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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Novnlis.

Man pflegt diesen höchst merkwürdigen und in der deutschen Literatur fast
einzig dastehenden Dichter als das religiöse Gemüth in der romantischen Schule
ZU betrachten, nachdem man en.dlich aufgehört hat, der Schule im Großen und
Ganzen christliche Tendenzen beizumessen. Es wird sich im Folgenden ergeben,
daß auch bei Novalis die christliche Gesinnung nicht grade das war, was der
wahrhaft Religiöse darunter versteht, eine Heiligung und Verklärung des Ge¬
müths; daß sowol seine Reflexionen über das Christenthum, als seine pietisti¬
schen Anwandlungen aus demselben Motiv hervorgingen, das wir bei Gelegen¬
heit des Wilhelm Meister als das leitende Princip der ganzen Generation
charakterisiert haben: aus dem Streben nach allseitiger, Geist und Herz gleich¬
mäßig durchdringender Bildung. Dagegen unterscheidet sich Novalis durch einen
andern Umstand sehr günstig von seinen Mitstrebenden. Sein Leben war mit
seinem Denken und Empfinden durchaus in Einklang; er war, was man da¬
mals eine schöne Seele nannte, in der Weise, wie Goethe in Wilhelm Meister
eine schöne Seele geschildert hat. Diese Idealität seines Wesens und sein
frühzeitiger Tod machten ihn für die Schule zu einer mythischen Figur, aus
die man sich gern bezog, sobald man dunkel empfand, daß in dem eignen
Treiben mehr Reflexion, Kritik und Dilettantismus war, als echtes und ehr¬
liches Gefühl.

Friedrich von Hardenberg-Novalis war 1772 in einer frommen,
den Herrnhutern nahestehenden Familie geboren: von früh auf ein kränkliches
schwächliches Kind, aber mit einer feurigen und ernsten Seele begabt. Im
Jahre 1790 ging er auf die Universität Jena, wo er namentlich Schiller und
Reinhold mit hingebender Liebe entgegenkam. Noch bedeutender wurde die
Anregung, die er von Fichte empfing und er ahnte den in Schelling wohnen¬
den philosophischen Geist, als dieser noch in Leipzig einige Freunde auf seiner
Stube über Philosophie belehrte. Schon damals zeigte er in seinen Gesprä¬
chen, die immer voller Gehalt waren, eine gewisse Neigung zur Paradorie.
Es war das Streben nach Freiheit des Denkens, wenn er z. B. einmal einem
katholischen Freunde die Consequenz der Hierarchie schilderte, in.diese Schilde¬
rung die Geschichte des Papstthums einflocht und mit dem ganzen Reichthum


Grenzboten. III. 18os. -I ö
Novnlis.

Man pflegt diesen höchst merkwürdigen und in der deutschen Literatur fast
einzig dastehenden Dichter als das religiöse Gemüth in der romantischen Schule
ZU betrachten, nachdem man en.dlich aufgehört hat, der Schule im Großen und
Ganzen christliche Tendenzen beizumessen. Es wird sich im Folgenden ergeben,
daß auch bei Novalis die christliche Gesinnung nicht grade das war, was der
wahrhaft Religiöse darunter versteht, eine Heiligung und Verklärung des Ge¬
müths; daß sowol seine Reflexionen über das Christenthum, als seine pietisti¬
schen Anwandlungen aus demselben Motiv hervorgingen, das wir bei Gelegen¬
heit des Wilhelm Meister als das leitende Princip der ganzen Generation
charakterisiert haben: aus dem Streben nach allseitiger, Geist und Herz gleich¬
mäßig durchdringender Bildung. Dagegen unterscheidet sich Novalis durch einen
andern Umstand sehr günstig von seinen Mitstrebenden. Sein Leben war mit
seinem Denken und Empfinden durchaus in Einklang; er war, was man da¬
mals eine schöne Seele nannte, in der Weise, wie Goethe in Wilhelm Meister
eine schöne Seele geschildert hat. Diese Idealität seines Wesens und sein
frühzeitiger Tod machten ihn für die Schule zu einer mythischen Figur, aus
die man sich gern bezog, sobald man dunkel empfand, daß in dem eignen
Treiben mehr Reflexion, Kritik und Dilettantismus war, als echtes und ehr¬
liches Gefühl.

Friedrich von Hardenberg-Novalis war 1772 in einer frommen,
den Herrnhutern nahestehenden Familie geboren: von früh auf ein kränkliches
schwächliches Kind, aber mit einer feurigen und ernsten Seele begabt. Im
Jahre 1790 ging er auf die Universität Jena, wo er namentlich Schiller und
Reinhold mit hingebender Liebe entgegenkam. Noch bedeutender wurde die
Anregung, die er von Fichte empfing und er ahnte den in Schelling wohnen¬
den philosophischen Geist, als dieser noch in Leipzig einige Freunde auf seiner
Stube über Philosophie belehrte. Schon damals zeigte er in seinen Gesprä¬
chen, die immer voller Gehalt waren, eine gewisse Neigung zur Paradorie.
Es war das Streben nach Freiheit des Denkens, wenn er z. B. einmal einem
katholischen Freunde die Consequenz der Hierarchie schilderte, in.diese Schilde¬
rung die Geschichte des Papstthums einflocht und mit dem ganzen Reichthum


Grenzboten. III. 18os. -I ö
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[0129] Novnlis. Man pflegt diesen höchst merkwürdigen und in der deutschen Literatur fast einzig dastehenden Dichter als das religiöse Gemüth in der romantischen Schule ZU betrachten, nachdem man en.dlich aufgehört hat, der Schule im Großen und Ganzen christliche Tendenzen beizumessen. Es wird sich im Folgenden ergeben, daß auch bei Novalis die christliche Gesinnung nicht grade das war, was der wahrhaft Religiöse darunter versteht, eine Heiligung und Verklärung des Ge¬ müths; daß sowol seine Reflexionen über das Christenthum, als seine pietisti¬ schen Anwandlungen aus demselben Motiv hervorgingen, das wir bei Gelegen¬ heit des Wilhelm Meister als das leitende Princip der ganzen Generation charakterisiert haben: aus dem Streben nach allseitiger, Geist und Herz gleich¬ mäßig durchdringender Bildung. Dagegen unterscheidet sich Novalis durch einen andern Umstand sehr günstig von seinen Mitstrebenden. Sein Leben war mit seinem Denken und Empfinden durchaus in Einklang; er war, was man da¬ mals eine schöne Seele nannte, in der Weise, wie Goethe in Wilhelm Meister eine schöne Seele geschildert hat. Diese Idealität seines Wesens und sein frühzeitiger Tod machten ihn für die Schule zu einer mythischen Figur, aus die man sich gern bezog, sobald man dunkel empfand, daß in dem eignen Treiben mehr Reflexion, Kritik und Dilettantismus war, als echtes und ehr¬ liches Gefühl. Friedrich von Hardenberg-Novalis war 1772 in einer frommen, den Herrnhutern nahestehenden Familie geboren: von früh auf ein kränkliches schwächliches Kind, aber mit einer feurigen und ernsten Seele begabt. Im Jahre 1790 ging er auf die Universität Jena, wo er namentlich Schiller und Reinhold mit hingebender Liebe entgegenkam. Noch bedeutender wurde die Anregung, die er von Fichte empfing und er ahnte den in Schelling wohnen¬ den philosophischen Geist, als dieser noch in Leipzig einige Freunde auf seiner Stube über Philosophie belehrte. Schon damals zeigte er in seinen Gesprä¬ chen, die immer voller Gehalt waren, eine gewisse Neigung zur Paradorie. Es war das Streben nach Freiheit des Denkens, wenn er z. B. einmal einem katholischen Freunde die Consequenz der Hierarchie schilderte, in.diese Schilde¬ rung die Geschichte des Papstthums einflocht und mit dem ganzen Reichthum Grenzboten. III. 18os. -I ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/129>, abgerufen am 22.07.2024.