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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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heutigen Schlachten oft den Sieg entscheidet, der Besitz eines Dorfes oder
andrer Defilöen, das war damals dem angreifenden Theil nur ein Hinderniß.
War dies passende Terrain dem Feind gegenüber gewonnen, so marschirte die
Infanterie in langer, fest zusammenhängender Linie drei Glieder hoch auf, die
Reiterei ebenso auf beiden Flügeln; dem schweren Geschütz wurde seine Position
zugewiesen, die Bataillonsgeschütze zogen sich vor die Front, ein massenhaftes
mörderisches Feuern in den langen Linien gegeneinander führte schnelle Ent¬
scheidung herbei. In der Regel begann ein Flügel den Hauptangriff.

Fast allen Schlachten Friedrichs des Großen lag nämlich die Absicht zu
Gründe, den Feind in der sogenannten schiefen Schlachtordnung anzu¬
greifen: den einen der feindlichen Flügel zu umgehen, zu umfassen, mit Ueber-
legenheit anzugreifen und zu schlagen, bevor er gehörig unterstützt werden
konnte. Die Möglichkeit eines Gelingens lag einerseits in der ungemein aus¬
gebildeten Manövrirfähigkeit der preußischen Truppen; andrerseits in der
Schwerfälligkeit der Gegner und der Unfähigkeit der feindlichen Generale, den
Punkt zu erkennen, gegen welchen der Stoß des Königs gerichtet war. ^Auf
diesem Stoß beruhte damals die Entscheidung und die Folge davon war, daß
die Schlachten in dieser Zeit von keiner langen Dauer waren. Dies schloß
jedoch nicht aus, daß sie nicht äußerst blutig waren, denn die Entscheidung
mußte fast immer durch das Jnfanteriefeuer gegeben werden; und jedes Gefecht
wird um so blutiger sein, jemehr das Feuer der geschlossenen Infanterie zur
Entscheidung beigetragen hat. Die Artillerie hatte-- auf größere Entfernung
als die des Karlätschschusses -- nicht so bedeutende Wirkung; ihr Ziel war
nicht tief genug, die Treffen standen zu weit voneinander ab; und nur der
rücksichtslose Angriff der Infanterie, wie bei Prag, Torgau, Kunersdorf, ver¬
schaffte der Artillerie Gelegenheit, sich wirksamer zu zeigen; Gelegenheit,
die sie selbst nicht so sehr aufsuchen konnte. War der Angriff in der schiefen-
Schlachtordnung geglückt, wie z. B. bei Leuthen, selbst bei Roßbach, so fand
die preußische Artillerie ein wirksames Feld in der durch die Ueberraschung
herbeigeführten Anhäufung von tiefen Massen an der bedrohten Stelle; man
hatte keine Zeit mehr, auch keinen Raum, die herbeigeführten, aber in der
Regel zu spät anlangenden Verstärkungen regelrecht zu entwickeln. Wenn man
so bedenkt, daß die Heere jener Zeit nicht sehr zahlreich waren, so wird man
finden, daß der durch dieses Niederschießen durch Infanterie und gelegent¬
lich durch das Niederreiten herbeigeführte Verlust ungeheuer ist und
daß die Schlachten dieser Zeit die blutigsten sind, welche je geliefert wurden.

Die Schlacht von Kollin dauerte nur i Stunden; die preußische Infan¬
terie verlor von -18,000 Mann 12,000. Die Schlacht von Kunersdorf dauerte
nicht ganz 8 Stunden; die Infanterie verlor in dieser Zeit und in der Verfolgung
17,000 Mann von 30,000. Beide Male also ist über die Hälfte verloren gegangen.


heutigen Schlachten oft den Sieg entscheidet, der Besitz eines Dorfes oder
andrer Defilöen, das war damals dem angreifenden Theil nur ein Hinderniß.
War dies passende Terrain dem Feind gegenüber gewonnen, so marschirte die
Infanterie in langer, fest zusammenhängender Linie drei Glieder hoch auf, die
Reiterei ebenso auf beiden Flügeln; dem schweren Geschütz wurde seine Position
zugewiesen, die Bataillonsgeschütze zogen sich vor die Front, ein massenhaftes
mörderisches Feuern in den langen Linien gegeneinander führte schnelle Ent¬
scheidung herbei. In der Regel begann ein Flügel den Hauptangriff.

Fast allen Schlachten Friedrichs des Großen lag nämlich die Absicht zu
Gründe, den Feind in der sogenannten schiefen Schlachtordnung anzu¬
greifen: den einen der feindlichen Flügel zu umgehen, zu umfassen, mit Ueber-
legenheit anzugreifen und zu schlagen, bevor er gehörig unterstützt werden
konnte. Die Möglichkeit eines Gelingens lag einerseits in der ungemein aus¬
gebildeten Manövrirfähigkeit der preußischen Truppen; andrerseits in der
Schwerfälligkeit der Gegner und der Unfähigkeit der feindlichen Generale, den
Punkt zu erkennen, gegen welchen der Stoß des Königs gerichtet war. ^Auf
diesem Stoß beruhte damals die Entscheidung und die Folge davon war, daß
die Schlachten in dieser Zeit von keiner langen Dauer waren. Dies schloß
jedoch nicht aus, daß sie nicht äußerst blutig waren, denn die Entscheidung
mußte fast immer durch das Jnfanteriefeuer gegeben werden; und jedes Gefecht
wird um so blutiger sein, jemehr das Feuer der geschlossenen Infanterie zur
Entscheidung beigetragen hat. Die Artillerie hatte— auf größere Entfernung
als die des Karlätschschusses — nicht so bedeutende Wirkung; ihr Ziel war
nicht tief genug, die Treffen standen zu weit voneinander ab; und nur der
rücksichtslose Angriff der Infanterie, wie bei Prag, Torgau, Kunersdorf, ver¬
schaffte der Artillerie Gelegenheit, sich wirksamer zu zeigen; Gelegenheit,
die sie selbst nicht so sehr aufsuchen konnte. War der Angriff in der schiefen-
Schlachtordnung geglückt, wie z. B. bei Leuthen, selbst bei Roßbach, so fand
die preußische Artillerie ein wirksames Feld in der durch die Ueberraschung
herbeigeführten Anhäufung von tiefen Massen an der bedrohten Stelle; man
hatte keine Zeit mehr, auch keinen Raum, die herbeigeführten, aber in der
Regel zu spät anlangenden Verstärkungen regelrecht zu entwickeln. Wenn man
so bedenkt, daß die Heere jener Zeit nicht sehr zahlreich waren, so wird man
finden, daß der durch dieses Niederschießen durch Infanterie und gelegent¬
lich durch das Niederreiten herbeigeführte Verlust ungeheuer ist und
daß die Schlachten dieser Zeit die blutigsten sind, welche je geliefert wurden.

Die Schlacht von Kollin dauerte nur i Stunden; die preußische Infan¬
terie verlor von -18,000 Mann 12,000. Die Schlacht von Kunersdorf dauerte
nicht ganz 8 Stunden; die Infanterie verlor in dieser Zeit und in der Verfolgung
17,000 Mann von 30,000. Beide Male also ist über die Hälfte verloren gegangen.


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[0517] heutigen Schlachten oft den Sieg entscheidet, der Besitz eines Dorfes oder andrer Defilöen, das war damals dem angreifenden Theil nur ein Hinderniß. War dies passende Terrain dem Feind gegenüber gewonnen, so marschirte die Infanterie in langer, fest zusammenhängender Linie drei Glieder hoch auf, die Reiterei ebenso auf beiden Flügeln; dem schweren Geschütz wurde seine Position zugewiesen, die Bataillonsgeschütze zogen sich vor die Front, ein massenhaftes mörderisches Feuern in den langen Linien gegeneinander führte schnelle Ent¬ scheidung herbei. In der Regel begann ein Flügel den Hauptangriff. Fast allen Schlachten Friedrichs des Großen lag nämlich die Absicht zu Gründe, den Feind in der sogenannten schiefen Schlachtordnung anzu¬ greifen: den einen der feindlichen Flügel zu umgehen, zu umfassen, mit Ueber- legenheit anzugreifen und zu schlagen, bevor er gehörig unterstützt werden konnte. Die Möglichkeit eines Gelingens lag einerseits in der ungemein aus¬ gebildeten Manövrirfähigkeit der preußischen Truppen; andrerseits in der Schwerfälligkeit der Gegner und der Unfähigkeit der feindlichen Generale, den Punkt zu erkennen, gegen welchen der Stoß des Königs gerichtet war. ^Auf diesem Stoß beruhte damals die Entscheidung und die Folge davon war, daß die Schlachten in dieser Zeit von keiner langen Dauer waren. Dies schloß jedoch nicht aus, daß sie nicht äußerst blutig waren, denn die Entscheidung mußte fast immer durch das Jnfanteriefeuer gegeben werden; und jedes Gefecht wird um so blutiger sein, jemehr das Feuer der geschlossenen Infanterie zur Entscheidung beigetragen hat. Die Artillerie hatte— auf größere Entfernung als die des Karlätschschusses — nicht so bedeutende Wirkung; ihr Ziel war nicht tief genug, die Treffen standen zu weit voneinander ab; und nur der rücksichtslose Angriff der Infanterie, wie bei Prag, Torgau, Kunersdorf, ver¬ schaffte der Artillerie Gelegenheit, sich wirksamer zu zeigen; Gelegenheit, die sie selbst nicht so sehr aufsuchen konnte. War der Angriff in der schiefen- Schlachtordnung geglückt, wie z. B. bei Leuthen, selbst bei Roßbach, so fand die preußische Artillerie ein wirksames Feld in der durch die Ueberraschung herbeigeführten Anhäufung von tiefen Massen an der bedrohten Stelle; man hatte keine Zeit mehr, auch keinen Raum, die herbeigeführten, aber in der Regel zu spät anlangenden Verstärkungen regelrecht zu entwickeln. Wenn man so bedenkt, daß die Heere jener Zeit nicht sehr zahlreich waren, so wird man finden, daß der durch dieses Niederschießen durch Infanterie und gelegent¬ lich durch das Niederreiten herbeigeführte Verlust ungeheuer ist und daß die Schlachten dieser Zeit die blutigsten sind, welche je geliefert wurden. Die Schlacht von Kollin dauerte nur i Stunden; die preußische Infan¬ terie verlor von -18,000 Mann 12,000. Die Schlacht von Kunersdorf dauerte nicht ganz 8 Stunden; die Infanterie verlor in dieser Zeit und in der Verfolgung 17,000 Mann von 30,000. Beide Male also ist über die Hälfte verloren gegangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/517>, abgerufen am 03.07.2024.