Westmächten grade so gegenüber, wie Preußen.

Und dies sollte Folge einer Berechnung sein? Es wäre wenigstens eine
sehr wunderliche Berechnung. Was Deutschland betrifft, so hat die preußische
Politik einen offenbaren Sieg erfochten; freilich einen Sieg, den wir ebenso
als einen Sieg des Pyrrhus bezeichnen möchten , wie den Sieg Oestreichs über
Preußen bei Olmütz. Oestreich hat sich die Sache sehr viel Geld kosten lassen,
Preußen hat gespart. Oestreich hat die Führerschaft über die kleinen deutschen
Staaten verloren, Preußen hat sie sich angeeignet. Die öffentliche Meinung,


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aufs Spiel zu setzen. Wer das tadeln wollte, müßte nicht recht bei Sinnen
sein. Es bemühte sich aus verschiedenen Wegen, Preußen und das übrige
Deutschland zu seinem System heranzuziehen und es allmälig zu einem Bündniß
mit den Westmächten zu führen, um durch den Abschluß dieses Bündnisses Ru߬
land so einzuschüchtern, daß es auf billige Forderungen einginge. Der Plan war
verständig, zweckmäßig und er war auch durchführbar.

Allein die östreichischen Staatsmänner scheinen sich nicht klar gemacht zu
haben, was zu thun sei, wenn der Plan mißlänge. Einzelne Schritte, die in
dieser Beziehung gethan wurden, z. B. das projectirte Separatbündniß mit
einzelnen deutschen Staaten, die etwa am Kriege gegen Nußland theilnehmen
möchten, sahen mehr nach einer hitzigen Aufwallung, als nach einer ruhigen
und festen Ueberlegung aus. Oestreich scheint sich serner nicht klar gemacht zu
haben, daß die wiener Conferenzen scheitern mußten, 1) weil die Westmächte gar
nicht in der Lage waren, bestimmte, auf den kriegerischen Erfolg basirte Forderun¬
gen zu stellen, 2) weil die Russen noch gar keinen Grund hatten, ernsthafte Forde¬
rungen zuzugestehen, 3) weil die russische Diplomatie fest überzeugt war, Oest¬
reich werde vor dem letzten entscheidenden Schritt zurückschrecken, wenn man es
nur nicht persönlich reizte. — Und das ist in der That im letzten Augenblick
geschehen und vielleicht grade, weil man sich erst im letzten Augenblick ent¬
schloß; in einer Weise geschehen, die für die Westmächte etwas höchst Ver¬
letzendes haben muß. Durch seine bisherige abwartende Handlung hatte Oest¬
reich doch den Westmächten sehr viel genutzt, denn es hatte die Russen gezwungen,
sehr bedeutende Streitkräfte, die sie sonst in der Krim verwenden konnten, in
den polnischen Provinzen festzuhalten. Jetzt, in einem Augenblick, wo es in
der Krim zur Entscheidung kommen soll, weigert sich Oestreich nicht nur, aus
dieser abwartenden Stellung in die aggressive überzugehen, sondern es gibt
auch jene auf. Es macht Nußland dadurch möglich, alle seine Streitkräfte,
die es acht an der baltischen Küste nöthig hat, in die Krim zu werfen und
bringt dadurch die alliirte Armee in eine Lage, die man als verzweifelt be¬
zeichnen kann. Wenn jemand nach der Note vom 20. Mai noch bezweifeln
könnte, daß Oestreich seine bisherige Stellung ausgegeben hat, so muß ihn
die gleichzeitige Desarmirung eines Bessern belehren. Oestreich steht jetzt den
Westmächten grade so gegenüber, wie Preußen.

Und dies sollte Folge einer Berechnung sein? Es wäre wenigstens eine
sehr wunderliche Berechnung. Was Deutschland betrifft, so hat die preußische
Politik einen offenbaren Sieg erfochten; freilich einen Sieg, den wir ebenso
als einen Sieg des Pyrrhus bezeichnen möchten , wie den Sieg Oestreichs über
Preußen bei Olmütz. Oestreich hat sich die Sache sehr viel Geld kosten lassen,
Preußen hat gespart. Oestreich hat die Führerschaft über die kleinen deutschen
Staaten verloren, Preußen hat sie sich angeeignet. Die öffentliche Meinung,


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[0171] aufs Spiel zu setzen. Wer das tadeln wollte, müßte nicht recht bei Sinnen sein. Es bemühte sich aus verschiedenen Wegen, Preußen und das übrige Deutschland zu seinem System heranzuziehen und es allmälig zu einem Bündniß mit den Westmächten zu führen, um durch den Abschluß dieses Bündnisses Ru߬ land so einzuschüchtern, daß es auf billige Forderungen einginge. Der Plan war verständig, zweckmäßig und er war auch durchführbar. Allein die östreichischen Staatsmänner scheinen sich nicht klar gemacht zu haben, was zu thun sei, wenn der Plan mißlänge. Einzelne Schritte, die in dieser Beziehung gethan wurden, z. B. das projectirte Separatbündniß mit einzelnen deutschen Staaten, die etwa am Kriege gegen Nußland theilnehmen möchten, sahen mehr nach einer hitzigen Aufwallung, als nach einer ruhigen und festen Ueberlegung aus. Oestreich scheint sich serner nicht klar gemacht zu haben, daß die wiener Conferenzen scheitern mußten, 1) weil die Westmächte gar nicht in der Lage waren, bestimmte, auf den kriegerischen Erfolg basirte Forderun¬ gen zu stellen, 2) weil die Russen noch gar keinen Grund hatten, ernsthafte Forde¬ rungen zuzugestehen, 3) weil die russische Diplomatie fest überzeugt war, Oest¬ reich werde vor dem letzten entscheidenden Schritt zurückschrecken, wenn man es nur nicht persönlich reizte. — Und das ist in der That im letzten Augenblick geschehen und vielleicht grade, weil man sich erst im letzten Augenblick ent¬ schloß; in einer Weise geschehen, die für die Westmächte etwas höchst Ver¬ letzendes haben muß. Durch seine bisherige abwartende Handlung hatte Oest¬ reich doch den Westmächten sehr viel genutzt, denn es hatte die Russen gezwungen, sehr bedeutende Streitkräfte, die sie sonst in der Krim verwenden konnten, in den polnischen Provinzen festzuhalten. Jetzt, in einem Augenblick, wo es in der Krim zur Entscheidung kommen soll, weigert sich Oestreich nicht nur, aus dieser abwartenden Stellung in die aggressive überzugehen, sondern es gibt auch jene auf. Es macht Nußland dadurch möglich, alle seine Streitkräfte, die es acht an der baltischen Küste nöthig hat, in die Krim zu werfen und bringt dadurch die alliirte Armee in eine Lage, die man als verzweifelt be¬ zeichnen kann. Wenn jemand nach der Note vom 20. Mai noch bezweifeln könnte, daß Oestreich seine bisherige Stellung ausgegeben hat, so muß ihn die gleichzeitige Desarmirung eines Bessern belehren. Oestreich steht jetzt den Westmächten grade so gegenüber, wie Preußen. Und dies sollte Folge einer Berechnung sein? Es wäre wenigstens eine sehr wunderliche Berechnung. Was Deutschland betrifft, so hat die preußische Politik einen offenbaren Sieg erfochten; freilich einen Sieg, den wir ebenso als einen Sieg des Pyrrhus bezeichnen möchten , wie den Sieg Oestreichs über Preußen bei Olmütz. Oestreich hat sich die Sache sehr viel Geld kosten lassen, Preußen hat gespart. Oestreich hat die Führerschaft über die kleinen deutschen Staaten verloren, Preußen hat sie sich angeeignet. Die öffentliche Meinung, 21 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/171>, abgerufen am 22.07.2024.