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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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eine neue rückwärtsliegende Stellung geführt, dann die Infanterie der Reserve
und die nicht im Gefecht befindlichen Massen, die fechtenden Truppen folgen
zuletzt.

In diesem Augenblick beginnt der Sieger die Verfolgung. Sie hat den
Zweck, die feindlichen Streitkräfte zu vernichten und zu zerstören. Die ver¬
folgenden Truppen müssen alles wagen, sich überall an die Fersen der weichen¬
den hangen, sich zwischen die Colonnen der retirirenden Feinde hineinwerfen,
und von einer starken Reserve unterstützt, die Fühlung der feindlichen Klinge
so lange behalten, bis es dem Feind gelingt, in einer festen Stellung sich zu
setzen und mit überlegner Kraft die Angriffe der Verfolgenden zurückzuweisen.
Die Cavaleric hält jetzt ihre Ernte. Oft macht die Nacht der Verfolgung des
Feindes vom Schlachtfeld ein Ende, da die lange Dauer der neuern Schlach¬
ten die Entscheidung in der Regel erst am Ende eines Schlachtentages herbei¬
führt. Am andern Tage haben sich fast immer die Verhältnisse sehr geändert.
Der Schwächere hat durch Anspannung seiner Kräfte während der Nacht wenig¬
stens einen Theil seiner Truppen wieder gefechtsfähig gemacht und vermag, wäh¬
rend diese den vordringenden Sieger aufhalten, sich festzusetzen, Verstärkungen
herbeizuziehen, oder seinen geordneten Rückzug fortzusetzen. Die ungeheure Er¬
schöpfung, welche unsre langdauernden Schlachten auch über das siegreiche Heer
bringen, trägt wesentlich dazu bei, ihm die Verfolgung zu erschweren.

Ob nun eine aufgegebene Schlacht für den Schwächeren zu einer Nieder¬
lage wird, das hängt jetzt im Allgemeinen davon ab, ob er zu rechter Zeit
sich dem Gefecht entzogen hat, d. h. ob er noch intacte Kräfte zur Disposition
hat, welche die Widerstandsfähigkeit besitzen, ihm einen geordneten Rückzug zu
sichern, und ob ihm das Terrain die nöthigen Chancen darbietet, sich gegen
den Verfolger zu setzen. Ist beides nicht der Fall, so wird aus der aufgegebe¬
nen Schlacht wahrscheinlich eine entscheidende Niederlage.

So verläuft eine Schlacht in unsrer Zeit. Ihr Charakteristisches wird
unübertrefflich durch General Karl v. Clausewitz geschildert, dessen Worte, hier
zum Schluß folgen mögen.

"Was thut man jetzt gewöhnlich in einer Schlacht? Man stellt sich, in
Massen neben- und hintereinander geordnet, ruhig hin, entwickelt verhältni߬
mäßig nur.einen geringen Theil des Ganzen, und läßt sich diesen in einem
stundenlangen Feuergefecht ausringen, welches durch einzelne kleine Stöße von
Sturmschritt, Bajonett- und Cavalerieanfall hin und wieder unterbrochen und
etwas hin- und hergeschoben wird. Hat dieser eine Theil sein kriegerisches
Feuer auf diese Weise nach und nach ausgeströmt und es bleiben nichts als
die Schlacken übrig, so wird er zurückgezogen und von einem andern ersetzt.
Auf diese Weise brennt die Schlacht mit gemäßigtem Element wie nasses Pul¬
ver langsam ab, und wenn der Schleier der Nacht Ruhe gebietet, weil nie-


eine neue rückwärtsliegende Stellung geführt, dann die Infanterie der Reserve
und die nicht im Gefecht befindlichen Massen, die fechtenden Truppen folgen
zuletzt.

In diesem Augenblick beginnt der Sieger die Verfolgung. Sie hat den
Zweck, die feindlichen Streitkräfte zu vernichten und zu zerstören. Die ver¬
folgenden Truppen müssen alles wagen, sich überall an die Fersen der weichen¬
den hangen, sich zwischen die Colonnen der retirirenden Feinde hineinwerfen,
und von einer starken Reserve unterstützt, die Fühlung der feindlichen Klinge
so lange behalten, bis es dem Feind gelingt, in einer festen Stellung sich zu
setzen und mit überlegner Kraft die Angriffe der Verfolgenden zurückzuweisen.
Die Cavaleric hält jetzt ihre Ernte. Oft macht die Nacht der Verfolgung des
Feindes vom Schlachtfeld ein Ende, da die lange Dauer der neuern Schlach¬
ten die Entscheidung in der Regel erst am Ende eines Schlachtentages herbei¬
führt. Am andern Tage haben sich fast immer die Verhältnisse sehr geändert.
Der Schwächere hat durch Anspannung seiner Kräfte während der Nacht wenig¬
stens einen Theil seiner Truppen wieder gefechtsfähig gemacht und vermag, wäh¬
rend diese den vordringenden Sieger aufhalten, sich festzusetzen, Verstärkungen
herbeizuziehen, oder seinen geordneten Rückzug fortzusetzen. Die ungeheure Er¬
schöpfung, welche unsre langdauernden Schlachten auch über das siegreiche Heer
bringen, trägt wesentlich dazu bei, ihm die Verfolgung zu erschweren.

Ob nun eine aufgegebene Schlacht für den Schwächeren zu einer Nieder¬
lage wird, das hängt jetzt im Allgemeinen davon ab, ob er zu rechter Zeit
sich dem Gefecht entzogen hat, d. h. ob er noch intacte Kräfte zur Disposition
hat, welche die Widerstandsfähigkeit besitzen, ihm einen geordneten Rückzug zu
sichern, und ob ihm das Terrain die nöthigen Chancen darbietet, sich gegen
den Verfolger zu setzen. Ist beides nicht der Fall, so wird aus der aufgegebe¬
nen Schlacht wahrscheinlich eine entscheidende Niederlage.

So verläuft eine Schlacht in unsrer Zeit. Ihr Charakteristisches wird
unübertrefflich durch General Karl v. Clausewitz geschildert, dessen Worte, hier
zum Schluß folgen mögen.

„Was thut man jetzt gewöhnlich in einer Schlacht? Man stellt sich, in
Massen neben- und hintereinander geordnet, ruhig hin, entwickelt verhältni߬
mäßig nur.einen geringen Theil des Ganzen, und läßt sich diesen in einem
stundenlangen Feuergefecht ausringen, welches durch einzelne kleine Stöße von
Sturmschritt, Bajonett- und Cavalerieanfall hin und wieder unterbrochen und
etwas hin- und hergeschoben wird. Hat dieser eine Theil sein kriegerisches
Feuer auf diese Weise nach und nach ausgeströmt und es bleiben nichts als
die Schlacken übrig, so wird er zurückgezogen und von einem andern ersetzt.
Auf diese Weise brennt die Schlacht mit gemäßigtem Element wie nasses Pul¬
ver langsam ab, und wenn der Schleier der Nacht Ruhe gebietet, weil nie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/525>, abgerufen am 01.10.2024.